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Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

378-379

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Aitzetmüller, Rudolf

Titel/Untertitel:

Das Hexameron des Exarchen Johannes. I. 1960

Rezensent:

Müller, Ludolf

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

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einem Kernstück der Emanzipation geworden6. In dieser Bedeutung
erörtert es Hamann nun seinerseits wieder theologisch, und
man kann seine Position dabei kaum genau fassen, wenn man
sie aus diesem näheren Kontext (der noch genauer zu klären
bleibt) löst und unvermittelt teils in den Kategorien einer vor-
emanzipativen innertheologischen Diskussion, teils durch den
unkritischen Einsatz des problematischen modernen Begriffspaares
,,religiös/ontisch" zu formulieren versucht.

Ad 2: Ebensowenig braucht der Gedanke des ,,inkarnativen
Heilsvollzuges" unvermittelt durch eine Verwandtschaft mit altkirchlicher
und ostkirchlicher Theologie erläutert zu werden. Davon
hat Hamann 1758 kaum etwas gewußt, dagegen stand er mit
hoher Wahrscheinlichkeit unter dem lebendigen Einfluß englischer
Theologie, für die auch, über alle Spielarten hinweg, die
Inkarnation die zentrale Bedeutung hat wie für das Luthertum
das Kreuz, — und der nach England hinüberwirkenden holländischen
Foederaltheologie, deren heilsgeschichtliches Denken auf der
gleichen Linie liegt. Aus diesem näheren theologiegeschichtlichen
Kontext aber dürfte Hamanns ,,inkarnative" Rechtfertigungslehre
deutlicher gemacht werden können.

Dies sind also die bei der Fülle des Förderlichen leicht zu
verschmerzenden Schwächen der S.schen Arbeit: daß der sicheren
Perspektive bei der Beurteilung der übrigen Hamann-Literatur
und der bewunderungswürdigen historischen Akribie im Hamann-
Detail (inzwischen in anderen Arbeiten S.s, zum „Letzten Blatt"
und zu den „Schürzen" noch glänzender bev/ährt!) — bei den
eigenen Deutlingsansätzen eine unvermittelte, eigentümlich
schroffe Aktualisierung ohne geschichtliche Reflexion gegenüber
steht.

Vielleicht wird darum der Grund für die Aktualität Hamanns
nicht ganz erkennbar, an den dies Buch doch so dicht
heranführt. Eine Besprechung darf freilich die wenigen Ver-
bindungsstriche, die zu fehlen scheinen, nur andeuten. Wohin
würde die Ausarbeitung des von S. entdeckten Hamannschcn
Grundgedankens vom „Sakrament der Sprache" führen? „Sakrament
" ist eine Realität der Hcilsordnung, in der „Sprache" ko-
inzidieren Universalität und Geschichtlichkeit. Sollte nicht der
Sinn von „Sakrament" sich verschieben, 6chon einmal, wenn er
von Taufe und Abendmahl aufs „Wort" der Bibel und der Verkündigung
hinübergenommen wird, und noch einmal, wenn
Hamann die „Sprache" insgesamt als „Sakrament" versteht?
Würde das nicht bedeuten, daß kein Bereich von Welt und Geschichte
mehr außerhalb des Heilsgeschehens zu denken wäre?
Und also keine Philosophie ohne Geschichte auskommen könnte?
Hamann selbst hat das 60 gesehen'0.

Die Hamann-Deutung hat von Anfang an unter der apologetischen
Trennung von Philosophie und Theologie gelitten.
Hamann historisch zu verstehen und alsdann seine Gedanken
und 6eine Erkenntnisweisc anzueignen heißt, sich diesseits solcher
Ressortierung aufzustellen, die die Wirklichkeit der Geschichte
vergewaltigt oder an ihr zerbricht. Die Strenge geschichtlichen
Erkennens liegt nicht in der vermeintlichen Exaktheit der
Ressortierungen und Subsumptionen, sondern in der Intimität
der Konkretion, hier derjenigen, mit der der „Zusammenwuchs"
der Theologie mit ihren philosophischen, vor allem aber der
Philosophie mit ihren theologischen, geschichtlichen Voraussetzungen
gefaßt wird. Sofern heute die Aporien der Scheidung
gegenläufig zu solcher Konkretion drängen, hat Hamann etwas
zu 6agcn. S.s Buch leistet einen bedeutenden Beitrag dafür, das
sichtbar zu machen.

Anmerkung bei der Korrektur: Im soeben ausgelieferten
Band IV der Briefausgabe (Wiesbaden 1959) finden sich die oben
(Anm. 4 und Anm. 10) aus Roth VI zitierten Stellen:

Roth VI 170 = Henkel IV 254 (vom 19. XII. 1780)

Roth VI 223 = Henkel IV 342.

Milnslcr/Westf. Karlfried Gründer

*] Vgl. dnzu Odo Marquard, Skeptische Methode im Blick auf Kant.
Freiburg/München 1958, S. 99 f.

'") Z.B. Brief an Hartknoch vom 23. X. 1781. Roth VI 223: an
Jacobi v. 16.1.1785, Gildemeister V 48; an Jacobi v. 25. IV. 1786,
Gildemeister V 298.

Ceyssens, L.: La publication officielle de la bulle „In eminenti"
(1651-1653). Suite.
Augustiniana IX, 1959 S. 412—430.

KIRCHEN- UND KONFESSIONSKUNDE

Aitzetmüller, Rudolf: Das Hexaemeron des Exarchen Johannes.

I. Graz: Akad. Druck- u. Verlagsanst. 1958. XVII, 370 S. m. Abb.
gr. 8° = Editiones monumentorum slavicorum veteris dialecti. Hrsg.
v. Institut f. Slavistik d. Universität Graz. Lw. Ö. S. 150.—.

Nach dem Tode des Method (884) wurden dessen Schüler
aus Mähren vertrieben. In Bulgarien fanden sie freundliche Aufnahme
am Hof des Fürsten Boris, der mit ihrer Hilfe das Bulgarische
zur Kirchen- und Schriftsprache seines Reiches erhob.
Sein Sohn und Nachfolger Simeon (893—927) setzte diese Bestrebungen
fort; ein Kreis von theologischen Schriftstellern
sammelte sich um ihn, verteidigte die Rechte der bulgarischen
Sprache, übersetzte griechische und verfaßte eigene Werke. Eins
der bedeutendsten Mitglieder dieses Kreises war der Exarch
Johannes (Ioann), und dessen größtes Werk das „Hexaemeron",
ein theologischer Traktat über das Sechstagewerk der Schöpfung.
Es ist eine offenbar von dem Exarchen Ioann selbständig zusammengestellte
Kompilation und Übersetzung aus verschiedenen
Werken christlicher griechischer Schriftsteller über das Sechstagewerk
. Einiges hat Ioann von sich aus ergänzt und hinzugefügt.

Er selbst schildert die Entstehung des Werkes: „Diese sechs Reden
haben wir nicht selbst zusammengestellt, einmal haben wir vom Hexaemeron
des hl. Basilius den genauen Wortlaut, ein andermal auch (nur)
seine Ideen übernommen; ebenso auch von Johannes (von Damaskus),
und anderes wieder von anderen, so wie wir es irgendwann einmal gelesen
haben" (S. 44). Er vergleicht sein Werk mit einem Gebäude, das er
für einen Herrecher errichtet habe und zu dem viele reiche Leute die
Baustoffe gegeben hätten; nur wo eine Lücke geblieben sei, habe er au«
seiner eigenen Armut so minderwertige Baustoffe wie Reisig und Stroh
beigesteuert.

So ist das Werk für die Geschichte der altbulgarischen theologischen
Literatur von hervorragender Bedeutung; wichtig ist
es aber darüber hinaus auch für die Geschichte der slavischen
Orthodoxie überhaupt, da es, bis ins 17. Jhdt. hinein immer wieder
abgeschrieben, einen tiefen Einfluß auf das theologische Denken
, die religiöse Kunst und den Volksglauben der orthodoxen
Slaven ausgeübt hat; und schließlich ist es auch für den Charakter
der theologischen Arbeit jener Zeit nicht ohne Interesse.

In der Reihe der verdienstvollen „Editiones Monumentorum
Slavicorum Veteris Dialecti" des Instituts für Slavistik der Universität
Graz gibt Rudolf Aitzetmüller das wichtige Werk jetzt
neu heraus. Die Neuausgabe ist nicht, wie die bisherigen Bände
der Reihe, ein bloßer photomechanischer Neudruck älterer Ausgaben
. Zwar ist auch hier die letzte und be6te Ausgabe der besten
Handschrift (HS von 1263, hrsg. von Bodjanskij 1879) photo-
niechanisch reproduziert.^Aber da diese beste Ausgabe doch
sehr schlecht war, gibt ein ausführlicher kritischer Apparat die
Fehler dieser Ausgabe an, außerdem Varianten aus fünf anderen
Handschriften. Eine zweite Kolumne bringt den Versuch einer
Rekonstruktion des ursprünglichen Textes in normalisiertem
Altbulgarisch. Dadurch wird nicht nur der durch zahlreiche Serbismen
, willkürliche Änderungen, Schreibfehler und Inkonsequenzen
entstellte Text der Handschrift von 1263 leichter lesbar,
sondern die6e Rekonstruktion ist gleichzeitig ein sprachlicher
Kommentar der Handschrift und eine Ausgangsbasis für alle
künftige, gewiß noch notwendige Arbeit am Text. Auf der gegenüberstehenden
Seite folgen dann eine deutsche Übersetzung und
der griechische Text der von dem Exarchen benutzten Vorlage,
soweit ein solcher vorhanden und bekannt ist. Diese Seite gibt
auch dem des Slavischen nicht Kundigen die Möglichkeit, das
theologie- und geistesgeschichtlich interessante Werk zu lesen.
Im Anhang werden auf 53 Kunstdruckblättern alle fünf für den
kritischen Apparat benutzten Handschriften in verkleinerter, aber
noch gut zu lesender photographischer Wiedergabe vollständig
reproduziert. Dadurch hat der Benutzer die Möglichkeit, jede
Stelle sofort selbständig zu überprüfen. — Die ganze Ausgabe ist