Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

371-372

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Grundmann, Herbert

Titel/Untertitel:

Landgraf Philipp von Hessen auf dem Augsburger Reichstag 1530 1960

Rezensent:

Moeller, Bernd

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

371

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

372

verbreitert. Tetleben spielt auch an anderen Stellen der Reformationsgeschichte
, von Luthers römischem Prozeß bis zu den
Auseinandersetzungen um die Reformation des Reichskammergerichts
, eine gewisse Rolle, und er wird nach 1537, in seiner
verzweifelten Bemühung um die WiederhersteJlfung des Stifts
Hildesheim, geradezu „seinem Zeitgenossen Michael Kohlhaas
vergleichbar" (45) — ein redlicher Mann, der bei lebenslanger,
unbedingter Treue zur alten Kirche doch einer Reform durchaus
geneigt ist, aber in seinem eifervollen Ernst an der rauhen, seiner
Sache so wenig günstigen Wirklichkeit der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts zerbricht und zuletzt „von wemoet und be-
kummerse" stirbt.

Heidelberg Bernd M o e 11 e r

Grundmann, Herbert: Landgraf Philipp von Hessen auf dem Augsburger
Reichstag 1530. Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte
Nr. 176. Gütersloh: Bertelsmann 1959. 8 8 S. = Aus
Reichstagsakten des 15. und 16. Jahrhunderts. Schriftenreihe der
Hifitorischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften
5, Göttingen 1958, S. 341—427.

Auch diese Arbeit ist aus der Vorbereitung der Akten-
Publikation für den Augsburger Reichstag erwachsen. Ihr Ausgangspunkt
ist die Entdeckung mehrerer z. T. eigenhändiger
Briefe des Landgrafen an seine Frau aus der Zeit des Reichstages.
Aus ihnen geht hervor, daß die Krankheit der Landgräfin, die
Philipp Anfang August beim Kaiser vorwandte, um von ihm den
Abschied zu erhalten, eine Fiktion war. Vielmehr hatte der
Landgraf selbst schon längere Zeit vor dem Reichstag seiner Frau
aufgetragen, ihm auf Anforderung in einem Brief eine Krankheit
vorzutäuschen — kein Zweifel, daß Philipp dann diesen Brief zur
Begründung seiner Abreise vom Reichstag zu benutzen gedachte.

Damit ist also klar, daß jener berühmte Aufbruch des Hessen
aus Augsburg am 6. August 1530 von Anfang an ins Auge gefaßt
und von langer Hand vorbereitet war. Damit scheinen die
Erklärungen, die man bisher für Philipps Verhalten gegeben hat,
hinfällig: Die Abreise scheint weder durch die Überreichung
der Konfutation noch durch den katzenelnbogischen Streit noch
durch die Zustimmung Zürichs zum Burgrecht mit Hessen veranlaßt
zu sein. Was war der Grund?

Gr. antwortet, indem er eine politische Aktion des Jahres
1530, die bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist, neu ans
Licht stellt: das am 3. April geschlossene Bündnis Philipps mit
Heinz von Braunschweig und einer Reihe anderer norddeutscher
Fürsten zur Wiedereinsetzung Ulrichs von Württemberg in sein
Herzogtum im Spätsommer 1530. Um dieses Plans willen hat,
nach Gr., der Landgraf seine anfängliche Absicht, Augsburg überhaupt
fernzubleiben, aufgegeben, und mit ihm war er vor und auf
dem Reichstag unausgesetzt beschäftigt — Werbung für die fürstliche
Bittschrift an den Kaiser um friedliche Wiedereinsetzung
Ulrichs und gleichzeitige Werbung um Unterstützung für den im
Spätsommer (ursprünglich gar schon auf Ende Juli!) geplanten
Kriegszug, der den Württemberger wieder in sein Land führen
sollte. Diese Angelegenheit veranlaßte schließlich auch Philipps
Abreise, als nämlich die ursprüngliche Planung für den Feldzug
sich als nicht durchführbar erwies, am 28. Juli ein neuer Vertrag
geschlossen wurde, der das Linternehmen auf das Frühjahr 1531
verschob, und damit der eigentliche Grund für die Anwesenheit
des Landgrafen in Augsburg entfallen war.

Gr. schöpft für sein Buch aus der ganzen Fülle handschriftlichen
und, z. T. an entlegener Stelle, gedruckten Materials der
Reichstagsakten-Publikation, und der Beweis für die Wichtigkeit
dieser württembergischen Angelegenheit ist ihm, scheint
mir, überzeugend gelungen. Damit wird die Persönlichkeit des
Landgrafen von einer neuen Seite her kräftig beleuchtet. Philipp
hat sich also in wesentlich stärkerem Maß, als uns bisher bewußt
war, für die Förderung Ulrichs von Württemberg eingesetzt, und
er hat dazu alle Kniffe und Künste angewendet, die ihm zu Gebot
standen. Freilich — er handelt dabei durchaus nicht eigennützig
, dieses Geschäft konnte ihm selbst doch nichts einbringen
, sondern sollte nur der Verbreitung der Reformation und
der Stärkung der evangelischen Partei im Reich dienen.

An einer Stelle scheint mir der Beweisgang des Buches nicht
schlüssig zu sein. Was hat Philipp zum Aufbruch vom Reichstag
veranlaßt? Der Plan, in den Krieg zu ziehen, war durch den
Abschluß des neuen Vertrages mit Braunschweig am 28. 7. aufgeschoben
, und Gr. begründet also Philipps Absicht abzureisen
damit, dieser habe „sein Geschäft in Augsburg für erledigt" gehalten
(48). Aber kann diese Begründung genügen? Sie genügt
in der Tat, so scheint mir, um das Abschiedsgesuch des Landgrafen
an den Kaiser und die Verwendung jenes (allerdings unter
etwas anderen Voraussetzungen angeforderten) gestellten Briefes
(genau: mehrerer inzwischen empfangener Krankheitsbriefe)
dabei zu erklären. Aber sie genügt, meine ich, nicht, um zu erklären
, daß Philipp, bevor der Kaiser abgelehnt hatte, unter derart
ungewöhnlichen Umständen aufbrach (wie ungewöhnlich sie
waren, zeigt das Aufsehen, das sie machten!) und damit nicht
bloß dem Kaiser Trotz bot, sondern auch seine Glaubensgenossen
in schwere Verlegenheit setzte. Mir scheint, wenn man schon
alle anderen Gründe nicht gelten lassen will, so kann man doch
den Landgrafen hier jedenfalls nicht bloß als einen seine politischen
Aktionen ausklügelnden Rechner sehen, sondern muß ihm
mindestens auch einen kräftigen Schuß Übermut zuschreiben.
Aber ich bin nun nicht einmal sicher, ob hier nicht doch eine
Lücke bleibt, die es nahelegt, den einen oder andern der bisher
von der Forschung genannten Gründe zur Erklärung der plötzlichen
Abreise Philipps wieder heranzuziehen. Wohlgemerkt:
nicht die Absicht des Hessen, den Reichstag zu verlassen —
hier hat, scheint mir, Gr. in der Tat klar bewiesen, daß ihr ein
von langer Hand vorbereiteter Plan zugrunde lag, der mit dem
württembergischen Krieg in unmittelbarem Zusammenhang
stand—, wohl aber die Ausführung jener Absicht scheint
das Ergebnis einer raschen Entscheidung gewesen und vielleicht
durch eine ganze Reihe von Gründen veranlaßt zu sein, unter
denen die braunschweigisch-württembergische Angelegenheit
vielleicht nicht die wichtigste Rolle spielte.

Man sieht, daß dieser Einwand an dem Kern der Beweisführung
Gr.s an dem Nachweis des engen Zusammenhangs zwischen
dem Verhalten des Landgrafen auf dem Reichstag und der würt-
tembergischen Angelegenheit, vorbeitrifft. Gerade hier aber ist
das Buch bemerkenswert, weil es die vielfältig-verwickelte Geschichte
des Jahres 1530 von einer ganz neuen Seite her durchleuchtet
und indem es auf reizvolle und überzeugende Weise
unser Bild von dem doch wohl größten evangelischen Politiker
der Reformationszeit bereichert.

Heidelberg Bernd Moeller

Dankbaar, Willem F., Prof.: Calvin. Sein Weg und sein Werk. Aus

dem Holländischen übersetzt v. H. Quistorp. Ncukirchen/Krs. Moers:
Neukirchener Verlag der Buchhandlung des Erzichungsvereins 1959.
IX, 242 S., 20 Abb. i. Text u. a. Taf. gr. 8°. Lw. DM 13.80.

Die große Arbeit des Straßburger Prof. Francois Wendel über
Calvins Leben und seine Gedankenarbeit ist unübersetzt geblieben
. Sie war der beste Beitrag der Calvinforschung des letzten
Jahrzehnts. Daß Doumergues Einzelforschungen noch in einem
nur skizzenhaften Porträt auch in Deutsch erschienen, hat wenig
Breitenwirkung gehabt. Neben Einzelstudien hat W. Nicsel eine
erste deutsche Gesamtwürdigung Calvins versucht. Biographisch
war das dichterisch groß gesehene Lebensbild Stickelbergers befruchtend
im deutschen Sprachraum; aber es war zu sehr im Pro
und Contra apologetisch ausgerichtet. Meine auf August Längs Forschung
(1909) stehende Lebensskizze Calvins zog erstmals die
Briefe mit hinein. Das ist von dem Groninger Professor W. F.
Dankbaar jetzt umfangreicher, also ausgedehnter und dementsprechend
gründlicher wiederholt worden. Das fast 250 Seiten füllende
Buch ist zudem in einer sehr leicht eingehenden Sprache verfaßt
und ebenso glücklich durch Pastor Dr. theol. Heinrich Quistorp in
Kleve übersetzt. Verf. sagt, daß eigene Rundfunkvorträge den
Ausgangspunkt gebildet haben. Man kann wirklich dieses Buch
auch einem Laien oder einem jugendlich-suchenden Menschen in
die Hand legen; aber auch ein Student vor dem Examen wird es
noch mit Gewinn lesen, da hier Zusammenhänge gezeigt werden,
an denen unsere deutsch-lutherische Geschichtsschreibung bisher
meist achtlos vorüberging. Es ist zudem ein Wesenszug dieses
Buches, daß es Nebenzüge (Verwandtschaft Calvins, seine Pariser
Schulen, seine Pfründen der Studienjahre, die Kinderzahl seiner
Frau Idelette de Buren, den Verbleib seiner Freunde und Feinde,