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Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

365-367

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Rollero, Piero

Titel/Untertitel:

La "Expositio evangelii secundum Lucan" di Ambrogio come fonte della esegesi agostiniana 1960

Rezensent:

Ziegler, Adolf Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

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Seins unmittelbar innegeworden ist und daß ihm der Deus veri-
tas als die Innerlichkeit in Person unbewußt oder bewußt eigentlich
schon immer . . . Urprinzip seines Daseins und Denkens war"
(S. 246 f.). K. weist in demselben Zusammenhang darauf hin,
daß — womit die Zuverlässigkeit der Confessiones in diesem
Punkte bestätigt wird — die entscheidende Wende für Augustin
nicht erst zwischen Cassiciacum und Hippo liegt, sondern davor.
Von diesem Moment ab sei es auch das pädagogische Hauptanliegen
Augustins, seine Mitmenschen vom Draußen der Welt
über das eigene Innere des Geistes zum ganz anderen Drinnen
Gottes mitzureißen. Augustins Seinsentdeckung ist so von Anfang
bis Ende ein existentielles Ringen mit Gott und um Gott,
der als das allein wahre Sein in Person dem Menschen auch allein
personale Daseinsvollendung zu gewähren vermag (S. 252).
Diese Feststellungen K.s, die er auf das ,,augustinische Innerlichkeitsprinzip
" hin entwickelt, müssen sehr ernst genommen
werden, auch wenn man ihnen nicht in allem zu folgen vermag.

Vor allem scheint mir die Anwendung und Nutzbarmachung
der Ontologie durch Augustin in seelsorgerlicher Hinsicht viel
problematischer zu sein, als der Verf. wahr haben will. Selbst das
von K. zur Bestätigung seiner Auffassungen herangezogene Buch
van der Meers läßt unschwer erkennen, daß Augustin dem Nachvollzug
der gemachten Seinsentdeckung mindestens keine hinreichenden
Möglichkeiten eröffnete oder — gröber gesagt — das
theozentrisch wirkende Innerlichkeitsprinzip (vgl. S. 256) gerade
in diesen Nöten der beginnenden Völkerwanderung hauptsächlich
nur einer schmalen Elite zugänglich machen konnte oder auch
wollte. Die Briefe und Streitschriften geben von der sozusagen
..praktischen Seite" her immer wieder verblüffende Einblicke in
dieses „Versagen", das theologisch weitgehend auf den Grundpositionen
seiner Gnaden- und Sündenlehre beruhen mag. Wenn
K. (S. 127) mit Recht betont, daß ,,das augustinische Philosophieren
(schon in den ErstlingS6chriften) nicht anthropozentrisch, sondern
immer theozentrisch orientiert gewesen" sei, so ist hiermit
ja auch ein Bedenkliches ausgesprochen, das der Verf. allerdings
nicht weiter verfolgt. Denn welchen bestimmenden Raum kann
bei einer zudem noch radikalen Fortführung dieses Denkansatzes
die menschliche Umwelt im Denken und von da aus notwendig
im Handeln des Kirdienvatcrs überhaupt noch einnehmen? Ergibt
sich doch von hier aus letztlich eine eindeutige Absage an die
soziale Umwelt und an die Außenwelt, nicht nur an die sinnliche
Verfallenheit an die Außenwelt (vgl. S. 127). Dies muß
auch bei einer Beschränkung auf die Ontologie Augustins
Herausgestellt werden, wenn ihm hier auch keine erstrangige Bedeutung
zukommt und wenn zugleich auch betont werden kann,
daß die Schroffheit des augustinischen Denkansatzes aus praktischen
Belangen heraus — dann aber streng genommen inkonsequent
— öfter gemildert worden ist.

Die Hauptergebnisse des wichtigen Buches sollen von hier
aus allerdings nicht angezweifelt werden; manche Schwierigkeiten
ergeben sich andererseits daraus, daß K., wie oben betont,
gleichzeitig historisch-kritisch und intuitiv-nachvollziehend vorgeht
. Der Akzent liegt, wie die Analyse der Lebensberichte zeigt,
durchaus auf der letzteren Methode, die natürlich nicht immer
- dem Forschungsstand entsprechend — die Sicherheit des Ergebnisses
gewährleistet, die K. erstrebt. So könnte man vielleicht
schon von der Analyse des Berichtes über das ..frühkindliche
Erwachen" (Conf. I, 6 f., s. S. 42 ff.) weiter kommen, als es K.
Möglich war (manche Bemerkungen wie die von der ,,punischen
Glut" in den Adern Augustins oder vom Durchschnittsmenschen-
*um seines Vaters (S. 41) sind hier übrigens sehr problematisch).
Doch soll dies hier nur abschließend hervorgehoben werden, um
gleichzeitig zu zeigen, daß auch diese Themenstellung, um die K.
sich erfolgreich bemüht hat, noch weiterer Mühewaltung bedarf.

Halle/Saale Hans-Joachim Diesner

^°Hcro, Picro: La „Expositio evangelii secundum Lucan" di Am-

orogio come fontc dclla esegc6i agostiniana. Torino: Universitä di
Torino 1958. 1 59 S. gr. 8° = Universitä di Torino. Pubblicazioni della
Facoltä di Lettere e Filosofia, Vol. X, Fase. 4. Lire 1200.-.

Der Verfasser hat, wie er S. 6, A. 23 mitteilt, die vorliegende
Ar°eit als „tesi di laurea" bei Professor M. Pellest
r i n o, dem Vertreter der altchrist. Literatur an der staatl. Universität
Turin, eingereicht, in dem Sammelwerk „Augustinus
Magister" (Paris 1954) 1, 211—220 auszugsweise veröffentlicht
und dann nach weiteren Studien in der gegenwärtigen Form der
wissenschaftlichen Welt vorgelegt. Er hat untersucht, inwieweit
die ebenso umfangreiche wie inhaltsreiche Erklärung des Lukas-
evangeliums von Ambrosius auf Augustinus eingewirkt hat.
Verf. hat mit emsigem Fleiß die einschlägigen Stellen gesammelt
und mit gutem Einfühlungsvermögen und tiefer Sachkenntnis
einer kritischen Analyse unterzogen. Der Beweis der Abhängigkeit
ist zweifellos in vielen Fällen geglückt, freilich nicht in allen;
man hat mehrmals den Eindruck, daß die Beziehungen zwischen
den beiden Kirchenvätern nur vage sind und auf den Besitz der
gleichen Quelle, der Hl. Schrift, oder auf die beiden gemeinsame
christliche Denkwelt oder auf die festgefahrenen Bahnen der traditionellen
Exegese zurückzuführen sind. Auch wo ein sicherer
Einfluß vorliegt, wäre er besser nach dem Gradunterschied und
nach seiner Ausdehnung abzuschätzen gewesen. Die Arbeit des
Verfs. ist aber gewiß verdienstvoll, denn sie führt an einer genau
begrenzten Schrift und in ganz bestimmten konkreten Fällen den
systematischen Nachweis der Beziehungen von der einen zur anderen
Seite, mit den Mitteln einer möglichst exakten Forschung,
welche die heutige Literatur- und Dogmengeschichte an die Hand
gibt. Ein weiterer Vorzug der Arbeit ist die klare und saubere
Durchgliederung des Stoffes, die auch in mehreren übersichtlichen
Tabellen ihren Ausdruck findet.

In der Frage, ob Aug. schon in Mailand in den Predigten von Ambr.
eine Erklärung des Luk.-Ev. gehört hat, entscheidet sich der Verf. nicht
für eine bestimmte Lösung. Er stellt einleitend eine Gemeinsamkeit von
Prinzip und Methode heraus: des Prinzips der inneren, spirituellen Exegese
, die das Mysterium in den vom Geist erfüllten Schriften aufsucht,
und der Methode der Schriftverwertung für den homiletischen Zweck
der Verkündigung an die Gläubigen.

Wir wenden uns nun den einzelnen augustinischen Schriften zu;
Für den „Sermo Domini in monte" wäre die gut verwertbare, mit
Kommentar versehene englischsprachige Übersetzung von J. J. J e p s o n
— J. Quasten — J. C. Plumpe in den „Ancient Christian Writers"
Band 5 (vgl. Altaner in dies. Ztschr. 76, 1951, 552 und Rez. in:
MüThZ 3, 1952, 84) zu nennen. Für die moderne Exegese beruft sich
der Verf. auf Lagrange, Josef Schmid und Ricciotti. Im Sinne Schmids
hält er die Acht Seligkeiten ursprünglich mehr für Trostmotive als für
eigentlich moralische Anweisungen. Einen überzeugenden Nachweis für
Anleihen aus Ambr. führt der Verf. S. 38. Die Tabelle S. 39 f. zeigt,
daß Aug. einige Schriftzitate direkt, ohne Vermittlung von Ambr., aus
Origcnes übernommen hat. In den „Quaestionum Evang. L. II" steht
Aug. noch unter dem Einfluß der allegorisch-mystischen Schriftauslegung
von Ambr., aber er macht sich im Lauf der Jahre mehr und mehr unabhängig
von ihm. Mit der Methode der Stilvergleichung kommt der
Verf. heim Gleichnis vom barmherzigen Samaritan zu guten Ergebnissen;
er versteht es auch, die Redefiguren und Stilelemente richtig einzuschätzen
, besonders bei den für das Volk berechneten Sermonen Augustins
(S. 115). Auffallend ist, daß in den Berichten zu den Wunderheilungen
(S. 60 ff.) Ambr. mehr die Rhetorik pflegt wie Aug. Doch
läßt sich daraus nichts ableiten, weil dieser Eindruck nicht bei allen
Vergleichen besteht.

Zum „Digitus Dei" S. 65 ist nicht allein die Deutung auf den Geist
zu nehmen, es heißt auch Macht Gottes (s. W.Bauer, 6Wörterbuch 337
zu d a k t y 1 o s) und Wort (Sohn) Gottes, bei den Vätern wie Irenaeus
(vgl- L P. Smith in Anc. Christ. Writ 16, 125 f. und 163 f.). In der
Schrift „De consensu Evangelistarum" löst Aug. einige synoptische
Fragen wie die nach den beiden Genealogien Jesu in derselben Weise
wie Ambr. Was die von Ambr. vorgeschlagene Theorie von der Leviratsehe
anlangt, so hat es bei Aug. einer langjährigen und schmerzlichen
Entwicklung bedurft, bis er sich in den Retract. vollständig der
traditionellen Lösung eines Ambr. anschließen konnte. Bei der Besprechung
der „Tractatus in Joh. Evangelium" zeigt der Verf., wie diese
Schrift sowohl zeitlich wie thematisch von den vorgenannten Schriften
sich unterscheidet: Zwar ist in der homiletischen Behandlung der Hl.
Schrift noch ein Einfluß von Ambr. zu verspüren, doch übt Aug. in
dieser am meisten originellen und unabhängigen Schrift an vier Stellen
eine nicht immer schmeichelhafte Kritik an Ambr. Von den augustinischen
Sermonen, die sich über die ganze schriftstellerische Laufbahn
Augustins erstrecken, werden vom Verf. hervorgehoben Sermon 51 wegen
der Frage der Genealogie Jesu, Sermon 7 8 als Beispiel für die volkstümliche
allegorisch-mystische Deutung, und der in jeder Hinsicht
ambrosianische Sermon 100.

Zu bemängeln ist, daß der Verf. nicht immer die gleiche Zitations-
weisc anwendet, zu einigen Büchern gibt er die Abfa6sungszeit an, zu
anderen nicht (vgl. beispielsweise S. 37 mit 32), oder wenn er die Text-