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Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

360-361

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marxsen, Willi

Titel/Untertitel:

Der "Frühkatholizismus" im Neuen Testament 1960

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

360

der Korinther bestimmt (S. 205—213): Christus, die präexistente
Weisheit, ist, verborgen vor den feindlichen Mächten und von
ihnen unerkannt, vom jenseitigen Äon herabgekommen und hat
den Pneumatikern Offenbarung zuteil werden lassen. Wer zu ihm
gehört, ist selbst weise geworden und hat, weil er der Welt
prinzipiell entnommen ist, eine unbeschränkte Freiheit in der
Welt. In dieser Konzeption der Korinther aber konnte die Kreuzigung
Christi keinen Raum haben. Zu Christus gehören konnte
vielmehr nur bedeuten, „dem Pneuma-Erhöhten als dem xvQiog
t% do^rjg und der aocpia tov fieov angehören" (S. 212).

Wie sich Paulus mit dieser Christologie der Korinther
auseinandersetzt, wird im dritten Teil aufgezeigt (S. 214—224),
der Struktur und Intention der paulinischen Verkündigung des
Kreuzes in knapper Zusammenfassung darstellt. Der Menschenweisheit
der Korinther setzt Paulus Gottes Weisheit entgegen,
die im Kreuzesgeschehen offenbar geworden ist. Insofern aber
„dies Geschehen in der Welt töricht und schwach ist, ist auch
Gottes Handeln, Gottes Offenbarung im Kreuz, töricht und
schwach" (S. 219 f.). Damit aber ist nicht nur über die Weisheit
der Korinther das Urteil gesprochen, sondern über die Weisheit
der Welt schlechthin, also auch über das griechisch-philosophische
Erbe der Spätantike.

Der vierte und letzte Teil (S. 225—270) dient dazu, die Bedeutung
der grundsätzlichen Stellungnahme des Apostels herauszuarbeiten
, indem die Predigt von der Torheit des Keruzes mit
der stoischen Philosophie konfrontiert wird. In einer gerafften
Übersicht über Struktur und Grundanliegen des stoischen Schulsystems
wird aus den Quellen die strenge Gliederung des Lehrganzen
erhoben, das die drei Lehrstücke Dialektik, Physik und
Ethik umfaßt. Der Logos kann das Seiende im System denken,
begriffene Welt aber ist für den Stoiker bemächtigtes Seiendes im
Ganzen (S. 254). Daran zeigt sich, daß die stoische Lehre in
ihrem Grundanliegen der gnostischen Erlösungslehre nah verwandt
ist. Denn beiden geht es um eine Überwindung der Welt
in der Kraft des eigenen Wecens, der Logos der Stoiker entspricht
in seinem Wesen dem Pneuma der Gnostiker (S. 270). Dann
aber trifft der Xoyos tov aravQov nicht nur die Weisheitslehre
der Gnostiker, sondern ebenso den Xoyos der Stoiker,
weil das Geschehen der Kreuzigung Christi alles Vertrauen auf
das Eigene zerbricht und daher auch die stoische Weisheit, die
aocp'ta twv äv&QcoJimv ist, zur Torheit macht (S. 269).

Die mit großer Umsicht und Sachkenntnis durchgeführte
Untersuchung stellt eine beachtliche Leistung dar. Es ist dem
Verf. gelungen, die zentrale Bedeutung der beiden ersten Kapitel
des 1. Korintherbriefes herauszuheben, die gnostisch bestimmte
Christologie der Korinther deutlich zu fassen, die paulinische
Verkündigung vom X6yog tov oxavoov als Antwort auf die
aocpia -Christologie der Korinther verständlich zu machen und
damit nicht nur zur Exegese der Korintherbriefe, sondern auch
zum Verständnis der paulinischen Theologie überhaupt einen
sehr förderlichen Beitrag zu leisten.

Kiel Eduard Lohsp

J

Z i e g 1 e r, Adolf W.: Neue Studien zum ersten Klemensbrief. München
: Manz 1958. 144 S. gr. 8°. DM 10.80.

Die vorliegende Arbeit ist durchaus zeitgemäß. In den letzten
Jahrzehnten wurden gern die Beziehungen des 1. Klemensbriefes
zum Judentume hervorgehoben, die in der Tat vorhanden
sind und ihre Bedeutung haben. Unser Verf. stellt den Brief in
die griechisch-römische Welt hinein und zeigt, daß es auch hier
viele Verbindungslinien gibt. Er geht dabei gründlich vor; man
möchte an manchen Stellen urteilen: zu gründlich; denn er häufr
einen Vergleichsstoff an, der in diesem Umfang kaum ausgewertet
werden kann. Aber hier ist ein „zu viel" leichter zu ertragen,
als ein „zu wenig". Rühmend muß hervorgehoben werden, daß
Verf. genau prüft, welche Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit
seine Urteile beanspruchen dürfen. Ein Mangel ist es, daß die Belege
öfters aus zweiter Hand genommen werden.

Verf. gibt zunächst ein buntes Bild von Korinth in der damaligen
Welt; d. h. er stellt fest, welche Assoziationen dem antiken
Menschen kamen, wenn er den Namen der Stadt hörte. Den

2. Abschnitt überschreibt er „Die Sprache der Agonistik": im
1. Klem. findet sich die griechische Art wieder, Bilder vom Sport
und vom Kriege auf das ganze Menschenleben anzuwenden. Wertvoll
sind die Erörterungen über die „Stellung zur Kaisermacht":
hier fällt die Behutsamkeit des Urteils besonders angenehm auf.
Weitere Untersuchungen widmet Verf. dem Begriffe der Offenbarung
im 1. Klem., der prophetischen Erkenntnis und Verkündigung
, dem Orakel; überall wird die antike Welt, die den
1. Klem. umgibt, breit geschildert (S. 72 der übertriebene Satz:
„Die Agonistik ist für die Antike unlöslich mit dem Orakelglauben
verbunden"; Verf. überschätzt die Bedeutung der großen
Spiele und berücksichtigt zu wenig den genormten Sprachgebrauch).
Ausführlich wird auf die Frauen im 1. Klem. eingegangen, allgemein
, aber auch mit besonderer Berücksichtigung der „Danaiden
und Dirken" sowie der Medea. Weiter wird der Ratschlag besprochen
, den der 1. Klem. den korinthischen Empörern gibt,
lieber auszuwandern; antike Parallelen werden beigebracht. Endlich
wird die Frage aufgeworfen, welche Autorität der 1. Klem.
beansprucht, ob er bereits den römischen Primat voraussetze. Es
werden verschiedene Antworten mitgeteilt, die hier gegeben wur
den, und kritisch untersucht. Zum Schlüsse wird besprochen, was
wir über die Vorgeschichte des Briefes wissen.

Der Ertrag des Buches ist nicht so groß, wie man nach seinem
äußeren Umfang annehmen möchte. Aber wir danken dem Verf.,
daß er die Beziehungen des 1. Klem. zur griechischen Umwelt
sicher bestimmte, ohne dabei die Grenzen zu übersehen, die ihn
vom Heidentume trennen.

Ahrenshoop Johannes Leip ol d t

M a r x s e n, Willi: Der „Frühkatholizismus" im Neuen Testament.

Neukirchen / Kr. Moers: Neukirdiener Verlag der Buchhandlung des
Erziehungsvereins [1958]. 75 S. 8° = Biblische Studien, H. 21. Kart.
DM 4.-.

M. macht zunächst das im Thema gestellte Problem an
Hand von zwei in der schlichten gesprochenen Form wiedergegebenen
Bibelarbeiten über 2. Petr. 1, 19—21 und Jak. 2, 14—26
deutlich. Den Maßstab zur Beurteilung des als „frühkatholisch"
zu bezeichnenden nimmt er hier aus der Lehre der römischkatholischen
Kirche. Die genannten Texte erscheinen nach M.
letzten Endes als frühkatholi6ch nur, wenn man sie von dem ge
schichtlichen, in ihrem Zusammenhang gegebenen Skopus löst.
Erst „wenn ein Satz einer .frühkatholischen' Schrift Verbindlichkeit
hat auf Grund eines ,es steht geschrieben', dann wird
dieser Satz durch solchen Gebrauch frühkatholisch" (70). In einer
dritten Bibelarbeit gewinnt M. aus Matth. 16, 13—20 etwas überraschend
den Satz: das Neue Testament ist als Zeugnis der apostolischen
Zeugen (51) ,, ,Fels' . .., d. h. Grundlage, und als Fels
dann .Schlüssel', d.h. Weg zum Heil" (53). Abschließende Ausführungen
werden unter die Überschrift „Das Neue Testament
und die Einheit der Kirche" gestellt (55—72). Hier geht M. noch
einmal von den Widersprüchen innerhalb des Neuen Testaments
aus (nicht nur zwischen älteren und „frühkatholischen" Schriften
, sondern auch innerhalb der Paulinischen Homologumena,
Rom. 7, 12 und Gal. 3, 13 [57]). Sie erklären sich von der verschiedenen
geschichtlichen Situation aus, in die hinein die betreffenden
Sätze gesagt sind (62 f.). Die Einheit des Neuen Testaments
„besteht in der Verkündigung Jesu als Christus" (gen. obj.;
68), „nicht in der Gleichheit von Lehraussagen, die man dogmati-
sieren und dann zu Lehrsätzen machen könnte" (71; ob das
wirklich die Meinung von CA VII ist [71]?).

M. faßt, wie man sieht, eine ganze Reihe von Fragen in den
Blick, die mit dem im Titel genannten Thema zusammenhängen
(u.a. auch die nach den Konfessionen, deren Bedeutung M. offenbar
einschränken möchte); er gibt (außer den verhältnismäßig
breiten, instruktiven Einführungen in den betreffenden Text, die
zu einer Bibelarbeit gehören) mancherlei Gesichtspunkte für ihre
weitere Durchdenkung. Noch genauer zu klären wäre wohl vor
allem der Begriff des Frühkatholizi6mus, sodann die Zuordnung
bestimmter Schriften oder bestimmter Aussagen zum Frühkatholischen
, damit aber auch die Frage nach einem sog. Kanon
im Kanon (dessen Aufstellung M. offenbar ablehnt [59] —
die Verkündigung des „Einbruchs Gottes in die Geschichte in
Jesus von Nazareth", die man nach M. als „ .Mitte der Schrift'