Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1960 Nr. 5 |
Spalte: | 344-350 |
Kategorie: | Religionswissenschaft |
Autor/Hrsg.: | James, Edwin O. |
Titel/Untertitel: | Das Priestertum 1960 |
Rezensent: | Rudolph, Kurt |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
343
Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5
344
digten am leeren Grabe Alexanders I. in Warschau 1826 zu lesen
bekommen, hätte u. E. fehlen können. Pfarrgeschichtliche und
kirchenkundliche Beiträge, die in verhältnismäßig reicher Zahl
geboten werden, werden ihren begrenzten Wert behalten („Evangelische
und katholische Bevölkerungsgruppen im nördlichen
Pommerellen", „Die Pfarrgemeinden im Raum der lutherischen
Synode des alten Polen", „Schicksale der Evangelischen in Zirke
an der Warthe", „Karl von Rappards Stellung im Kirchenkampf
des 20. Jahrhunderts", „Das theologische Seminar in Posen",
„Der letzte Posener Konsistorialpräsident (Erich Nehring)", „Finanzen
in der Kirchenprovinz Ostpreußen"). Bleibenden Wert
dürften fünf Arbeiten haben, zunächst die über die Gründe des
Verfalls der Reformation in Polen von E. Kneifel. Hier wird der
billigen traditionellen Meinung entsagt, die Gegenreformation
trüge die alleinige Schuld am Verfall. Sie hatte aber die besseren
Führer, an ihrer Spitze Hosius und Kromer, denen die Evangelischen
gleichwertige Vertreter nicht gegenüberzustellen hatten.
Statt dessen zerfleischten sie sich im Parteihader, versäumten das
Bauerntum zu gewinnen, stützten sich auf den weithin charakterlosen
mittleren Adel, der ohne Gewissensskrupel Kirchengüter
an sich riß „oder in beispiellosem Egoismus sogar Kircheneinnahmen
für eigene Zwecke verwendete" (79); außerdem handelten sie
politisch kurzsichtig — es wird ihnen (sicherlich mit Recht) Eklektizismus
vorgehalten — und waren darum ohnmächtig, der tief-
gewurzelten katholischen Liebe des Landvolkes zu begegnen.
Erhellend für die Fragen der Historiographie ist der Beitrag von
Gotthold Rhode (Professor in Mainz) über die Reformation in
Osteuropa, mit dem Untertitel „ihre Stellung in der Weltgeschichte
und ihre Darstellung in den .Weltgeschichten' ". Hier
werden von einem Fachkenner die Grundlinien der evangelischen
Kirchengeschichte in Osteuropa ausgezogen und kritisch geprüft,
wie diese Geschichte im Werk der zünftigen Historiker des 19.
und 20. Jahrhunderts bis hin zur Historia Mundi sich widerspiegelt
. Schon allein dieses interessanten und höchst sachkundigen
Beitrages wegen muß unser Buch beachtet werden. Gern registrieren
wir das Lob, das Karl Müllers „Kirchengeschichte" erfährt, —
sie hätte zwar nicht restlos, „aber doch in weit besserer Form als
die meisten späteren .Weltgeschichten' " den Wunsch nach einer
Behandlung der Reformation in Osteuropa erfüllt. Erwähnt sei
weiter Ilse Rhodes Beitrag über die Mariaviten, eine kleine romfreie
katholische Kirche in Polen, von welcher der Durchschnittstheologe
kaum Kenntnis haben dürfte. Außerhalb der generellen
Thematik steht der temperamentvolle Aufsatz von Oscar Söhngen
über die Einsetzung des Staatskommissars und die Usurpierung
des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin im Juni 1933.
Da die Geschichte des Kirchenkampfes schon fleißig bearbeitet
wird, muß man die hier Forschenden mit Nachdruck auf diesen
für sie entlegenen Beitrag eines die Ereignisse unmittelbar Miterlebenden
aufmerksam machen. Endlich sei auf den Beitrag von
W. Gennrich über die Konferenz in Upsala 1921 verwiesen, die
weithin vergessen sein dürfte, auf der durch Vermittlung vornehmlich
Soederbloms und Berggravs die nach dem ersten Weltkrieg
entstandenen Spannungen zwischen den von Bursche-Warschau
und Blau-Posen geleiteten evangelischen Kirchen vor einem
ökumenischen Gremium verhandelt wurden. Versöhnlich der
Schlußsatz: „Den beiden verschiedenartigen Kirchenführern, denen
jedem auf besondere Weise ein tragisches Ende beschieden
war, wird die Nachwelt in gleichem Maße ein ehrendes Andenken
bewahren" (57).
Rostock Gottfried Holtz
RELIGIONSWISSENSCHAFT
Pfister, Friedrich: Alexander der Große in den Offenbarungen der
Griechen, Juden, Mohammedaner und Christen. Berlin: Akademie-
Verlag 1956. 55 S. gr. 8° = Deutsche Akademie d. Wissenschaften zu
Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft, 3. DM 5.—.
Es ist ein wertvoller Vortrag, der hier im Drucke festgehalten
wird. „In der gesamten Weltliteratur gibt es keine geschichtliche
Persönlichkeit, die die gleiche bedeutsame Rolle spielt und die
60 oft und so vielgestaltig in Geschichtsbüchern, Epen, Romanen
und Legenden, in Liedern und dramatischen Dichtungen, in frommen
Erbauungsbüchern und in prophetischen Offenbarungen dargestellt
wurde wie Alexander der Große." Diesen Tatbestand
stellt Verf. dar, mit staunenswerter Sachkenntnis; denn er muß in
manchen wenig bekannten Winkel der Geistesgeschichte hineinleuchten
; auch ungedruckte Belege werden herangezogen. Die
Entwicklung wurde nur dadurch so mächtig, daß sie von Anfang
an auch der religiösen Überlieferung angehörte. Diese setzte noch
in der Lebenszeit Alexanders ein: er hatte vier Seher in seinem
Hauptquartiere; außerdem befragte er Orakelstätten wie die des
Amön in der Oase Siwa. So führt uns der Verf. durch einen guten
Teil der Religionsgeschichte: Tatbestände der Antike, des ägyptischen
Judentums, des frühen Christentums, des Islam, des Mittelalters
werden dargestellt und beleuchtet. Man kann hier und da
einmal ein Fragezeichen setzen (hatten die Juden das Bürgerrecht
von Alexandrien? S. 24). Aber es wäre undankbar, derartige
Einzelfragen am Rande des Gedankenganges zu betonen: wir sind
dankbar für die reiche Belehrung.
Ahrenshoop Jolinnnes Lei po 1 d t
James, E. O.: Das Priestcrtum. Wesen und Funktion. Eine vergleichende
und anthropologische Studie. Wiesbaden: Rheinische Verlags-
Anstalt o. J. 388 S. 8° = Sammlung Wissen und Leben, 2. Lw.
DM 14.80.
Das anzuzeigende Buch ist die deutsche Übertragung (von
Dr. August Fröschle-Firnmann) des englischen Originalwerkes:
The Nature and Function of Priesthood. A Comparative and
Anthropological Study, London (bei Thames and Hudson) 1955.
Verf. ist der durch zahlreiche, bes. religionsvergleichende Arbeiten
bekannt gewordene Professor für Religionsgeschichte und
-Philosophie in London E. O. James.
Eine monographische Behandlung des Themas „Priestertum"
von moderner religionswissenschaftlicher Seite war schon längst
fällig. Die großen klassischen Darlegungen darüber entstammen
der Zeit vor dem ersten Weltkrieg (J. Lippert, Allgemeine Geschichte
des Priestertums, 2 Bde., 1883/84; A. Horneffer, Der
Priester, seine Vergangenheit und Zukunft, 2 Bde., 1912). Von
den kleineren seien die Artikel „Priestertum" in ERE X, 278—336
und RGG2 IV, 1481—88 (Bertholet) genannt, die aber nicht mehr
befriedigen; aus neuerer Zeit ist bes. auf J. Wach, Religionssoziologie
(1951), S. 410 ff. zu verweisen — abgesehen von den zahlreichen
tendenziösen, von tagespolitischen Interessen abhängigen
Schriften, die gerade auf diesem Gebiet zu finden sind (vgl. z. B.
R. Ch. Darwin, Die Entwicklung des Priestertums und der
Priesterreiche, Leipzig 1929).
Demgegenüber stellt die Arbeit von J. eine auf den neueren
Ergebnissen religionshistorischer und ethnologischer Forschung
beruhende Arbeit dar, über deren Zustandekommen der Autor
im Vorwort berichtet, wobei eine theologische und auch gegenwartsbezogene
Fragestellung von Gewicht gewesen ist. „Meine
Aufgabe ist es gewesen, mich im Licht der erreichbaren Daten und
mit Hilfe der modernen Wissenschaft zu bemühen, den Weg zu
ermitteln, auf dem das Christentum Form annahm, und festzustellen
, was es war und ist, was für ein Wesen und welche
Funktion ihm zukommt in der Zusammenführung und Festigung
der Gruppen, der Nation, Kultur oder Kirche, deren sich in das
Ganze fügendes Element und vermögende Kraft es darstellte oder
noch ist" (S. 11). Ferner meint der Verf., daß durch einen Rückblick
auf die Geschichte des Priestertums, das eine überall einigende
und integrierende Macht darstellt, für die Gegenwartsnöte
manches zu lernen sei — vielleicht aber auch „als Warnung dienen
" kann (ibid.; 339 f.). Letzteres scheint mir in gewisser Hin'
sieht mehr berechtigt zu sein.
Das Thema wird in acht Abschnitten, die zugleich wesentliche
Funktionen des Priesters behandeln, entfaltet. Wie üblich
wird mit den 60g. Primitivkulturen begonnen.
I. Magisch - religiöse Praktiker in der primitiven Gesellschaft
(13—38). J. versucht hier eine Klärung des Verhältnisses von Medizinmann
, Zauberer und Schamanen zum Priester, wobei das heikle Problem
von Magie und Religion in einer m. E. richtigen Weise anvisiert und
ebenso den älteren evolutionistischen (präanimistischen) Auffassungen
der Abschied gegeben wird. Eine gradlinige Ableitung de« Häuptlings
aus dem Zauberer und des Priesters aus dem Medizinmann ist nicht nachweisbar
(27 f.). Magie und Religion lassen sich in diesem Bereich schwer