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Ausgabe:

1960 Nr. 5

Spalte:

342-343

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gestalten und Wege der Kiche im Osten 1960

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 5

342

zu einem übersichtlichen Gesamtbilde der Religionspsychologie,
da6 man bisher so noch nicht hatte, fügte, das vor allem auch
seinen Wert durch die vollkommene Beherrschung der einschlägigen
Auslandsliteratur hat. Zugleich aber ist festzustellen, daß
angesichts der Fülle von Errungenschaften einer solchen, vom
Zwange überalterter Vorstellungen befreiten neuen Religionspsychologie
, die tolerant jeder besseren Belehrung von Religionsphilosophie
und Theologie geöffnet ist, auch die dogmatischen
Bedenken der theologischen Gegner der Religionspsychologie
zu überprüfen sind. Es liegt ja heute wirklich ein
echtes Bedürfnis nach Religionspsychologie und religionssoziologischen
Untersuchungen vor, die man auch von Seiten der
Theologie gelten lassen sollte als rein immanent-notwendige
Wissenschaft, zu der man das Verhältnis der Offenbarungstheologie
ohne dogmatische Gewissensbisse neu überdenken und
herstellen müßte. Diese Aufgabe ist auch von der Theologie heute
nicht mehr mit einfacher Ablehnung zu umgehen, denn es handelt
sich ja in der Religionspsychologie nicht um bloße profane Aussagen
, sondern um Erfahrung der Transzendenz, um den erlebten
Lebenszusammenhang zwischen Gott und Mensch nach seiner
konkret-empirischen Seite hin.

Es ist nicht zuletzt das Verdienst solcher Arbeiten wie der
Gronbaeks, in bescheidener Sachlichkeit die Größe wie die Grenzen
der heutigen Religionspsychologie sichtbar gemacht zu
haben. Gronbaek weist nicht umsonst darauf hin, daß bloßes Betonen
der rein praktischen Bedeutung der Religionspsychologie
nicht genügt und verhängnisvoll ist. Das Problem des Verhältnisses
von immanenter weltlicher Forschung und transzendenter
überweltlichcr Sinngehalte der Theologie wird hier nicht verschwiegen
, aber auch nicht in streitsüchtiger Polemik überblendet
und verwirrt. Darum fühlt man sich auch durch diese sympathische
Forschungsarbeit, die in sachlich gerechter Würdigung
a"e einschlägige Literatur heranzieht, nicht zur Opposition aufgerufen
, sondern nimmt dankbar einen neuen Typus von Religionspsychologie
entgegen, der die Fragen der Theologie nicht
verschleiert, sondern in einer stillen Selbstbescheidung stehen läßt
als ewige Aufgabe: Ist nicht die Erfahrung des Göttlichen eine
Erfahrung besonderer Art und darf diese noch Empirie in dem
gewöhnlichen weltlichen Sinne genannt werden? Sollte nicht gerade
das Skandalen und die „Knechtsgestalt", in der die bisherige
, streitbare Religionspsychologie praktisch in all ihrem
Umstrittensein dastand, daran gemahnen, sich nicht zufrieden
211 geben mit dem, was immanent im endlichen Forschungsbereich
erreicht wurde? Steht dem Relativen der Empirie nicht ebenso das

göttliche absolute „Du sollst" der Offenbarung gegenüber, und
ist die Welt der aus der Transzendenz geoffenbarten Werte nicht
gerade immer wieder dazu da, im Endlichen sichtbar werden zu
lassen, daß der Mensch nur lebt im Sollen, im Transzendieren
seiner Grenzen? Müssen sich so Theologie und Religionspsychologie
nicht verhalten wie wechselseitige Korrektive: Dem „Ist"
der immanenten Sphäre empirischer Wirklichkeit steht das „Du
sollst" der göttlichen Offenbarung gegenüber, und dem falschen,
heute nicht mehr haltbaren bodenlosen Fortschritts-Idealismus
der „approximativen Annäherung" (Kierkegaard) an dieses „Du
sollst" begegnet das ernüchternde Wissen um die bleibende Endlichkeit
des tatsächlich Erreichten. Verhalten sich hier Empirie
des Tatsächlichen der Psychologie und die absurde Forderung
des nie verwirklichten „Du sollst" (das in der Empirie nicht
vorkommt) der durch die Offenbarung gesetzten Werte der
Theologie nicht zueinander wie die komplementären Denkreihen
der Atomphysik: einander bedingend und doch nie zugleich
gültig? Und ist bei der Religionspsychologie nicht innerhalb
auch derselben Wissensdisziplin dies wesensmäßige Paradox
spürbar: in der Psychologie, die immer wieder ihre alten
Maßstäbe transzendieren und durch neue ersetzen muß, wie in
der Theologie, die auch in den einzelnen zeitbedingten Formen
in der Immanenz erstarrt und durch die Offenbarung immer aufs
neue auf die Tanszendenz ausgerichtet werden muß? Und die
Religionspsychologie dazwischen, am Paradox beider Seinsgebiete
(Psychologie und Theologie) unter Leiden und bescheidenen
Entdeckerfreuden Anteil habend, in ihrer Problemstellung
stets aufs neue sich mit der Psychologie erneuernd, aber auch
Kreuz und Leiden der theologischen Problematik in unserer
Zeit auf sich nehmend. Darin allein kann ihr Situationsbewußtsein
in der gegenwärtigen Zeit des Überganges bestehen. Lind
wirkt sie dadurch nicht an ihrem Teile klärend für die Zukunft
auch der Theologie mit?

Guardini hat einmal gesagt, die Psychologie, Anthropologie
und Soziologie sehen den Menschen ohne Gott und geben
daher nur ein Gespenst des Menschen; erst eine Wissenschaft,
die den Menschen von Gott her sieht, gibt sein wahres Wesen.
Nun, die Religionspsychologie hätte diese Aufgabe zu leisten,
dadurch unterscheidet sie sich von profaner Psychologie, aber
nur, indem sie sich selbst transzendiert, indem sie immer wieder
darauf hinweist: Der empirische Mensch ist nicht, wie er „von
Gott her" 6ein soll — er bedarf der Gegenspannung durch das
absolute ,,Du sollst" der göttlichen Offenbarung. In dem Paradox
zwischen beiden liegt seine Existenz.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

F a b u 1 a. Zeitschrift für Erzählforschung / lournal of Folktale Studies /
Revue des etudes sur Ie conte populaire. Hrsg. v. Kurt Ranke unter
besond. Mitwirkung von W. Anderson, L. Bodker, R. Th. Christiansen
, G. Ortutay, A. Taylor u. St. Thompson, Bd. IL Berlin: de
Gruyter 1959. 324 S. m. Abb. u. Taf. gr. 8°. DM 36.—.

Der erste Jahrgang dieser neuen Zeitschrift wurde in der
••Theol. Literaturzeitung" 1959 in Heft 5, Sp. 335-336 ausführlich
angezeigt. Der zweite Jahrgang erfüllt, was der erste verheißen
hat. Er bringt wiederum einige Abhandlungen, deren Stoffe
dem Bereich der Theologie nahestehen:

1) „Erzähler auf der Kanzel" (Elfriede Moser-Rath, München
, S. 1-26) handelt über Form und Funktion des barocken
Predigtmärleins. Es handelt sich um Predigten, die wirklich gehalten
worden sind. Sie zeigen, wie im Stilschwulst des Barock
dort eine volkstümliche schlichte Sprache gesprochen wurde, wo
begabte Prediger das Gehör des Volkes finden wollten und fanden
. _ 2) „Der verbrannte und wiedergeborene Mensch"
(Milko Maticetov, Ljubljana, S. 94-109). - 3) „Dornröschen"
(Jan de Vries, Utrecht, S. 110-121). Dieses bekannte Märchen
gehört nicht zu den eigentlichen Volksmärchen. So ergibt sich die
£rage: Woher stammt das von Grimm aufgezeichnete Märchen?
u'e Untersuchung verfolgt die Herkunft über französische Texte
Und den Bereich der Gralssage zurück in den Raum keltischgermanischer
Heldensage. Doch genügt es, schließlich nur zu sagen
, der Charakter dieser Erzählung „schwankt unsicher zwischen
Novelle, Heldensage und Mythus"? Sollte hier nicht der Schritt
gewagt werden, solche Stoffe auch in der Schau der Tiefenpsychologie
auszudeuten? — 4) „Die Berufung durch überirdische Mächte
in sagtümlicher Überlieferung" (Edmund Mudrak, Wien, S. 122
—138). — 5) „The Esoteric-Exoteric Factor in Folklore" (William
Hugh Jansen, Lexington, S. 205—211). — 6) Zwei der Kleinen
Beiträge: „Die Volkserzählung vom falschen Sarg" (Ivan Grafenauer
, Ljyblanka, S. 265—269); „Das Sündenregister auf der
Kuhhaut" (Alexander Scheiber, Budapest, S. 270—271).

Geislingen/Steige Friso M e 1 z e r

[Rhode, Arthur:] Gestalten und Wege der Kirche im Osten. Festgabe
für Arthur Rhode zum 90. Geburtstage am 13. Dezember 195 8. Hrsg.
von Harald Kruska. Ulm/Donau: Verlag „Unser Weg" 11958).
272 S„ l Porträt, 1 Kte. 8°.

Das Buch ist eine Gabe der Pietät an einen Neunzigjährigen,
der als Pfarrer, Superintendent, Synodalvertreter und Dozent für
Altes Testament und Kirchengeschichte Polens am Predigerseminar
in Posen den deutschen evangelischen Gemeinden in Polen
reich gedient hat. Aus seiner Bibliographie sei die „Geschichte
der evangelischen Kirche im Posener Lande", 1956, besonders
hervorgehoben. Einer Schlußbemerkung ist zu entnehmen, daß
der greise Jubilar eine größere Kirchengeschichte Posens vorbereitet
.

Die Beiträge der Festschrift 6ind von unterschiedlichem Wert.
Was wir z.B. über Ernst Barczewski und über die polnischen Pre-