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Ausgabe:

1960

Spalte:

7-20

Autor/Hrsg.:

Fascher, Erich

Titel/Untertitel:

Ökumenisch und katholisch 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 1

B

von den redaktionellen Zusätzen in dem jetzigen Neh und so audi
keine Spur von den jetzigen Kombinationen in Neh 8—10 (s. mein
Statholderen Nehemia, Oslo 1916, S. 7 f., wo nachgewiesen
ist, daß Esr 9, 27 = Neh 7, 72 ein-späterer Zusatz ist,
und daß der ursprüngliche Übersetzer des chronistischen Werkes
somit nicht Neh 8 in Verbindung mit Neh 7 vorgefunden hat;
die Einwände Kittels, Zur Frage der Entstehung des
Judentums. S. 31 £f-, verfangen nicht); d.h. mit anderen
Worten: Josephus hat Neh als selbständiges Buch vorgefunden
und benutzt; c) als selbständiges, nicht mit der Es rageschichte verbundenes
Buch hat es auch Sirach gelesen, der Neh in seinem
Laus patrum rühmend nennt, von einem Esra aber kein einziges
Wort zu sagen hat. — Wenn es dem Kommentar G.s gelingen
sollte, an diesem Punkte eine dauernde Klärung zu bewirken,
könnte man das nur mit Freude begrüßen. — Ausdrücklich sei auch
bemerkt, daß G. mit Recht Esra später als Neh. ansetzt. Zu einer
Manipulierung mit den überlieferten Jahreszahlen (auch bei Rudolph
) liegt kein Grund vor.

G. bezeichnet immer noch die Denkschrift Neh.s als „Memoiren
". Das ist ein Modernismus, der weder der literarischen
Art der Denkschrift, noch den literarischen Sitten der Zeit gerecht
wird. Wie G. sich eigentlich die literarische Art und den Zweck
der Denkschrift vorstellt, hören wir nicht. Die Frage läßt sich
nur in Verbindung mit einer genauen stilistischen Analyse, wie
sie Ref. in Statholderen Nehemia gegeben hat, beantworten
: Gott ist als der eigentliche Leser der Denkschrift gedacht
; ihn bittet Neh., seiner frommen Taten „zum Guten zu gedenken
"; die Sdirift ist daher dazu bestimmt, als Weihgeschenk im
Tempel deponiert zu werden; zugleich soll 6ie aber auch von der
Nachwelt gelesen werden können und so dem frommen Statthalter
„den ewigen Namen, der besser als Söhne und Töchter ist"
(Jes 56,5), sichern (Statholderen Nehemia, S. 155f.).

Wenn G. auf diesen Zweck der Denkschrift aufmerksam gemacht
worden wäre, so würde er gewiß nicht Neh. selber die Bauliste
Neh 3 in die Schrift aufnehmen lassen, zumal die Liste den naheu
sachlichen Zusammenhang zwischen 2,19—20 und 3, 33 ff. zersprengt
; die Verse 2. 10. 19—20 dem Chron** zuzuschreiben ist
ein mißlicher Ausweg. - Ebenso läßt G. Neh selber die „Syn-
oiki6mosliste" in Kap. 11 (s. oben) aufgenommen haben; das
scheint aber sehr wenig zu dem Zweck der Denkschrift zu stimmen
. — Den sekundären und deutlich apologetisch-entschuldigen-
den Charakter von Neh 13, 6—7a hat G. auch nicht erkannt;
s. darüber S ta t h o 1 d e re n Nehemia, S. 59 f.

Andererseits ist durchaus zu billigen, daß G. 7, 5b — 72a der
Denkschrift abspricht und dem Zusammenarbeiter von Esr und
Neh (G.: Chron**) zuschreibt. Für denjenigen, der die Art und
den Zweck der Denkschrift erkannt hat, ist es eigentlich selbstverständlich
, läßt sich aber unabhängig davon aus einer Verglei-
chung der Zusammenhänge und Textformen nachweisen (Statholderen
Nehemia, S. 37 ff.).

Zum Schluß möchte ich bemerken, daß meine Skepsis dem
supponierten Chron** gegenüber nicht bedeutet, daß nicht viele
der diesem von G. zugeschriebenen Verse auch wirklich sekundär
sind. So hat G. Neh 1, 5—11 mit Recht als Zutat betrachtet; es
fragt sich nur, ob man nicht aus Josephus einen kurzen Stoßseufzer
rekonstruieren könnte.

Vom Gesichtspunkt des nicht fachkundigen Bibellescrs ist
G.s Buch gut geeignet, ein Bild sowohl von dem Werke des Chron
als auch von dem geschichtlichen Inhalt der dort geschilderten
Begebenheiten zu geben — wenn auch letzteres immer fragmentarisch
bleiben muß. Dem Ref. hat das Buch dazu die Gelegenheit
gegeben, sich noch einmal in die vielen Probleme hineinzudenken
und die Ansichten und Argumente des Verfs. auf sich wirken za
lassen.

Ökumenisch und katholisch

Zur Geschichte zweier, heute viel gebrauchter Begriffe

Von Erich F a s c h e r, Berlin j0%ef Hromädka zum 70. Geburtstag

Zu der heutigen Problematik, wie sie J. L. Hromädka auf der
christlichen Friedenskonferenz in Prag (1. 6. — 4. 6. 1958) aus der
Sicht eines Theologen vor seinen Zuhörern entwickelt hat1, der sich
weder als Politiker noch als Kulturträger, sondern als christlicher
Zeuge und Seelsorger verstanden wissen will, gehört die ökumenische
Frage in verschiedener Blickrichtung. Zu den Mißtrauischen
gewendet heißt das: Wir beabsichtigen keine Spaltung der Ökumene
, wir bleiben der von Genf aus organisierten Ökumene treu.
An die Adresse der ehrwürdigen orthodoxen Vertreter wurde
die Bitte gerichtet. 6ich durch den Gebrauch des Wortes ökumenisch
nicht beunruhigt zu fühlen; denn es sei dabei nicht an die
offizielle Organisation, sondern an theologische und geistige
Zusammenarbeit und an die Annäherung der Kirchen untereinander
gedacht. Das Wort ökumenisch „drückt die Sehnsucht der
Kirchen nach der ,Una Sancta' aus, nach einer wahren Kirche
Jesu Christi, die Sehnsucht nach brüderlicher Zusammenarbeit und
Gemeinschaft in der tiefsten Tiefe unseres Glaubens, unserer
Liebe und unserer Hoffnung". In dieser letzten Tiefe wissen wir
uns eins als die Angehörigen verschiedener Kirchen, welche getrennt
sind durch geistige, theologische und liturgische Traditionen
.

Das Wort „ökumenisch" soll ako die Brüder der protestantischen
Genfer Ökumene, der orthodoxen Ostkirchen und aller bisher noch nicht
zusammengeschlossenen freien Kirchengemeinschaften umfassen — der
Hinweis auf die Una Sancta schließt die römisch-katholische Kirche wohl
mit ein — und damit „die Grenzen der bestehenden ökumenischen Organisationen
überschreiten" (a. a. O., S. 9).

Aus einer anderen Ecke Europas, aus Basel, läßt sich der bekannte
Neutestamentier O. Cullmann wie folgt vernehmen: „Ich bin weit davon
entfernt, die verheißungsvolle Arbeit zu unterschätzen, die der
Weltkirchenrat in Genf verfolgt, um alle nicht römischen Kirchen zu ver-

') J. L. Hromädka: „Die heutige Problematik, gesehen von einem
Theologen", in „Aufgabe und Zeugnis". Praha 1956, S. 8-15.

einen ... ich bin jedoch immer mehr davon überzeugt, daß ihre positiven
Ergebnisse uns nicht veranlassen dürfen, auch nur einen Augenblick
die andere ökumenische Aufgabe, nämlich die Beziehung zwischen der
römischen und der nicht römischen Christenheit aus dem Auge zu verlieren
"1. Cullmann baut seine Einigungsgedanken auf der Solidarität getaufter
Christen auf. welche durch Gebet, Liebesopfer und theologische
Diskussion zwischen Christen nicht vereinbarer, well fest organisierter
Kirchen dennoch möglich sei.

Zu diesen beiden Stimmen geselle sich, um den Dreiklang zu vollenden
, die des Straßburger Paters Congar: „Die Spaltungen sind nun
Tatsache. Es gibt aber noch eine zweite Tatsache, nämlich unser Heimweh
nach der Einheit"3. Dazu tritt aber das ernste Problem der Glaubwürdigkeit
in der christlichen Mission. Wie sollen ein Chinese, ein Hindu, ein
Moslem uns ein Wort wie Joh. 17, 20 f. abnehmen, wenn wir gespalten
sind und uns bis auf den Tod bekämpfen? (ebda S. 214) Congar ist
überzeugt, daß auch im ökumenischen Weltkirchenrat Gottes Geist am
Werke ist; denn er weckte dieses neue Verlangen nach Einheit In den
Herzen, dem man heute überall begegnet (S. 215). Wenn die katholische
Kirche dieser Arbeit dennoch fern bleibt, auch wenn sie sie mit ihren
Gebeten begleitet (S. 217), so geschähe das nicht aus Hochmut, sondern
aus Gründen der Lehre. Die katholische Kirche darf nämlich nicht zugeben
, daß die Einheit der Kirche Christi und der Apostel eine offene
Frage 6ei; denn das hieße den Verlust dieser Einheit anerkennen, und
sie wäre nie wieder herzustellen. Andererseits gesteht Congar aber ein:
es ist undenkbar, daß das Werk des Neuen Bundes sich in mehrere Kirchen
geteilt hätte, ohne daß diese im einzelnen rein menschliche Schöpfungen
wären (S. 216). Auch er fordert ein vertieftes Schriftverständnis
und ist der Ansicht, daß ein neu«« Verständnis der Geschichte, insbesondere
der Konfessionsgeschichte, die getrennten Christen aufeinander zuführen
werde. In einer geduldigen Diskussion werde uns im Lauf der
Entwicklung ein gemeinsamer Standort oberhalb unserer jetzigen Stand-

*) O. Cullmann: Katholiken und Protestanten. Basel o. J. S. 9.
Vgl. dazu weiter O. Cullmann: Das Christentum und das ökumenische
Problem (ökumenische Rundschau 1957, S. 105—116).

') Yves M. J. Congar OP Straßburg: Das ökumenische Anliegen
(Una Sancta. November 1958, 213-234).