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1960 Nr. 4

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 4

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biete von Kirche und Staat ist für Zwingli Voraussetzung für
alles, was in Zürich neu versucht und in der gesamten Geschichte
von Kirche und Staat zum ersten Male durchgeführt
wurde.

Die Trennung der beiden Aufgabenkreise von Kirche und
Staat bedeutet für Zwingli „nicht im geringsten, daß sich die
Kirche deswegen von politischem Leben zurückziehen und auf ihr
eigenes Gebiet beschränken sollte" (242). Im Gegenteil, die
Kirche als die Verwalterin des Wortes Gottes hat auch über die
irdischen Dinge zu wachen und sich, sobald sich hier irgendein
Unrecht zeigt, zum Wort zu melden. „Diese Aufsichtspflicht umfaßt
eben das ganze Leben. Die Kirche hat die Aufgabe, überall
zum Rechten zu sehen und dabei vor gar keiner Hoheit, auch
nicht vor derjenigen der Obrigkeit, halt zu machen" (242). Und
was den evtl. Widerstand gegenüber der Regierung betrifft, so
hat auch das christliche Volk die Aufgabe, „auf das Wort der Propheten
zu hören und dort, wo es nötig wird, gegen einen unbotmäßigen
Fürsten aufzutreten ... Nach Zwingli hat ein feiges
Volk kein Recht, sich über sein Los zu beklagen.. . Wäre ihm
nämlich die Gerechtigkeit wirklich das Höchste, so wäre es auch
einhellig willig, den Wüterich abzusetzen. Ist da6 aber nicht der
Fall, so ist das nur ein Zeichen dafür, daß diesen Menschen noch
immer alles andere wichtiger erscheint. Unter dieser Voraussetzung
ist es auch nur in Ordnung, wenn sie mit einem solchen
Bösewicht bestraft werden. Sie verdienen es dann nicht besser.
Nicht nur ihr Regent, sondern auch sie selber kümmern sich ja
in Wirklichkeit gar nicht um Gott" (245). Es geht hier in der
Tat nicht nur um ein Widerstandsrecht, sondern um die Widerstandspflicht
.

„Nach Zwingiis Auffassung soll sich der Staat und die Kirche
und ebenso auch das Volk und seine Leitung gegenseitig die
Waage halten. . . Seine Tendenz, sämtliche Faktoren des öffentlichen
Lebens gegeneinander auszubalancieren, kommt daher,
weil nach seiner Auffassung Christus seine Regierungsgewalt
nicht abgetreten hat. .. Nach seinem Urteil besitzt die Leitung
der Kirche nie im eigentlichen Sinne des Wortes eine geistliche
Regierungsgewalt... Christus hat eben die Leitung 6eines Volkes
nicht auf einen anderen übertragen. Er ist auch nach seiner
Himmelfahrt noch immer unter ihm und leitet es nach seinem
Wohlgefallen" (249/50). So weisen sich Kirche und Staat gegenseitig
in die Schranken. „Dem Staate gegenüber vertritt die
Kirche das Volk. Ihre Leiter sind dessen Ephoren. Ihnen gegenüber
sind die weltlichen Obern wieder in derselben Lage. Sie
sollen, wenn sich die Kirche in Not befindet, ihr ihre Dienste anbieten
und in ihr zum Rechten sehen... Ihre gegenseitige Kontrolle
hat also darin ihren Grund, weil weder die kirchliche noch
die staatliche Leitung und ebenso aber auch nicht da6 Volk über
die Regierungsgewalt verfügt, sondern Christus der Herr ist und
er diese Gewalt für sich in Anspruch nimmt. Das hat zur Folge,
daß weder die kirchliche noch die politische Führung sich über
das Volk erheben und es vergewaltigen darf und jede die andere
gerade daraufhin überwachen soll. Indem sie sich aber so gegenseitig
in die Schranken weisen, geben sie 6ich damit auch gegenseitig
ihr eigentliches Sein. Die Kirche erhält daher vom Staat
die Möglichkeit, wirklich Kirche zu sein. In einer solchen Staatskirche
bleibt der kirchlichen Leitung nur noch die Aufgabe, die
göttliche Gerechtigkeit zu verkünden. Sie wird rein auf das
Prophetenamt beschränkt. Sie soll weder herrschen noch richten,
sondern lehren und in Wort und Wandel auf die in Christo offenbar
gewordene Liebe hinweisen. Um etwas anderes soll sie sich
gar nicht bekümmern... Was so zum Organisatorischen und damit
zur weltlichen Gerechtigkeit gehört, wurde von der Obrigkeit
geregelt. Aus diesem Grunde konnten die Vertreter der
Kirche ausschließlich das Prinzip der höheren Gerechtigkeit vertreten
und es auch entsprechend vorleben. Der Staat hat damit
der Kirche, indem er ihr das Organisatorische abgenommen hat,
ihr Kirche-Sein bewahrt. Umgekehrt bewahrte aber auch die
Kirche dem Staate seine Staatlichkeit. Indem er nämlich so von
oben her beschrankt wurde, wurde er auf sein eigenes, nun wirklich
ihm zugehöriges Betätigungsfeld verwiesen... Dieses System
kann nur dann richtig funktionieren, wenn diese Staatskirchc von
Zwingiis eigenem, unerschrockenem Prophetengeist erfüllt ist.
Das ist zweifelsohne ihre Schranke. Unter dieser Voraussetzung
jedoch gibt jeder Teil dem anderen das Seine, die Kirche dem

Staate seine Staatlichkeit, und der Staat der Kirche ihr Kirche-
Sein" (252/58). -

Zu diesen klaren Darlegungen kommt der Verfasser, nachdem
er zuvor in einem ersten Teil die göttliche Gerechtigkeit
und in einem zweiten Teil die menschliche Gerechtigkeit nach
Zwingiis Lehre sorgfältig untersucht hat. Dabei geht es um die
Frage nach der Gottesgerechtigkeit, nach der Erkenntnis der Gerechtigkeit
, nach der Freiheit unter dem Gesetz, nach der Rechtfertigung
und nach der Heiligung — dies alles als die Darlegung
der göttlichen Gerechtigkeit. Unter der Frage nach der menschlichen
Gerechtigkeit behandelt der Verfasser die Frage nach der
Grenze der göttraien Einwirkung, nach der „Bresthaftigkeit"
der menschlichen Gerechtigkeit, nach dem Adel der menschlichen
Gerechtigkeit, nach der religiösen Aufgabe des Staates wie der
politischen Aufgabe der Kirche. —

Durch diese umfassende Monographie ist eine weitere Lücke
in der Darstellung der Theologie Zwingiis geschlossen, so daß
sich das Gesamtgebiet der Theologie Zwingiis immer mehr abzurunden
beginnt — eine seit Jahrzehnten notwendige Aufgabe
innerhalb der Interpretation reformatorischer Theologie.

Münster/Westf. Paul Jacob«

[Zwingli, 11.:] Aus Zwingiis Predigten zu Jcsaja und Jeremia. Unbekannte
Nachschriften, ausgewählt und sprachlich bearb. von Oskar
Farn er. Zürich: Verlag Berichthaus 19 57. 319 S. kl. 8° = Veröff.
der Rosa Ritter-Zweifel-Stiftung, hrsg. von Robert Ritter-Zweifel,
Religiöse Reihe.

Der Band enthält Auszüge aus Continua-Predigten Zwing-
lis, die hiermit erstmalig gedruckt veröffentlicht werden. Es ist
jedoch nur ein Viertel dessen, was in Nachschriften der Jesaja-
und Jeremia-Predigten Zwingiis vorliegt. Farner bietet Auszüge
aus den in der Zentralbibliothek Zürich vorhandenen und bisher
unbeachtet gebliebenen Manuskriptbänden zu Jesaja (Sign.:
Ms. Car I 185) und Jeremia (Sign.: Ms. Car I 185a). In einem
wissenschaftlichen Einleitungsteil (S. 9—22) führt der Herausgeber
den Nachweis, daß die Manuskripte auf Nachschriften des
Zwinglifreundes Leo Jud, des Pfarrers an St. Peter in Zürich,
zurückgehen, sowie bei der Jeremia-Nachschrift auf einen weiteren
Gewährsmann. Er weist nach, daß die Predigtnachschriften
später in den uns heute vorliegenden Manuskripten von H. B.
(Heinrich Buchmann), dem Bruder des Theodor Bibliander, zusammengefaßt
worden sind.

Da wir bisher — ungleich anders als bei Luther und Calvin —
von der Predigttätigkeit des Zürcher Reformators nur ganz geringe
Quellenkenntnisse hatten, ist diese erste für einen weiteren
Leserkreis bestimmte Ausgabe von nachgeschriebenen
Zwingli - Predigten ein dankenswertes Unternehmen. Die getroffene
Auswahl zeigt auch in der modernisierten Sprache dem
Leser einen volkstümlichen Prediger und bedeutet auch für die
Kenntnis der Theologie und Staatsauffassung Zwingiis eine
weitere Bereicherung.

Nach der bereits genannten Einleitung vom Herausgeber
(S. 9—22) werden S. 10—158 Auszüge aus den Jesaja-Predigten
und S. 159—291 aus den Jeremia-Predigten geboten. In einem
Anhangsteil ist S. 295—308 Zwingiis Von-ede zu seinen Jesaja-
Erläuterungen und S. 309—318 eine Textprobe (zu Jer. Kap. 11)
der von Heinrich Buchmann angefertigten und aus verschiedenen
Vorlagen redigierten Nachschrift des in der Zürcher Zentralbibliothek
vorhandenen Bandes (Sign.: Ms. Car I 18 5a) beigefügt.
Zu dieser Textprobe hat Farner Notizen eines ungenannten
Schreibers (F. vermutet hier eine Nachschrift der ursprünglichen
Exzerpte Leo Juds) in Fußnoten abgedruckt (Zürcher Zentral'
bibliothek Sign.: Ms. S 429).

Zum Schluß ein kleiner Hinweis: Trotz der Kapitelangaben
wären die Versangaben bei den jeweiligen Bibelzitatcn wünschenswert
. Vielleicht könnte das bei einer weiteren Auflage
berücksichtigt werden, die man der Veröffentlichung wünschen
möchte.

Joachim Houbach

Courcelle, Pierre: Luther interprete des Confessions de saint
Augustin.

Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuses 39, 1959 S. 235—250.