Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1960 Nr. 4

Spalte:

255-264

Autor/Hrsg.:

Holtz, Gottfried

Titel/Untertitel:

Das Romanusbüchlein 1960

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3, Seite 4, Seite 5

Download Scan:

PDF

255

Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 4

256

Kirche zu untergraben. Da aber dem Papst nicht mehr, wie zur
Zeit der Kreuzzüge, die Verfügung über das europäische Rittertum
zustand, sondern dieses längst in die europäischen Reiche
eingegliedert war, so blieb ihm als Mittel zur Durchsetzung seiner
Weltpolitik nur das Geld übrig, und das entspricht auch der damals
immer weiter hervortretenden Geldwirtschaft. Aber es
versteht sich, daß dieser Fiskalismus nicht nur die Staaten, sondern
auch die gesamte Kirche gegen die Kurie aufbringen mußte.
Sicher ist Bonifaz VIII. der Repräsentant des äußersten politischen
Machtwillens des Papsttums gewesen. Gerade von seinem
Streben nach materiellen Gütern gibt der Verfasser ein lebendiges
Bild, und ebenso von den Schwierigkeiten, in die gerade
Bonifaz VIII. mit seiner unbedingten Forderung auf Weltherrschaft
gegenüber den europäischen Mächten gekommen ist.
Ob man ihn einen einsamen Riesen nennen kann, möchte man
doch 6ehr bezweifeln.

Indessen i6t es dem Verfasser entgangen, daß Pap6t
Pius XII. in seiner Rede vor dem Ausschuß des Internationalen
Historikerkongresses am 7. 9. 1955 sich gerade mit den entscheidenden
Bullen Bonifaz' VIII. befaßt hat. so besonders, wenn
Bonifaz darin bemerkt hat: „Alle Gewalt kommt von Christus
und von uns als dem Stellvertreter Jesu Christi." Pius XII. bemerkt
dazu, daß diese mittelalterliche Auffassung bedingt war
durch die Verhältnisse, in der sie vorgetragen war. Er zieht damit
als Papst den Schlußstrich unter die politische Weltherrschaftsforderung
des Papsttums. Ebenso nimmt er in dieser Rede gegen
die Auffassung Stellung, daß die Kultur des Mittelalters als die
katholische Kultur bezeichnet werden kann und erklärt, daß die
katholische Kirche sich mit keiner Kultur identifiziere". Es bedarf
keiner weiteren Ausführung, daß diese feierliche Stellungnahme
des Papstes von außergewöhnlicher Bedeutung war. Sie
ist auch eine klare Ablehnung der Auffassung des Verfassers vom
Geist des Mittelalters. Den Schluß bildet das Konzil von Konstanz
unter dem Stichwort „Krise der mittelalterlichen Welt".
Einleitend behandelt der Verfasser die Unterwerfung der Kurie
unter das französische Königtum. Die französischen Könige haben
wie unsere mittelalterlichen Kaiser die Kurie als Instrument ihrer
Macht zu benutzen versucht. Unsere mittelalterlichen Herrscher
haben aber ernste Anstrengungen gemacht, eine Reform der
Kirche durchzusetzen, und sie haben schließlich der Reform-

") Discoure de Sa Saintete le Pape Pie XII au Xe Congres International
des Science« Historiques 7. September 1955. Cite du Vatican,
1955.

bewegung den Weg nach Rom geöffnet. Die französischen Könige
waren an der notwendigen Reform der Kirche nicht interessiert.
Zu wenig berücksichtigt der Verfasser den Zusammenhang zwischen
den französischen Verhältnissen und der Lage der Kurie in
Avignon. Eine entscheidende Bedeutung hat der 100-jährige Krieg
gehabt, der die Möglichkeit bot, bei der Erschütterung der französischen
Macht das Papsttum wieder nach Rom zurückzuführen.
Aber dadurch konnten die Schäden nicht geheilt werden. Es war
vielmehr nötig, daß das Papsttum endgültig auf seine politische
Weltherrschaft verzichtete und durch diesen Rückzug die Anerkennung
der inzwischen so 6tark gewordenen europäischen
Mächte erhielt. Der Verfasser sagt richtig, daß das Konzil von
Konstanz den Sieg der europäischen Mächte über das Papsttum
darstellt, aber das ist nur einseitig, denn das Papsttum hat durch
geschickte Konzessionen, d. h. durch die Konkordate, ein besseres
Verhältnis mit den politischen Gewalten hergestellt, durch die es
seine Autorität über die Kirche wiedererlangte. So 6ehen wir das
merkwürdige Schauspiel, daß in Konstanz die heftigsten Anklagen
gegen das päpstliche System erhoben wurden und andererseits
Hus, einer der schärfsten Vorkämpfer gegen diese Mißstände,
verurteilt und verbrannt wurde. Es entsprach der Politik der
europäischen Mächte, ein Papsttum zu schaffen, das ihre eigene
Macht über ihre Kirchen sanktionierte. Aber für die Forderung
nach einer grundsätzlichen Reform war man um so weniger zu
haben, als man fürchtete, daß auch die weltlichen Gewalten in
ihrer Rechtsgrundlage bedroht werden könnten. Aus diesem
Grunde muß man die These des Verfassers ablehnen, daß die
christliche Republik in dem Konzil von Konstanz ihr Ende gefunden
hat, vielmehr ist es offensichtlich, daß durch die Schaffung
eines allgemein anerkannten Papsttums diese Einheit noch einmal
bekräftigt wurde. So dürfen wir abschließend sagen: der Verfasser
hat keine Lösung des Problems, was als Geist des Mittelalters
zu bezeichnen ist, gegeben; die christliche Republik, von
der er spricht, ist überhaupt eine ziemlich willkürliche Konstruktion
. Indessen, die so einseitige Sicht des Verfassers ist nicht ohne
Nutzen, weil sie dazu anregen kann, gerade im Widerspruch den
eigenen Standpunkt schärfer zu definieren. Auch vom protestantischen
Standpunkt aus dürfen wir uns dem Urteil des Papstes
Pius XII. anschließen, daß die Kultur des Mittelalters nicht als
katholische Kultur schlechthin bezeichnet werden darf. Vielmehr
zeigt die Geschichte des Mittelalters, daß es für das Christentum
nicht auf die äußere Herrschaft der Kirche ankommt, sondern daß
gerade diese der evangelischen Aufgabe der Kirche schädlich
sein kann.

Das Romanusbuchlein

Von Gottfried

Während die Altertumswissenschaft eifrig hellenistische
Zauberbücher herausgegeben, übersetzt und kommentiert hat1,
liegt die Edition deutscher Zauberbücher im Argen. Albrecht
Dieterich forderte seit 1902 „eine Art Urkundenbuch aller hauptsächlichen
Gestaltungen"; „so wäre der heute völligen Planlosigkeit
und Zwecklosigkeit der zahllosen Publikationen von
immer wieder demselben Aberglauben und denselben Zaubersprüchen
an allen möglichen Orten der Literatur sofort abgeholfen
"*. Auf Dieterichs Forderung geht die „Sammlung
der deutschen Segens- und Beschwörungsformeln" zurück, die
wir vor allem Hugo Hepding und Adolf Spamer, aber
auch Christian Frank2* zu danken haben. Spamer hat aus
gedrucktem und handschriftlichem Material etwa 22 000 Nummern
zusammengebracht, außerdem die bislang größte Bibliothek
der gedruckten deutschen Zauberbücher. Hüter dieser
Schätze ist das Institut für Deutsche Volkskunde bei der Deutschen
Akademie der Wissenschaften in Berlin geworden. Aus dem
Nachlaß Spamers ist 1958 das Romanusbüchlein herausgekom-

*) K. Preisendanz, Papyri Graecae Magicae I 1928 II, 1931; zur
Literatur s. C. Schneider, Gei6tesgeschichte des antiken Christentums II,
1954, S. 341.

*) „Über Wesen und Ziele der Volkskunde", in: Hessische Blätter
für Volkskunde 1902, S. 191 f.

2») s. Franz Lemer, „Deutsche Gaue" 1959. Bd. 50, S. 81 ff.

Hermann Teuchert zum achtzigsten Geburtstag

men3, pietätvoll betreut und durch ein einleitendes und ein
bibliographisches Kapitel ergänzt von seiner Schülerin Johanna
Nickel. Die bedeutsame Publikation dürfte eine eingehende
Berücksichtigung an dieser Stelle verdienen, zumal die theologische
Forschung bisher auf das Romanusbuchlein nicht aufmerksam
war*.

I.

Zunächst das Referat! Der Titel des Zauberbuches bleibt
ungeklärt, — keine Vermutung über die Person eines „Romanus"
führt zu einem greifbaren Ziel. Die frühest im Druck nachweisbare
Ausgabe ist 1788 in Glatz erschienen, doch sprechen einige
ältere Bruchstücke für einen Ursprung um die Mitte des
18. Jahrhunderts. Die vorhandenen Ausgaben des 19. und 20.
Jahrhunderts werden von J. Nickel kurz charakterisiert. Der
Veröffentlichung zugrundegelegt ist eine Bartels - Ausgabe
(Berlin-Weißensee) von 1908. Sie unterscheidet 6ich von ihren

a) Spamer, Adolf: RomanusbBehlein. Historisch - philologisch*1"
Kommentar zu einem deutschen Zauberbuch. Au« seinem NachlaB bearb.
v. Johanna N i c k e 1. Berlin: Akademie-Verl. 1958 VIII, 446 S., 7 Taf.
gr. 8° - Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin. Veröff. d. Inst, f. dt. Volkskunde
. Bd. 17.

') RGG V* 2079 erwähnt es ledigheh. Der Registerband kennt
nicht einmal das Stichwort.