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Ausgabe:

1960 Nr. 4

Spalte:

249-256

Autor/Hrsg.:

Sproemberg, Heinrich

Titel/Untertitel:

Das Mittelalter in römischer und katholischer Sicht 1960

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 4

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k«»; so dürfte die Epißodc vom Fluchtversuch der Schiffsbesatzung
einfach ein literarisches Motiv sein (Achilles Tatius!). Auch der
Bruch, der zwischen der Reise nach Malta und der Reise von
Malta nach Rom zu beobachten ist, scheint mir nicht genügend
gewürdigt zu 6ein: Die militärische Begleitung ist verschwunden.
Man kann nicht einwenden, sie sei einfach als selbstverständlich
vorausgesetzt und brauche nicht mehr eigens erwähnt zu werden.
Dieser Erklärung widerspricht einfach die Tatsache, daß sich Paulus
auf dieser letzten Etappe als freier Mann bewegt, der nach
Rom zitiert ist und sich dort zu melden hat.

Im Buchschluß konvergieren noch einmal das historische und
da« literarische Gesamtproblem. Noch einmal findet sich Lukas
vor der Schwierigkeit, daß er Paulus als den Bahnbrecher der
Mission zeigen will und daß in seinem Material die römische Gemeinde
bereits existiert, als Paulus in Rom eintrifft. Dazu kommt
die weitere, daß er von keiner Freilassung berichten kann und
doch seine Apologetik durchhalten muß (die Notiz über die
zweijährige Gefangenschaft besagt nicht, wie oft angenommen,
daß das Verfahren eingestellt worden sei; H. verweist zutreffend
auf Jos Vit 13 f.). Daher die Spannungen im Schlußabsdinitt.
Trotzdem bringt es Lukas fertig, die abschließende Auseinandersetzung
mit den Juden als das Programm der Zukunft zu gestalten
und mit seinem äxo)Xvru>; als letzten Eindruck die Hoffnung
für die Zukunft der Kirche einzuprägen. Die Schlußworte des
Kommentare lauten: „Er (sc. Lukas) hat manchen Apologeten
als Nachfolger gefunden. Aber sie sind andere Wege gegangen.
Daß die Geschichte der Kirche ihre Apologie sein kann, dieser
Gedanke ist dem Geschichtsschreiber Lukas vorbehalten geblieben
" (S. 656).

Eine gewaltige Aufräumungsarbeit und eine nicht weniger
imposante positive Auslegungsarbeit ist geleistet. Es ist üblich
geworden, sich am Schluß von Rezensionen wegen der kritischen
Bemerkungen zu entschuldigen. Ob das ein Fortschritt ist? Rezension
i s t Kritik. Im vorliegenden Falle erwächst sie aus einer

Arbeitsgemeinschaft, für die sich der Rezensent dem Autor zu
tiefem Danke verbunden weiß und die für ihn ein immer wieder
beglückendes Geschenk darstellt.

Sachliche Berichtigungen: S. 444: Es besteht keine volle Übereinstimmung
zwischen Übersetzung und Erklärung von 17, 2 f. S. 449: Das
„abgelegene" Beröa war immerhin Versammlungsort des makedonischen
Koinon. Lukian nennt es „groß und volkreich". S. 454: Zu Athen als
„stiller Kleinstadt" vgl. P. Graidor, Athenes sous Auguste, 1927, 98 f.
S. 462: C&iuev—xtvovitcüa—eofiev ist keine Antiklimax, vgl. H. Hommel.
ZNW 46, 1957, 193 ff. S. 499 zu v. 14: Schürer 6ollte nach der 4. Auflage
zitiert werden, also „S. 269 ff."; ebenso in Anm. 2 Deißmann:
„4. Aufl. 216" (= ZP 4, 3019 f.). S. 506: zu v. 24 ist zu ergänzen, daß
es Metallmodelle von Tempeln gibt; vom ephesinisdien sind allerdings
noch keine gefunden; H. J. Cadbury, The Book of Acts in History,
1955, 5. S. 508: Die Angaben über die Asiardien sind wohl noch zu
sicher formuliert; vgl. D.Magie, Roman Rule in Asia Minor II, 1950,
1298 ff. Statuen der ephesinisdien Artemis sind jetzt in Ephesus selbst
gefunden und von F.Miltner veröffentlicht worden; Atlantis 30, 1958,
309; F. Miltner, Ephesos, 1958, 41. 102f. S. 570u.: Der Hohepriester
Ananos ist mit Ananias verwechselt. Statt Jos Bell 4, 316 ff. lies:
„2, 441 f.". S. e06: In der Übersetzung von 26,29 sind die Worte
r<j> fteü> nicht berücksichtigt. S. 642 zu v. 13 sind Seemeilen mit Kilometern
verwechselt.

Versehen: S. 51: Anm. 1 und 2 sind vertauscht. S. 57, Abs. 2 lies:
„Prokonsul" (statt „Prokurator"). S. 317: Die Numerierung der Anmerkungen
stimmt nicht. S. 376: Die Literaturangabe gehört zum vorausgehenden
Abschnitt. S. 435, A. 8: lies: „Weinreich S. 320" (statt
„520"). S. 456, A. 1 lies: „Beg. IV 212" (statt „214"). S. 457, A. 4:
Das Zitat aus Demosthenes ist ungenau. S. 494 zu v. 8: lies: „18, 19";
zu v. 10 lies: „22" (statt „21"). S. 498, A. 1 lies: Jos Ant „8, 45—49"
(statt „9,45—49"). S. 525, A. 1 lies: „CDC" (statt „DSD"). S. 540,
A. 2: Die textkritische Angabe ist unvollständig. S. 554, A. 1, Z. 7
lies: „Apg 7, 20 ff." (statt „6, 20 ff."). S. 555 zu v. 6: Zur Feststellung
„Nachts wanderte man nicht vgl. AG 10, 9 ff.). S. 582 zu v. 13: lies:
„xivovvza". S. 607, A. 2: Setze die Notiz über Jacquier in A. 3.
S. 608, A. 6: lies: „Bell 2,162"; Bl-Debr. S. „4 Anm. 1" (statt „3
Anm. 4"). S. 609, A. 4 lies: Or Sib 3, „249" (statt „3,248"). S. 643,
A. 1, Z, 7 lies: „ep X 57". S. 644 zu v. 25 Z. 3 lies: Mk „7, 6".

Das Mittelalter in römischer und kalholischer Sicht

Von Heinrich S p r
Neuerdings ist öfter versucht worden, eine Gesamtschau des
Mittelalters zu schreiben, um festzustellen, ob diesem zunächst
formal abgegrenzten Zeitabschnitt wirklich ein besonderer Sinn
beizulegen ist1. Falco hat jetzt auf Grund verschiedener Vorarbeiten
ein Werk erscheinen lassen, das zwar wissenschaftlich, wie
*kr Verfasser selbst gesteht, nichts grundlegend Neues bringt,
aber, und zwar gerade für die Laien, eine neue Sicht des Geistes
<tes Mittelalters bieten will'. Die Einstellung des Verfassers ergibt
sich aus der Einleitung; darin heißt es: „Das christliche und
'©mische, in einem Wort katholische Bewußtsein verkörpert das
Wesen des Mittelalters. Auf dieses Glaubensbekenntnis gehen
aUe großen Ereignisse der mittelalterlichen Geschichte zurück."
Ferner „Die heilige römische Republik heißt die Geschichte der
Gründung Europas auf christlicher und römischer Grundlage, der
Entstehung und Auflösung des europäischen Katholizismus."
••Der Name .Mittelalter' kommt rechtmäßig diesem Stück allgemeiner
Geschichte des Mittelmeerraumes zu". „Die ausgeprägte
Individualität des Mittelalters besteht gerade darin, daß es von
Rom her ausstrahlt, daß Europa sein Bereich und seine Natur einheitlich
und transzendent ist."

Für Falco gibt es also nur zwei Kräfte, die die geistige Gewalt
des Mittelalters bestimmen, die katholische Kirche und das
tomische Erbe, zusammengefaßt in dem Begriff des römisch-
katholischen Abendlandes. Diese völlige Ausschaltung aller anderen
Faktoren bei der Entstehung des mittelalterlichen Europa
muß notgedrungen zu einer einseitigen Schau führen. Bei seiner
Auffassung gerät der Verfasser in die Gefahr, der schon manche
katholische Historiker erlegen sind, das Mittelalter als das goldne

') Vgl. das ausgezeichnete Werk von L. Genicot „Das Mittelalter"
^diichte und Vermächtnis, deutsche Übersetzung 1957, S. 10 und

. *) Falco, Giorgio: „Geist des Mittelalters". Kirche — Kultur -
j**8*. Übersetzung «us dem Italienischen von V. Meier-Vetter.
^nkfurt/M.: Scheffler |l958l. 342 S., 12Taf. gr. 8°.

o e m b e r g, Berlin

Zeitalter der katholischen Kirche und des mit ihm gleichgesetzten
Christentums zu bezeichnen. Man kann nicht leugnen, daß er
diesen Gesichtspunkt sehr konsequent durchgeführt hat, aber es
erscheint nicht nur vom protestantischen Standpunkt notwendig,
sich kritisch damit auseinanderzusetzen. Es bedeutet vielmehr
eine Vernachlässigung der Leistungen des Christentums und der
Kirche in dem ersten halben Jahrtausend seit Christi Geburt und
noch mehr eine Unterschätzung der Bedeutung des Christentums,
sowohl im Katholizismus wie im Protestantismus, 6eit der Reformation
. Sehr viel vorsichtiger urteilt der ffistoriker der
Universität Löwen, Genicot: „Die Leistung des Mittelalters ist
die christliche Kultur des Abendlandes, die alles überflügelt, was
vor ihr war, denn sie findet ihre Lebensmitte in Gott und weiß
sich hingeordnet auf die Ewigkeit, was auch für unsere Welt von
heute das Vertrauenswürdigste bleibt, ein Schutz und innerer
Halt."* Mit Recht weist er auf die Fülle der Faktoren hin, die
beim Aufbau des mittelalterlichen Europa am Werke waren, darunter
nicht zuletzt die wirtschaftliche Tätigkeit, Leistung des
Bürgertums und vieles andere. Dem römischen Katholizismus koordiniert
er ein evangelisches Christentum, das sich schon in den
im Volk verbreiteten Häresien des gregorianischen Jahrhunderts
ankündigt. Aus protestantischer Sicht kann man durchaus die
Leistung der katholischen Kirche im Mittelalter würdigen, aber
die Zuordnung ausschließlich zur römisch-katholischen Kirche ist
geistesgeschichtlich unrichtig und hat von den Tagen der Reformation
an dazu geführt, daß die katholische Geschichtsschreibung
nur zu oft den Protestantismus für den Zerfall des Abendlandes
verantwortlich gemacht hat. In Wahrheit aber war schon längst
durch das Aufsteigen der nationalen Reiche das universale Reich
der römischen Kurie politisch aufgelöst worden. Aber trotz der
Glaubensspaltung hat, wie auch Genicot betont, jene im Mittelalter
errungene Gemeinschaft weiter angedauert.

") Vgl. auch die Ausführungen Papst Plus XII. unten S. 6, N. 14.