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Ausgabe:

1960

Spalte:

215

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rahner, Karl

Titel/Untertitel:

Visionen und Prophezeiungen 1960

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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In welcher Beziehung steht denn der Mensch selbst, also der
„Sohn", zu denjenigen Werken, die ihm gelingen? Also: worauf
weisen ihn seine gelungenen Werke hin? Heutzutage gewöhnt
man sich allzuleicht daran, auf das Mißlingen der menschlichen
Vorhaben zu starren. Wie steht es aber, wenn sie gelingen, und
zwar in demjenigen Fall, dem keinerlei „Hybris" nachgesagt
werden kann? Was sagen uns diese, die Gott wohlgefälligen
Werke? Was sagen sie von der „Wirklichkeit" Gottes? Anders
ausgedrückt: was ist zu sagen, wenn das Gesetz nicht mehr der
Oberbegriff über die Werke ist, sondern die Werke der Oberbegriff
über das Gesetz sind? Wenn also das Sein (als ,,selbst")
nicht nur Gott und den Menschen, sondern ebendeshalb auch die
Werke als sie „selbst" aufdeckt? Eine „Ordnung des Seins" (167)
müßte darauf doch wohl Antwort geben können? Oder jedenfalls
diese Frage aufnehmen?

Berlin Ernst Fuchs

Rahner, Karl: Visionen und Prophezeiungen. 2. unter Mitarbeit von
P. Th. Baumann SJ. ergänzte Aufl. Freiburg: Herder [1958]. 107 S.
8° — Quaestiones Disputatae, hrsg. von Karl Rahner und Heinrich
Schlier, 4. Kart. DM 6.80.

Die Behandlung des Themas ist für die katholische Kirche
besonders brennend, denn sie kann sich der Flut wunderbarer
Visionen kaum noch erwehren. Wir erfahren, daß im östlichen
Europa von 1945—1952 etwa 2000 Fälle von Wundern und in
Westeuropa zwischen 1930 und 1950 dreißig Reihen von Marien-
erscheinungen mit etwa 300 Einzelerscheinungen kirchenamtlich
untersucht werden mußten. Ein Katalog von Orten in aller Welt,
an denen in den letzten 20 Jahren Marienerscheinungen stattgefunden
haben sollen, die aber von der amtlichen Kirche verworfen
oder mit äußerster Zurückhaltung aufgenommen wurden,
nennt auch 8 deutsche Ortschaften. Unter „Vision" werden „alle
außergewöhnlichen gottgewirkten Vorkommnisse" verstanden.
Sie sind den Wundern nahe verwandt oder mit ihnen identisch.
Da Irrungen und Fehlbeurteilungen oft aufgetreten sind, muß
nach Kriterien Ausschau gehalten werden, um Wahrheit und Trug
zu scheiden. Wir erfahren, daß kirchliche „Approbationen" von
Wundern nie unfehlbare Entscheidungen sind, also der Kritik
unterstehen. Visionen und Prophezeiungen werden so geschieden:
Visionen beziehen sich auf das persönliche religiöse Leben und
die Vervollkommnung des Visionäre, Prophezeiungen richten
sich mit einer Botschaft an einen weiteren Kreis, letztlich an die
KiTche. Beide Erscheinungen gehen auf den Antrieb des Geistes
zurück; in diesem Zusammenhang heißt es: „Immer muß es neben
dem durch Handauflegung weitergegebenen Amt in der Kirche
auch die menschlich unübertragbare Berufung des Propheten geben
" (29). Theologisch hätte zu gelten, daß die Visionen inhaltlich
über die christliche Heilsoffenbarung nicht hinausgehen dürften
, wenn sie kirchlich anerkannt sein wollten; darum 6eien echte
Prophetien Weisungen, wie in einer bestimmten geschichtlichen
Situation gehandelt werden solle. Psychologische, auch parapsychologische
Erklärungsversuche werden selbstverständlich diskutiert
, wobei interessante Belege aus Heiligenviten erbracht
werden. Besondere Obacht erfahren die kindlichen Visionen.
Manchem wird überraschend sein, daß die klassische Mystik die
Visionen mit Argwohn betrachtet und ablehnt. Von den echten
Kriterien werden die Demut und das Wunder besonders hervorgehoben
. Wiederholt wird der Grundsatz herausgestellt, daß übernatürliche
Einwirkung nicht kritiklos vorauszusetzen, sondern zu
beweisen ist. Täuschungen und Irrtümer werden sehr offen besprochen
, damit der kritische Sinn sich schärfe. — Der protestantische
Theologe, der mit der Wunderfrage in der Bibel oder bei
geschichtlichen Persönlichkeiten oder auch im Aberglauben beschäftigt
ist, findet reiche Anregung und Klärung.

Rostock Gottfried Hol tz

Echternach, Helmut: Existenz, Geschichte und Wirklichkeit. Gedanken
zu Rudolf Bultmanns Theologie.
Zeitwende XXXI, 1960 S. 20-30.

Jacob, Günter: Autoritäre Kirchenführung?
Die Zeichen der Zeit 13, 1959 S. 402—410.

Guimet, Fernand: Crearion et resurrection
VeTbum Caro XIV (No. 53), 1960 S. 29—38

Semmelroth, Otto: Das Christusereignis und unser Heil.

Trierer Theologische Zeitschrift 1959 S. 332—346.
S t ä h 1 i n, Wilhelm: Über die Natur IV.

Quatember 23, 1958/59, S.212—218.
— Die dreigeteilte Vorhalle. Judenchristentum, Heidenchristentum

und . . . ?

Zeitwende XXX, 1959 S. 657—666.

PSYCHOLOGIE UND RELIGI0NSPSYCH0L0G1E

Reisner, Erwin: Vom Ursinn der Geschlechter. Berlin: Lettner-Verlag
[1954]. 264 S. 8°. Lw. DM 13.80.

Ein zweifellos zum Nachdenken anregendes, tief schürfendes
und gut geschriebenes Buch, auch dann, wenn man seine Grundposition
nicht annimmt.

Die Liebe zwischen Mann und Frau ist — abgesehen vom
Tod — das Einzige, was den Menschen in seiner Totalität betrifft.
Sie wird in der Schöpfungsgeschichte begründet, wobei der Ausdruck
6 a c h a r für männlich als „konvex", der Ausdruck
nequebah für weiblich als „konkav" gedeutet wird. Diese
Polarität ist selbst ein Abbild der Polarität Gottes zur Schöpfung,
wobei Gott immer der männliche und „konvexe" ist, die Schöpfung
— und in ihr auch der Mann — ihm gegenüber dagegen das
Weibliche und „konkave". „Die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen
ist also nicht Selbstzweck, nicht Urbild für irgendetwas,
sondern Abbild, eben Abbild des Gegenüber von Schöpfer und
Schöpfung" (S. 28).

Nun war der Mann ursprünglich androgyn, und wenn Gott
ihm das Weib gab, „stellte er ihm die eigene andere Seite, die
konkave, die Gott zugewandte Seite gegenüber, um ihn zu veranlassen
, sich in diesem Gegenüber als den auf Gott Hingewiesenen
zu erkennen" (31). Damit ,.steht der Mann gleichnisweise
auf Seite des Schöpfers, das Weib auf der Seite der von Gott zur
Geburt aufgerufenen und von ihm 6elber geschaffenen Erde" (35).

Von hier aus werden zunächst wertvolle Betrachtungen über
den Charakter der Geschlechter und die Liebe der Geschlechter
abgeleitet. (Man vermißt dabei höchstens den Bezug auf Autoren
wie Buytendijk oder van Asch van Wijk.) Dann wird aber die
empirische Liebe von Mann und Frau im Lichte des Sündcnfalls
als „Eros ohne Gott" geschildert und — wie mir scheint sehr zu
unrecht — stets mit der angeblich ursprünglichen ganzheitlichen
Liebe verglichen. So betrachtet läuft alles „in die falsche Richtung
". „Der weibliche Eros, bestimmt, zu Gott hin zu gebären,
gebiert jetzt von Gott weg und das heißt auf den Tod hin" (99)

Richtig wird die Sexualität als das Triebhafte von der Erotik
als dem geistig Sublimierenden unterschieden (146). Aber dann
werden sie einander gleich „wie Idealismus und Materialismus"
gegenübergestellt (148), wobei die Triebhaftigkeit sehr schlecht
wegkommt. „Der Trieb braucht nicht erst zu verwahrlosen; denn
er ist schon verwahrlost, ja er ist die Verwahrlosung selbst. Sofern
wir Triebe haben, sind wir verwahrlost, sind wir unfrei und
also verantwortungslos" (235).

Von solchen Voraussetzungen aus wird zwar über die Ehe
theoretisch sehr schönes und tiefes gesagt, ja es wird sogar von
ihrer Sakramentalität gesprochen (241'2), aber die in ihr einmal
bestehende Triebhaftigkeit muß sie konsequenterweise vergiften.
Hier trifft sich Verf mit dem unerlösten und problematischsten
Luther. „Sexualität ist. . . ihrer Natur nach immer Hurerei, auch
in der Ehe, weil ich als sexuell Begehrender niemals nur diesen
einen Partner, sondern immer das ganze andere Geschlecht in
seiner unpersönlichen Allgemeinheit meine ... In seiner Sexualität
steht der Mensch darum auch in der Ehe tatsächlich außerhalb
der Ehe . . . Daß man im Ehebett nicht beten kann, wie Luther
sagt, sollte zu denken geben. Nicht beten können heißt ja, 6ich
nicht auf Gott beziehen, sich nicht mit gutem Gewissen vor Gort
verantworten können" (249).

Hier scheiden sich die Geister! Hier können wir nur ein entschiedenes
„Nein!" sagen. Das proton pseudos dieses
sonst so anregenden Buches scheint mir darin zu liegen, daß Mann
und Frau in falscher Weise auf Gott bezogen werden, der Mann
auf Gott, die Frau auf die Schöpfung. Und von ihrer konvexkonkaven
Polarität aus wird das ganze mehr philosophisch als