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1960 Nr. 3

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 3 214

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(590 f.). Die Renaissance des deutschen Idealismus, der Neu-
thomismus und der Durchbruch zu einer Metaphysik des Erkennens
(N. Hartmann) führen da6 philosophische Denken über
die Schranken des ausgehenden 19. Jahrhunderts hinaus, wobei
die Erkenntnistheorie in Abwendung vom Neukantianismus immer
realistischer wird (593 f.). Neben dem Problem des Erkennens
steht die neue Wendung zu Realität, zu einer Wirklichkeitslehre
, zu einer deskriptivanalytischen Ontologie, welche
metaphysische Konstruktionen und Spekulationen meidet (594 f.).
Besonders wendet sich die Philosophie dem Problem des Lebens
zu (H. Driesch, J. v. Uexküll u. a.), um die mechanistische Auffassung
des 19. Jahrhunderts zugunsten einer teleologischen zu
korrigieren (596 f.). Die Psychologie macht große Fortschritte,
vor allem bei der Erforschung des Unbewußten und Unterbewußten
(Freud u. a.), wobei sie den Physikalismus überwindet, aber
zur Biologie engste Beziehungen wahrt (600 f.). Auch die Probleme
deß geistigen Seins und der Ontologie werden gefördert
(N. Hartmann, H. Maier, M. Heidegger), wobei zu den fruchtbarsten
Einsichten die Lehre von den Schichten der Welt gehören dürfte
(602 f.). Vor allem aber wendet sich die neueste Philosophie dem
Problem des Menschen zu, des Menschen, der 6ich selbst fraglich
geworden ist wie noch zu keiner Zeit vorher (606). Hier stehen
im Vordergrund des Interesses der von der Natur abhängige und
ihr doch überlegene Mensch (M. Scheler), die Beziehung des Leibes
zur Seele, das Freiheitsproblem und die Sinnfrage der menschlichen
Existenz (607 ff.). (Heidegger, K. Jaspers.) Schließlich befaßt
sich unsere Zeit mit den Problemen des gesellschaftlichen
Seins, mit der Soziologie und der Philosophie der Geschichte
(616 f.).

Es hängt möglicherweise mit dem oben erwähnten Prinzip
der Stoffeinteilung und -dar6tellung innerhalb dieses Lehrbuches
"usammen, daß gerade bei der Behandlung der zuletzt genannten
Probleme manche philosophischen Bewegungen keine gründliche
, ihre Entstehung und Wirkung in gleicher Weise berücksichtigende
, geschlossene Darstellung erfahren. Das gilt z. B.
auch hinsichtlich des (dialektischen und historischen) Materialismus
. Das Lehrbuch betont, gerade auch in seinem 8. Teil,
die Bedeutung der philosophischen Denker und Systeme des 18.
und des beginnenden 19. Jahrhunderts und wird damit weithin
auf Zustimmung rechnen können, müßte aber wohl die seitdem
aufgetretenen Versuche einer Zusammenschau stärker berücksichtigen
.

Derben/Elbe Erik Schmidt

B a u m g a r d t, David: Unlösbare moralische Konflikte. Ihre Auslegung
im Judentum, Christentum und der Existentialphilosophie.
Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte XI, 1959 S. 297-314.

ßeach, Waldo: The Pattern of Providence.
Theology Today 16, 1959 S. 232—244.

Coreth, Emcrich: Zu Fichtes Denkentwicklung — Ein problemgeschichtlicher
Durchblick.
Bijdragcn 20, 1959 S. 229—241.

Funke, Gerhard: Die Philosophie der Ehrfurcht vor dem Leben (Albert
Schweitzer und wir).

Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte XI, 1959 S. 356—373.
l-'chtenstein, E.: Vom Sinn der Philosophie.

Die Sammlung 14, 1959 S. 598—607.
Mauer, Wolfgang: Diltheys Analyse der Lebensphilosophie.

Die Sammlung 14, 1959 S. 482—486.
Müller, Gotthold: Vom nichtenden Nichts zur Lichtung des Seins.

Zu Martin Heideggers 70. Geburtstag am 26. 9. 1959.

Deutsches Pfarrcrblatt 59, 1959 S. 414_415.

T i 11 i c h, Paul: Kairos und Utopie.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1959 S. 325-33*1.
Walle, Oscar T.: Toward an Evangelical Philosophy of Science. The

"istorical and Rccent Background.

Concordia Theological Monthly XXX, 1959 S. 803-823.
°Ung. William: The Nature of Man in the Amsterdam Philosophy.
•he Wcstminstcr Theological Journal 22, 1959 S. 1—12.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Gogarten, Friedrich: Die Wirklichkeit des Glaubens. Zum Problem
des Subjektivismus in der Theologie. Stuttgart: Vorwerk-Verlag
[1957]. 196 S. 8°. Kart. DM 9.80; Lw. DM 12.20.

Das Buch ist auf eine Art ein Pendant zu Gogartens früherem
Buch über „Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit" (195 3 ;
von mir bespr. ThLZ 1954, 12, Sp. 728—732). Aber Gogarten
bringt in diesem weiteren Werk 6eine Bemühung um das „Gesetz
" zum Abschluß.

Die 21 Kapitel des Buches lassen sich wie folgt zusammennehmen
: Nach einem präludierenden Einleitungskapitel, das die
Wirklichkeit des Glaubens von der „metaphysischen Wirklichkeit
" bzw. der „hierarchischen Ordnung alles Seienden" in der
mittelalterlichen Theologie absetzt (13; 11), um die „entschlossene
Übernahme des geschichtlichen Denkens" für unsere
Theologie zu fordern (22), entwickelt G. im 2.-5. Kapitel
(24—5 3) zuerst die Folgen der „christlichen Wende" am Menschen
„selbst" (24—32), an der Erfahrung der christlich verstandenen
„Ohnmacht" (32—3 8) in der „Reflexion des Glaubens"
(37; vgl. 84), die den „religiösen" Charakter der „Welt" abbaut
(38—44), so daß nunmehr wie Gott der Mensch „selbst zur
Sprache kommt" (49), weil er in der „Freiheit des Glaubens"
(44—53) die „Welt als göttliches Erbe" zu empfangen und zu
wahren vermag als eine ihm nunmehr „eigene" Welt. Für sie ist
er fortan 6elbst, als Gottes „Sohn", verantwortlich (53—55).
Diese „sohnhaftc Freiheit des Menschen für Gott" (56) wird im
6.-9. Kapitel unter dem Oberbegriff des Gottesverhältnisses
als die „Selbständigkeit" des Glaubens bzw. des durch den Glauben
in Anspruch genommenen Menschen negativ an der Nichtigkeit
und Vergänglichkeit der Welt und des Fleisches verdeutlicht
, wie sie durch das „Gesetz" besiegelt wird (56—69), um
dann als „Freiheit vom Gesetz" mit Hilfe der paulinischen Antinomien
(69—77) als „zweifache Freiheit", als Freiheit für Gott,
den Schöpfer, und als Freigabe der Vernunft durch den rechtfertigenden
Glauben, erörtert zu werden (77—86. Nun erst kann
dem „Subjektivismus" Recht und Unrecht aufgedeckt werden. Eine
erste Gruppe von wieder 4 Kapiteln (Kap. 10—13) greift zunächst
auf Heideggers Aussagen über ihn zurück (86—94), um ihn dann
als „Verhängnis" zu charakterisieren (95—100), den Verlust
seiner ursprünglichen Begründung in dem „Geschöpfsein des
Menschen" und „der Welt" (104) aufzuzeigen (101—106) und
ein „neues Verständnis des Glaubens" zu fordern, das insbesondere
der das ganze Buch fast tragenden Stelle Rom 4, 17 entspricht
(106—112). Die nächste Kapitelgruppe (Kap. 14—17) weist
diesen Zusammenhang positiv an dem „Sein" des Menschen auf,
das den Menschen „selbst" betrifft, wie ihn die Verkündigung
Jesu (113-118), die des Paulus (119—129) und die Luthers
(129—143; 144—152) in den Blick bringt: Gott „meint" in seinem
„Wort" uns selbst (134 ff.), weil 6ich Gott uns „verspricht"
(137), weil er uns „gut ist" (143). Diese „Wirklichkeit" ist
Gottes „Gottsein", sein Unser-sein (144); für diesen Gott entscheidet
sich der Glaube (147-149). So kann in dem letzten Teil
des Buches (Kap. 18—21) gezeigt werden, daß gerade dem christlichen
Glauben ein „Selbstbewußsein" erschlossen ist, das seinen
Grund allein in Gottes Gottsein hat (153—158). Und weil es der
Glaube nicht mehr nötig hat, der Welt erst Sinn zu verleihen
(160), kann jetzt das Verhängnis des modernen Subjektivismus
„zur Sprache gebracht" und damit überwindbar werden (15 8
-170), weil die Aufgabe der Wissenschaft in derjenigen „Reduktion
des Gesetzes" (175; 179) faßbar wird (171-181), welche
der „weltanschaulichen Versuchung des Subjektivismus"
(181) die vom Glauben geforderte und durch ihn enthüllte ..Verantwortung
" gegenüberstellt (182—193).

Was Gogartens Paulusexegese und seine Auffassung von
der Verkündigung Jesu betrifft, so stimme ich ihr in der Hauptsache
zu. Zum systematischen Teil habe ich eine Frage: ist die
• •Ordnung des Seins" so, wie sie nach diesem Buch dem Glauben
erschlossen ist. schon hinreichend geklärt, weil die „Werke" der
Vernunft zugewiesen werden, versteht sich, einer auf ihre wahre
Leistung zurückgebrachten, nicht mehr weltanschaulich und auch
nicht mehr durch subjektivistische Willkür verführten Vernunft?