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Ausgabe:

1960

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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als die Aufgabe seiner Schrift an, an die Entscheidungsfrage heranzuführen
, ob und wieweit die Verwerfungen der lutherischen
Bekenntnisschriften auch für uns noch Ereignis werden können.

Die Untersuchung beginnt mit einem kurzen Abriß über das
biblische und altkirchliche Anathema. Sie zeigt dann die Grundlinien
der Entwicklung auf diesem Gebiet im Mittelalter auf und
setzt ausführlich ein bei der Behandlung von Luthers Reaktion
auf das Verdammungsurteil, das ihn aus Rom traf, um schließlich
die Geschichte der Verwerfungen in Lehre und Praxi6 innerhalb
der protestantischen Kirchen im 16. Jahrhundert bis zur Formula
Concordia (FC) zu erörtern.

Der Verfasser zeigt Luthers Wandlung im Blick auf seine
Stellung zum päpstlichen Bann auf Grund seiner frühen Schriften
auf bis dahin, wo Luther dem Papst Verwerfungsurteil und Bannstrahl
zurückgibt. Er weist ferner die Kriterien auf, die Luther
aufstellt, um reine Lehre von falscher Lehre scheiden zu können.
Einmal ist es die „viva vox", die den rechten Glauben lehrt.
Aber auch inhaltlich ist eine Abgrenzung gegeben durch die
Schrift und Gottes Wort. Gottes Wort ist das Evangelium von
der Rechtfertigung des Sünders. Wo dieser „Heubtartikel" angetastet
wird, überhaupt ein christologischer Hauptartikel, da ist
Ketzerei, falsche Lehre zur Stelle.

Der Verfasser macht weiter deutlich, daß nach Luther das
Urteil gegen Irrlehren und Irrlehrer nicht so sehr kirchliches
Strafmittel ist, sondern aktiver Selbstschutz der Gemeinde. Diesen
Selbstschutz 6oll die Gemeinde selbst ausüben. Praktisch ist
diese Übung aber doch dem Predigtamt zugefallen. Eine Trennung
von Irrlehre und Irrlehrern bei den Verwerfungen kennt Luther
nicht.

Die Geschichte der Confessio Augustana (CA) wird dann im
Blick auf das Ringen um die Verwerfungen auch gerade der
Schweizer eingehend behandelt, wobei besonders Landgraf Philipp
von Hessens und Melanchthons Bedeutung gewürdigt wird.
Letzterem ist es entgegen dem Willen Philipps zuzuschreiben, daß
die Schweizer in der CA mit den altkirchlichen Häretikern verworfen
werden, während gegen die römischen Irrtümer keine deutliche
Verwerfung ausgesprochen ist, was Luthers Mißfallen erregte
.

Der Verfasser geht auch der Auseinandersetzung Luthers
mit den Schweizern nach. Dann wendet er 6ich den Verwerfungen
der Gnesiolutheraner zu und beleuchtet schließlich die Streitigkeiten
um die Verwerfungen im Zusammenhang mit der Entstehung
der FC.

Während Luther mit erschreckender Heftigkeit bis zu seinem
Lebensende an der Verwerfung der Schweizer festhielt, ließ
Melanchthon in der Augustana variata (Artikel X) bereits die
Verwerfung der Schweizer fort. Nach der Meinung des Verfassers
sind die Gnesiolutheraner durch ihr jeweils immer neues und
unermüdliches Bekennen bzw. Verwerfen davor bewahrt geblieben
, sich an die Pflege eines Lehrkomplexes zu verlieren und die
Wahrheit des Wortes Gottes aus der Zuschauerhaltung zu behaupten
.

Die Verwerfungen in der FC werden deshalb in besonderer
Weise hervorgehoben, weil sie einen gemäßigten Mittelweg
darstellen, also nicht die von der radikalen Seite der Lutheraner
gewünschte Personalcondemnation enthalten und überhaupt erstmalig
eine Definition und Abgrenzung des Damnamus bieten.

Die Untersuchung, die nur selten auf Sekundärliteratur
zurückgreift, ist in einem flüssigen Stil geschrieben und vermittelt
einen guten Überblick über das Problem der Lehrabgrenzung
innerhalb des Protestantismus im 16. Jahrhundert, von Seiten
des Kirchengeschichtlers gesehen, allerdings ohne den Fragenkreis
um die Verwerfungen der Wiedertäufer näher zu erörtern.

Zu Einzelheiten der Darstellung möchte ich folgende Anmerkungen
machen:

Es ist doch wohl eine Idealisierung von Luthers Bann- und Verwerfungspraxis
, wenn Verf. auf S. 61 schreibt: „So fern ihm (Luther)
der Gedanke an eine verwünschende Wirkung von Bann und Verwerfung
lag ...", vgl. dazu Luthers Äußerung über die Wirkung seines
Bannes gegen den Papst WA TR 2, 1443 ,oder sein Verhalten bei der
Auseinandersetzung mit Joachim L von Brandenburg WA Br. 4, 513,

32 ff.; weitere Belege habe ich in meiner Abhandlung „Wie Luther
Kirchenzudit übte", Berlin 1959, gesammelt.

Gensichen erwähnt auf S. 113, daß Melanchthon im Gegensatz zu
Luther Servets Verbrennung guthieß und auch sonst für Häretiker die
Todesstrafe forderte. Man vermißt aber die Bemerkung, daß auch Luther
die Einführung der Todesstrafe für die Wiedertäufer in Kursachsen
billigte (WA Br. 6, S. 223). Seit 1529 war die Todesstrafe für die
Wiedertäufer durch Reichsgesetz angeordnet, seit 1531 war 6ie auch in
Kursachsen gültig geworden. Mit dem kirchlichen Damnamus hing in
jener Zeit fast immer die Exekutive der Obrigkeit zusammen, nicht nur
„unter Umständen", und das bedeutete auf jeden Fall Inhaftierung,
wenn man es nicht vorzog zu fliehen.

Man braucht nur che Akten im Thüringischen Landes-Hauptarchiv
Weimar (Reg. O) einmal durchzublättern, um die praktische Auswirkung
der Verwerfungen im 16. Jahrhundert im sächsischen Bereich in ihren
Schattenseiten kennenzulernen. Eine kirchengeschichtliche Darstellung
sollte u. E. davon nicht nur in Randbemerkungen reden.

Es fragt sich auch, ob nicht doch eine leichte Parteilichkeit im Spiele
ist, wenn das zweifellos ernste Bemühen Luthers und seiner Epigonen
um die reine Lehre auch in der Form heftigster Verwerfungen vorwiegend
als tiefe Sachbezogenheit und lebendiges Bekennen gewertet wird,
während man die Zurückhaltung auf der Gegenseite, was die Verwerfungen
anbetrifft, meist humanitär, krrchenpolitisdi oder überhaupt
politisch begründet. Könnte man nicht Melanchthons Zögern und
Schwanken in der Verwerfungsfrage auch aus einem sachlichen Ringen
um die Hauptsachen des Glaubens erklären?

Die Schrift ist leider ohne Inhalts- und Literaturverzeichnis herausgegeben
.

Gensichen hat mit dieser Untersuchung die Bedeutung der
Grenzziehung innerhalb des kirchlichen Bekenntnisses, wo immer
sich ein Gegensatz zu seinem Zentrum auftut, neu ins Blickfeld
gerückt und entläßt uns nicht nur mit dem Hinweis auf die 1934
in Barmen vollzogene Grenzziehung, sondern auch mit dem auf
die notwendig gewordene Überprüfung der Verwerfungen in den
lutherischen Bekenntnisschriften.

Dcdelow Ruth Götze

Baring, George Ludwig Hätzere Bearbeitung der „Theologia Deutsch"
Worms 1 528.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXX, 1959 S. 218—230.
Hiesel, Wilhelm: Calvins Bedeutung für die Kirche.

Deutsches Pfarrerblatt 60, 1960 S. 2—4 und 27—29.
Pinomaa, Lennart: Die Heiligen in Luthers Frühtheologie.

Stucüa Theologica XIII, 1959 S. 1—50.
V o 1 z, Hans: Zur Überlieferung des Gebetes Manasse.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXX, 1959 S. 293—307.

KIRCHENGESCHICHTE: NEUZEIT

S m e n d, Rudolf: Wilhelm Martin Leberecht de Wettes Arbeit am

Alten und am Neuen Testament. Basel: Helbing und Lichtcnhahn

[1958]. 207 S. gr. 8° DM 16.-.
Handschi n, Paul: Wilhelm Martin Leberecht de Wette als Prediger

und Schriftsteller. Basel: Helbing und Lichtenhahn [1958]. 336 S.

gr. 8°. DM 19.30.

Die beiden vorliegenden Arbeiten über W. M. L. de Wette,
der 1822 bis 1849 in Basel wirkte, sind Ergebnisse eines wissenschaftlichen
Preisausschreibens, das von der Universität Basel
durchgeführt wurde und für das die Firma J. R. Geigy AG. anläßlich
ihres 200jährigen Geschäftsjubiläums die Mittel zur Verfügung
gestellt hat.

Die Untersuchung von R. Smend ist der Arbeit de Wettes
auf dem Gebiet der Bibelwissenschaft gewidmet.

Der erste Teil trägt die Überschrift „De Wette als Alttcstamcnt-
ler". Zunächst stellt der Verf. dar, in welcher Wei6e de Wette von Herder
und seinen Jenaer akademischen Lehrern beeinflußt wurde, und
zeigt, wie er sich unter Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern der
radikalsten Kritik zuwandte.

Im folgenden Abschnitt befaßt sich Smend mit den kritischen
Jugendwerken, d. h. der Dissertation über das Deuteronomium und den
Beiträgen zur Einleitung in das Alte Testament, in denen es vor allem
um die Bestreitung der Glaubwürdigkeit der Chronik unter Auseinandersetzung
mit den diesbezüglichen Thesen Eichhorns sowie um die
Kritik des Gesetzes und der mosaischen Geschichte geht. Dabei kommt
den hermeneutischen und historisch-kritischen Aspekten (Übernahme