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Ausgabe:

1960 Nr. 3

Spalte:

185-189

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Friedrich Wilhelm Foerster und seine Bedeutung für die Pädagogik der Gegenwart 1960

Rezensent:

Müller, Alfred Dedo

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Theologische Literaturzeitung 1960 Nr. 3

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tatsächlich immer neu auf die im AT und NT je verschieden bezeugte
einmalige kontingente Geschichte zurückfuhrt und von ihr
kritisch überprüfen läßt. Dadurch, daß sie — die „hohe und steile
Kunst" — Barths „letzten Rat" beherzigt, seinen „Pfiff", mit dem
er sich 1935 von seinen Bonner Studenten verabschiedete: „Exegese
, Exegese und noch einmal Exegese!"58. Dadurch, daß sie dazu
die Schrift „gehorsam" und „folgsam" zu verstehen sucht und
also nicht spekulativ, sondern — historisch.

*) K.Barth: Das Evangelium in der Gegenwart (ThEx 25). (1935),

17.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Fo erst er, F. W.:] Friedrich Wilhelm Foerster und seine Bedeutung
für die Pädagogik der Gegenwart. Festsdirift zur Vollendung des 85.
Lebensjahres von Professor Dr. phil. Dr. theol. h. c. Friedrich Wilhelm
Foerster am 2. Juni 1954. Im Auftrage der Friedrich-Wilhelm-
Foerster-Gesellsdiaft hrsg. durdi Joseph A n t z u. Franz P ö g g e 1 e r.
Ratingen: Henn [1955]. 224 S., 10 Abb. a. Taf. gr. 8°. DM 12.—.

Absicht und Thematik dieser Festschrift zum 85. Geburtstag
F. W. Foersters haben durch das weltweite Echo, das unterdessen
die Feier des 90. Geburtstages gefunden hat, nicht nur
neue Aktualität, sondern auch sachliche Rechtfertigung gefunden.
Die Herausgeber haben sich die Aufgabe gestellt, ein Bild von
F. W. Foerster in das öffentliche Bewußtsein zu bringen, das der
eigentümlichen Universalität seines Denkens und seiner Wirksamkeit
gerecht wird. Das Buch enthält in seinen 18 Beiträgen deshalb
nicht nur wissenschaftliche Abhandlungen, sondern auch I
persönliche „Bekenntnisse zu F.'s Wollen und Werk" und Aufsätze
, die weniger die Gedanken Foersters, als die dynamischen
Impulse verdeutlichen wollen, die von ihm ausgegangen sind.

Da sind schon die ganz persönlich gehaltenen, mit 10 Photos
ausgestatteten, „Erinnerungen an den jungen Friedrich Wilhelm
Foerster" von der inzwischen verstorbenen Schwester Dr. Hulda
Heckscher-Foerster, Erinnerungen an den „verehrten, geliebten,
gefürchteten Bruder", die die eigenen Mitteilungen in der Selbstbiographie
„Erlebte Weltgeschichte" über die früheste Jugend
und die Atmosphäre des Elternhauses reizvoll ergänzen.

Persönlichen Charakter haben auch die Erinnerungen der
Ministerialrätin Dr. Maria Maresch an „Friedrich Wilhelm Foersters
Jahre in Wien". Sie berichtet von der außerordentlichen Wirkung
, die von den frühen Schriften Foersters „auf die junge
Generation der Priester, Lehrer und Studenten ausgegangen ist"
und charakterisiert das öffentliche Auftreten Foersters in Wien,
unmittelbar vor und nach 6einer Berufung an die Universität in
Vorträgen und Vorlesungen. „Adel und Geistlichkeit, Professoren
, Lehrer und Studenten lauschten begeistert seinen Worten."
Sein früher Weggang an die Universität München wurde als
„schwerer menschlicher Verlust" empfunden.

In Hans Schwanns Beitrag „Die Gegenstimme" kommt einer
von den Schülern Foersters zu Wort, die schon seine ethischen
Jugendkurse in Zürich mitgemacht haben, aus denen dann die
„Jugendlehre", die „Lebenskunde" und die „Lebensführung"
hervorgegangen sind. F. ist danach schon in dieser Frühzeit seines
Wirkens der „Künstler des Kontrapunktes", der Gläubige und
Ungläubige, Katholiken und Protestanten zu sachlich-menschli-
cher Begegnung zusammenführt. „Alle sehen nach rechts, nur er
sieht nach links" (Stefan George). Auch sein späteres politisches
Ringen wachse „aus dem uralten deutschen Erdboden der Synthese
" und sei immer ein Eintreten für die vergessenen Wahrheiten
.

Die sachliche Thematik der übrigen Beiträge versucht das
ganze pädagogische Lebenswerk Foersters zu umschreiben und ist
deshalb so mannigfaltig, daß sie nur in Stichworten wiedergegeben
werden kann. Es 6oll in der Reihenfolge der Aufsätze geschehen
. Am Anfang des Buches steht eine einführende „Charakteristik
Foersters" von Prof. Dr. Hans Meyer- Würzburg.
Die Hauptleistung F.'s wird in der Unbeirrbarkeit gesehen, mit
der er um die geistigen und sittlichen Voraussetzungen der modernen
„rein weltlichen technischen Kultur" bemüht ist. „Wegwendung
von der Abstraktion eines individualistischen Zeitalters
" und „Ersatz des bloßen Gehirndenkens durch eine lebens-
durchdrängte Wirklichkeitslehre" macht bei aller notwendigen
Kritik im einzelnen die wesentliche Leistung auch des Politikers
F. aus.

Der folgende Beitrag: „Das Problem der Wirklichkeit Gottes
bei Friedrich Wilhelm Foerster" (Dedo Müller) weist die
unlösbare Verknüpfung von Wirklichkeitsfrage und Gottesfrage
im Werk F.s auf. Die Gottesfrage ist für ihn die äußerste Radikalisierung
der Wirklichkeitsfrage. Sie wird hier nicht von außen
an die Probleme herangetragen, sondern wächst aus der sachlichen
Problematik heraus.

Prof. Dr. Frans de Hovre - Gentbrügge gibt in 9 Punkten
eine Umrißzeichnung „Fr. W. Foerster". Sie hebt u.a. folgende
Leistungen heraus: Aufdecken der „sittlichen Grundlagen des
ganzen Menschenlebens", Verwurzelung des Ethos in der christlichen
Religion, neue Grundlegung der Charakterpädagogik und
der sexuellen, sozialen und politischen Erziehung, induktive Methode
, Drang zur Synthese, Überwindung des vorherrschenden
Scientismus, Wiederentdeckung „alter Wahrheiten" „in neuen
Formen", Aufdeckung des Zusammenhanges von Seelenkrise und
Weltkrise.

Prof. Dr. Hugo R e i r i n g sieht das „Bleibende im Lebenswerk
Friedrich Wilhelm Foersters" neben der außerordentlichen
literarischen Leistung (30 Bücher mit über Vs Mill. Auflage, 5000
Artikel, Reden, Aufsätze) in der inneren Konsequenz, mit der
„alle echten Erziehungsprobleme" unserer Epoche mit einer „objektiven
Seins- und Güterlehre im Sinne der christlichen Offenbarung
" verbunden sind.

Prof. Dr. Johannes Messner - Wien/Biirmingham: „Lebensnahe
Persönlichkeitsethik bei Fr. W. Foerster" sieht die selbst
erfahrene Wirkungskraft der F.schen Schriften darin begründet,
daß sie nicht aus der „bloßen Verstandeserkenntnis", sondern aus
der „schauenden Erkenntnis sittlicher Persönlichkeitswerte in der
Lebenswirklichkeit selbst" stammen. So wird die Sittlichkeit aus
einer „Forderung der Vernunftnatur" zur „Verwirklichung des
wahren Selbst", und das Wort Charakter gewinnt einen „eigenen
erweckenden Klang".

Der Beitrag Dr. Adalbert B. Ekowski6 - Osnabrück
„Staatsautorität und Staatsbürgerfreiheit" gibt, ohne im einzelnen
auf F. Bezug zu nehmen, die „Analyse eines Motivs aus Foersters
.Politischer Ethik und Politischer Pädagogik' ". Von da aus wird
die Depravation der staatlichen Ordnung nach 1933 analysiert:
Verwandlung des Staates „in eine autokratische Staatsmaschinerie
" und die „Zerstörung aller Staatsmoral". An Stelle der aus
„unmittelbar einleuchtender Wertfülle erwirkten Achtung" des
Staates treten Massensuggestion und Gewalt, womit alle Schäden
der preußischen Staatsführung ins Extrem gesteigert werden. Nach
dem Umsturz des Götzen „militaristischer Pseudo-Autorität"
geht es um den „Aufbau eines neuen soliden Staatswesens", in
dem „Unterwürfigkeit der Verachtung preisgegeben ist", statt
zur „obersten Staatstugend erhöht zu werden". Das ist ohne
„Moral und Religion" unmöglich „Autorität ohne Freiheit ist
Barbarei, Freiheit ohne echte Autorität Anarchie".

Prof. Dr. Hermann M. Görgen - Juiz de Fora (Brasilien)
behandelt Fr. W. F.s Stellung zu Sozial- und Wirtschaftsfragen.
Es gibt „keine wertfreie Wirtschaft". „Wirtschaft, Sittlichkeit
und Glaube gehören engstens zusammen". Es geht dem Verf. um
die „zeitgültige und zeitlos gültige Dominante" in Foersters Stellung
zu Sozial- und Wirtschaftsfragen, für die er keinen „selbständigen
Beitrag", sondern nur „Gesichtspunkte und Anregungen
" geliefert hat. Es geht F. um die „untrennbare Zusammengehörigkeit
und wechselseitige Abhängigkeit aller Teile des sozialen
Organismus" und die „richtige Zusammenordnung der
Ansprüche". Neben dem Studium von Marx und Engels, dessen
„Lage der arbeitenden Klassen in England" ihm einen tiefen
Eindruck hinterläßt, steht die Lektüre der führenden Nationalökonomen
und Sozialpolitiker des 19. und 20. Jahrhunderts
(z. B. Carlyle, Toynbee, Kingsley, Addams, J. St. Mill, Gorki,
Tolstoi, Ruskin, Brentano, Kidd, Webb, Schultze-Gaevernitz).