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Ausgabe:

1959 Nr. 2

Spalte:

120-121

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Rauda, Wolfgang

Titel/Untertitel:

Lebendige städtebauliche Raumbildung 1959

Rezensent:

Farenholtz, Christian

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 2

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Schon aus diesem sehr knappen Referat, das 6ich mit Absicht
wiederholt wörtlicher Anführungen bediente, wird der ungewöhnlich
reiche Inhalt der Schrift hervorgetreten sein. Die philosophische
Begabung der Verfasserin steht außer Frage, sie ist in
ihrem hohen Rang anderweit genügend unter Beweis gestellt.
Das gleiche gilt von ihrer, besonders an Kierkegaard dargetanen
Interpretationskunst. Und doch muß von dem vorliegenden
geistes- und theologiegeschichtlichen Durchblick geurteilt werden:
Ein Buch voller Anregungen und Einfälle, voller Geschicklichkeit
und Liebe in den Einzelinterpretationen, voller Leidenschaft in
der Urteilsbildung in Lob und Tadel — und erstaunlich genug —
60 und so oft unscharf in der Begriffsbildung und im Festhalten
der Thematik. Das beginnt mit der Nichtbeachtung des von anderen
zu dem Thema Geleisteten. Ernsthaft sind nur Troeltsch
und Dilthey ins Auge gefaßt. Die Verfasserin geht, um nur das
Wichtigste, in gewissem Sinne Elementarste zu nennen, völlig
vorüber an Werner Elerts Morphologie des Luthertums, an
Heinrich Bornkamms Böhmedeutung und seiner Studie über
Luther und das Naturbild der Neuzeit, an Horst Stephans Würdigung
des jungen Herder auf dem Hintergrunde der Tradition und
seiner eigenen Zeit, sowie an seiner Theologiegeschichte, an Blankes
Forschungen zu Hamann, an Hans Emil Webers jahrzehntelangen
Analysen, an Erich Franzens Deutscher Klassik und Reformation
, an Erich Seebergs Sicht der Zusammenhänge. Auch
Quellenauswahl und Quellenbenutzung sind teilweise anfechtbar.
Die Behandlung Arndts und Böhmes (den sie freilich nicht in der
besten Ausgabe von Überfeld 1730 heranzieht) mag noch hingehen
. Von der theologischen Struktur der pietistischen Theologen
Spener und Gottfried- Arnold hat sie nur eine Ahnung, keine
auf genaue Kenntnis gegründete profilierte Vorstellung. Hier
schreibt sie aus den Quellen zusammen, was in ihr konstruktiv
gewonnenes Bild paßt. Oetinger wird sie mehr gerecht. An Zin-
zendorf ist sie völlig vorübergegangen; er läßt sich freilich nicht
bequem einordnen und sagt bisweilen Dinge, die nicht ins
Schema passen. Die für ihre Fragestellung wesentlichen Autoren
Buddeus und Dippel, auch Valentin Ernst Löscher erscheinen überhaupt
nicht. Weitgehend ruht das Vorgetragene auf der petitio
principii; die Verfasserin wußte, was herauskommen sollte.
Infolgedessen brauchte sie nur die geeigneten Töne aus den zitierten
Autoren herauszuhören. Es ist zuzugeben, daß in dem weiten
Bereich der neuzeitlichen Theologie- und Geistesgeschichte sehr
verschieden interpretiert werden kann und darum sehr voneinander
abweichende Ansichten im ganzen und im einzelnen möglich
sind. Aber gerade deshalb darf sich kein Autor auf diesem Gebiet
von der selbstverständlichen Pflicht dispensieren, sich mit
der bisherigen Forschung gebührend auseinanderzusetzen. Trotz
dieses methodischen Mangels und der vielen Willkurlichkeiten
verdient das Buch eine aufmerksame Lektüre, sowohl wegen seiner
m. E. berechtigten und fruchtbaren Themenstellung als auch wegen
der vielen guten Bemerkungen, die eine gründliche, gewissenhafte
und unbestechliche Analyse des theologie- und geistesgeschichtlichen
Vorgangs aufnehmen muß.

Berlin Martin Schmidt

Brehm, Friedl: Lavater ging einst vorüber. Am dem Tagebuch des
Präsidenten von Ruoesch.

Zeitschrift für Kirchengeschichte 69, 1958 S. 312—320.
Damboriena, P.: Protcstantisme Latino-Americain: 1958.

Nouvelle Revue Theologique 90, 1958 S. 944—965, 1062—1076
Geiger, Max: Das Problem der Erweckungstheologie.

Theologische Zeitschrift 14, 1958 S. 430—450.
Kupisch, Karl: Vor 25 Jahren. Reformationßfest 1933.

Die Zeichen der Zeit 1958 S. 456—460.
Muralt, Leonhard von: Geschichte des Protestantismus in Stadt und

Land Luzem. Zum großen Werk von Pfarrer Willy Brändly.

Zwingliana X, (1958) S. 602—613.
Q u i 1 e s, Ismael, S. J.: Contribuci6n a la historiografia de la Esco-

lästica medieval de los siglos XVII y XVIII.

Ciencia y Fe 14, 1958 S. 255-265.
Schütz, Roland: David Friedrich Strauß — Eine Würdigung.

Freies Christentum 11, 1959 Sp. 9—12.

GESCHICHTE DER CHRISTLICHEN KUNST

Rauda, Wolfgang: Lebendige städtebauliche Raumbildung. Asymmetrie
und Rhythmus in der deutschen Stadt. Berlin: Henschelverlag
1957. 412 S., 285 Abb. 4°. DM 43.-.

Städtebau ist einer der für die Struktur unseres Lebens entscheidenden
Faktoren; Wissenschaft zugleich und Kunst bestimmt
er im zerstörten, im aufzubauenden Deutschland das Gesicht
unserer neuen Städte und formt 60 wesentlich mit an unserer
Lebensgemeinschaft.

Das Bild der alten Städte spiegelt stets umfassend den historischen
Augenblick des Werdens dieser Städte. Aus Grundriß und
Aufriß der Städte ist ablesbar die Einstellung einer Zeit zum Menschen
, das Verhalten des Menschen zur Gemeinschaft, der Einfluß
kirchlicher, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher Kräfte auf
diese Gemeinschaft. Die Analyse historischer Stadtbilder aus dieser
, einen ganzen Geschichtsablauf umfassenden Schau wird
fruchtbar in der Anwendung auf gegenwärtige Fragestellungen.
Das Vermögen, solche Analyse auch für die Gegenwart zu vollziehen
, ist Voraussetzung für das Erkennen sowohl künstlerischer
wie gesellschaftlicher Tendenzen, ist also Voraussetzung für die
Beurteilung des heute in Ost und West Geschehenden.

W. Rauda beschäftigt sich in seinem Buch „Lebendige
städtebauliche Raumbildung" als Architekt untersuchend mit
Platzformen und Platzräumen alter ostdeutscher Städte (u. a.
Dresden, Stralsund, Görlitz, Bautzen, Pirna, Meißen, Leipzig,
Gotha). Die untersuchten Plätze werden durch Lichtbilder, durch
Grundrisse und Aufrisse nach genauen Aufmaßen dem Leser und
Betrachter gegenwärtig gemacht. Die beigegebenen Schaubilder
zeigen das dem Verfasser Wesentliche am deutlichsten. Diese
Zeichnungen allein schon 6ind Dokumentation. Wird jedoch in
einer Arbeit wie hier ein einziger — der populärste — Teil des
großen Komplexes Städtebau herausgegriffen, so birgt das für den
unbefangenen Beurteiler eine Gefahr. Rauda befaßt sich ausschließlich
— aus der Sicht des künstlerisch bestimmten Architekten
— mit den Raumformen der genannten alten Städte, d. h. mit
dem Formalen. Er bemüht sich, dem Zauber alter Marktplätze
nachzugehen, zu erläutern, mit wieviel Einfühlung, Formsicherheit
und unbewußtem Raffinement diese Zeugnisse alter Baukultur
gestaltet sind. In all der scheinbaren Unregelmäßigkeit
sucht er die größere Ordnung, die als Grundlage des „Schönen"
erkannt und erläutert wird. Dabei weist Rauda in seinem besonders
eindrucksvollen Bericht über den Markt von Meißen auf ein
Wort von Pascal hin, das wert erscheint, zitiert zu werden: „Die
Vielheit, die sich nicht zur Einheit zusammenschließt, ist Verneinung
; die Einheit, die nicht von der Vielheit abhängig ist, ist
Tyrannei."

Diese Formulierung sei als Kernsatz — der seinen Beweis
u. a. findet eben in Städtebau und Architektur — aufgestellt.
Führen wir Raudas Buch aus der ästhetischen, formalen Betrachtung
heraus unter diesen Satz, so wird es selbst zum Zeugnis.
Für den Leser also gilt es, da6 mit großem Sachverstand und sicherem
Einfühlvermögen zusammengetragene Material aus dem
ästhetischen Gestrüpp herauszuarbeiten und in einen größeren,
nämlich in einen städtebaulich komplexen Zusammenhang zu
stellen. Der Leser lasse sich nicht verwirren durch die von Rauda
gelegentlich eingestreuten „Gegenbeispiele", die keine sind, die
nur mißverständlich sind und die in einer Neuauflage besser nicht
wieder erscheinen sollten. Problematisch ist auch die gleichsam
als Anhang beigegebene „synoptische Tafel der Raumstrukturen
". Solche Zusammenschau wird stets getrübt durch mißverständliche
Benennungen, durch an sich wieder der Interpretation
bedürftige Klassifizierung. Wird, wie hier, nun fast ausschließlich
ästhetisch Formales zusammengesehen, wird die Fragwürdigkeit
solcher Unternehmung besonders evident. Der Verzicht auch auf
diese Synopsis würde den Kern des Buches deutlicher machen.

Der Leser, der Betrachtende, lasse 6ich von kundiger Hand
fuhren durch Dresden und durch viele kaum bekannte Altstädte,
die hier teilweise erstmals im Zusammenhang geschildert sind
— die Reize der Städte durch reizvolle Zeichnungen erläutert — >
der Leser erkenne schließlich bei dieser Wanderung, daß Schön-