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1959 Nr. 2

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Altes Testament

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 2

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seleukidenfreundlichen Nicht-Zadokiden aufgeben mußte. Der
schließlich von den Seleukiden eingesetzte Alkimus wurde von
den Chasidim als Zadokide anerkannt, obwohl andere dessen
zadokidische Abstammung bestritten. In den Chasidim pflegt man
die Ahnen der Essener zu sehen. Nach dem Tode des Alkimus
(159) scheint für sieben Jahre das hohepriesterliche Amt unbesetzt
gewesen zu sein, bis der Hasmonäer Jonathan im Jahre 152 sich
als Hoherpriester einsetzen ließ, obwohl er nicht-zadokidischer
Herkunft war. Das erbliche Hohepriestertum erwarb allerdings
erst sein Bruder Simon (l. Makk. 14, 41 ff.), so daß die de facto
Rechte des Jonathan in de jure Privilegien für Simon und sein
Haus verwandelt wurden. Damit erfolgte der Übergang vom zado-
kidischen Hohenpriesteramt zum hasmonäischen.

Alle Anspielungen auf den „bösen Priester" lassen es Cross
geraten erscheinen, Simon mit dem „bösen Priester" zu identifizieren
. Auch Simons Ermordung durch seinen Schwiegersohn
Ptolemaios soll, nach der Meinung von Cross, im Habakuk-
Kommentar ein Echo gefunden haben (1 QpHab 9, 9 ff.; vgl.
4 QpPs 37, 32 f.).

Die Angaben über den „Lehrer der Gerechtigkeit" sind zu
spärlich, als daß man Näheres über dessen Biographie aussagen
könnte. Einen Beweis dafür, daß er etwa eines unnatürlichen Todes
gestorben sei, kann man nicht erbringen! (vgl. 4 QpPs 37,33)

Die in Qumrän gefundenen alttestamentlichen Texte sind
für die Entstehungsgeschichte des ATs zwar nicht ohne Wert, doch
sollten sie nicht überschätzt werden. Entgegen der Auffassung
von Cross besagt es nicht allzu viel, wenn wir ein Koheletfrag-
ment (4 QKoh a) aus der Zeit zwischen 175—150 besitzen, da
ohnehin heute niemand mehr annehmen würde, das Buch Kohelet
wäre nach dem Jahre 175 verfaßt worden. Zu der Behauptung
von Cross, die Hypothese von den in makkabäischer Zeit entstandenen
Psalmen sei nun zu verwerfen, weil Psalmenfragmente
aus dem 2. Jhdt. v. Chr. vorliegen, ist zu sagen, daß wir eben aus
Qumrän nur Fragmente und nicht den gesamten kanonischen
Psalter haben. Aus den relativ wenigen Psalmenfragmenten darf
daher noch nicht gefolgert werden, der gesamte Psalter sei bereits
in persischer Zeit abgeschlossen worden. Auch die selten
kunstvolle und häufig undichterische Form der Sektenp6almen
erlaubt keine Schlüsse auf die Datierung der alttestamentlichen.
Man wird nur behaupten können, die Lieder der Essener erreichen
nicht das künstlerische Niveau der alttestamentlichen Psalmen.

Für die Textkritik erwiesen sich bisher die Fragmente von
4 QSamb als besonders fruchtbar: In 13 Lesarten stimmt
4 QSam a mit der LXX gegen den MT überein, während vier mal
4Q mit dem MT gegen die LXX zusammengeht. Daraus ergibt
sich, daß die LXX 6ich offenbar weit enger an ihre hebräische
Vorlage hielt, als man dies früher angenommen hatte. So gewinnt
die LXX nun eine verstärkte Bedeutung für die Textkritik. Ein
Vergleich des MT mit den Qumräntexten und der LXX wird daher
gelegentlich erst zur besten Lesart führen (vgl. zu Dt. 32,
Skehan, BASOR, 136, 1954, S. 12ff.). Einblick in die Geschichte
der verschiedenen Rezensionen des hebräischen Textes kann man
erst nach der Publikation weiterer Qumränfragmente erhalten,
immerhin fällt auch jetzt bereits auf, daß 4 QSam a enger mit
den entsprechenden Abschnitten in der Chronik übereinstimmt
als der masoretische Samueltext.

Ausführlich geht Cross auf die Beziehungen des essenischen
zum urchri6tlichen Gedankengut ein. Seine diesbezüglichen Ausführungen
bedeuten ohne Zweifel einen Fortschritt in der Erkenntnis
der geistigen Grundlagen der Urgemeinde. Das Gemeinsame
zwischen Essenern und Urchristen sieht Cross zunächst
darin, daß die Essener die wesentlichsten Träger der apokalyptischen
jüdischen Tradition gewesen sind und diese an die christliche
Urgemeinde weitergegeben haben, während das normative
Judentum apokalyptische Vorstellungen zu unterdrücken versuchte
. Durch die Qumränschriften besitzen wir nun „den Sitz im
Leben" der jüdischen Apokalyptik: Es waren die Essener. Die
„rtSet2ung dieser apokalyptischen Vorstellungen findet sich vor
allem im Johannesevangelium (3,15.21; 8,12; 12,36 u.a.),
wobei hier weniger die Terminologie ins Gewicht fällt, als vielmehr
die behandelten Themen: Licht und Finsternis, Wahrheit

und Lüge, Geist und Fleisch, Liebe und Haß, Tod und Leben,
ferner aber auch der Gedanke vom geoffenbarten Wissen (Joh.
17> 3; vgl. 1 QS 2, 2 f.). Besonders instruktiv ist in dieser Beziehung
auch 1. Joh. (vgl. 1 QS 3, 17-23 / 1. Joh. 3, 7-10; vgl.
Luk 4, 1—6). Die früher häufig geäußerte Hypothese, das Johannes
-Evangelium und die Johannesbriefe wurzelten in griechischem
Boden, läßt sich nach der Kenntnis der Qumrän-Texte
nicht mehr aufrechterhalten. Den spirituellen Dualismus, die
j-ehre von der Prädestination, und, damit zusammenhängend, den
Kampf Gottes oder des Geistes der Wahrheit gegen den Geist
des Bösen, die Lehre vom Parakletos wird man nunmehr auf das
Palästinensische Judentum zurückzuführen haben. Die Begriffe
Wahrheit, Wissen, Geist sowie die Vorstellung vom Logos
stammen nicht aus griechischem oder gar gnostischem Denken,
sondern aus dem sektiererisch jüdischen. So kommt Cross zu dem,
wie mir scheint, richtigen Ergebnis, daß das Johannesevangelium,
ruher als das hellenistischste angesehen, sich als das jüdischste
erweist. „This is not to suggest, that the present form of the
°°ok has not had an elaborate literary history; the point is, that
John preserves authentic historical material which first took form
ln an Aramaic or Hebrew milieu where Essene currents still ran
strong" (S. 162). Eine vertiefte Analyse der Qumrantexte wird
daher eines Tages auch die deutsche religionsgeschichtliche Forschung
zwingen, die liebgewordene Vorstellung von dem griechischen
bzw. gnostischen Hintergrund neutestamentlicher Schriften
über Bord zu werfen. Durch eine auf wirklicher Quellen-
Kenntnis beruhende Beschäftigung mit dem rabbinischen Schrifttum
hätte man freilich schon früher zur Ablehnung des „PanHellenismus
" in der neutestamentlichen Wissenschaft gelangen
können.

Mit der Urgemeinde haben die Essener das Bewußtsein gemein
, der letzten Generation anzugehören. Die e6senische Schrift-
crklärung wird, wie die urchristliche, von diesem Zeitgefühl her
bestimmt: Beide interpretieren das AT weder nach gesetzlichen
uabbinisdies Judentum) noch nach allegorischen Gesichtspunkten
(Philo). Die Exegese ist daher „historisch", das bedeutet bei
Essenern und Urchristen eschatologisch und pneumatisch. Cross
untersucht im einzelnen die Parallelen zwischen den sozialen Intuitionen
beider Gemeinschaften, wobei er besonders auf die
rermini „rabbim" (vgl. Apg. 15,12) und „m°baqqer" (l.Pet.
^•25) sowie auf den besonderen Charakter des religiösen Bundes
eingeht (Apg. 2, 46). Auch zu dem essenischen Bankett (vgl.
^-uk. 22, 24 ff.) und zu dem Gedanken von der brüderlichen Gemeinschaft
(Apg. 2, 44 ff.; 4, 32) gibt es gegenseitige Entsprechungen
.

Man wird ohne Zweifel im Laufe der Zeit im einzelnen weitere
verwandte Züge ermitteln können. Was die Essener von der
urchristlichen Gemeinde jedoch ganz deutlich trennt, ist das Bewußtsein
der Urchristen, bereits dem neuen Äon anzugehören. Für
sie ist der Messias gekommen. Seine Auferstehung hat bereits
stattgefunden und ist nicht ein im Kult vorwegzunehmendes Ereignis
. Ein solcher Glaube hat eine von jeder jüdischen Gruppe
n°twendigerweise abweichende Haltung zum „Gesetz" zur Folge,
damit zugleich aber auch die Ablehnung aller auf priesterlichen
Traditionen und Vorrechten beruhenden Vorstellungen, die gerade
die Qumränsekte auch gegenüber dem pharisäischen Judentum
bis ins Extrem betont. Die Urgemeinde befindet sich bereits
•m Stadium der Erfüllung alttesramentlicher Verheißungen, während
die Essener, als ein jüdischer Bund, noch in der messianischen
Naherwartung stehen. Der neutestamentliche Glaube ist daher
kein „neuer Glaube", sondern — nach christlichem Verständnis —
die Erfüllung eines alten.

W. F. Albright hat das Werk von Cross als das bis heute
umfassendste und aktuellste Buch über die Gemeinde vom Toten
Meer bezeichnet. Man wird dem Urteil dieses amerikanischen
Gelehrten uneingeschränkt zustimmen.

Basel Ernst Ludwig Eh rlich

A Me g r 0^J. M.: Fragments of a Qumrän scroll of eschatological
<'midrä5im.

Jpürnal 0f Biblical Literature 77, 1958 S. 350—354.