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Ausgabe:

1959 Nr. 2

Spalte:

99-102

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Cross, Frank Moore

Titel/Untertitel:

The ancient Library of Qumran and modern biblical studies 1959

Rezensent:

Ehrlich, Ernst Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 2

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das AT zu dienen, entspricht. Mit einem einzigen kurzen Verweis
auf die gebräuchlichsten Einleitungen ins AT ist es nicht getan,
wenn die Methoden und Positionen der Gegner, gegen die sich
das ganze Buch richtet, aus ihm selbst im einzelnen nicht erkennbar
sind, und gelegentlich mit Prädikaten abgetan werden wie
z. B. „gewissenloser Leichtsinn", „Unverschämtheit", „Verstocktheit
", „Blindheit", „frech", „töricht" und dgl. mehr. Will der
Verf. damit etwa das Vertrauen in die Objektivität seiner Beweisführung
bei Studenten wecken? Und was sollen für solche
Leser Hinweise auf seine unveröffentlichten Arbeiten? Verschiedentlich
kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
nur eine gewundene Beweisführung zu dem vom Verf. gewünschten
Ergebnis führt, und er zur sinnbildlich-allegorischen Deutung
greift, wo das wörtliche Verständnis einer Stelle gegen seine
Meinung spricht. Und wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, auf
S. 48 in Ex 6, 3 das lo' gegen den klar bezeugten Text im Sinne
von hHo' umgedeutet und dadurch die Aussage in ihr Gegenteil
verkehrt wird, dann ist das ein bedenklicher Weg, die „biblische
Position" zu stützen.

Tübingen Artur Weiser

Cross, Frank Moore, Jr.: The Ancient Library of Qumran and Modern
Biblical Studies. New York: Doubleday & Comp. 1958. XV,
196 S., 2 Ktn., 4 Taf. 8°. $ 4.50.

An Büchern über die Handschriften vom Toten Meer herrscht
zur Zeit kein Mangel; die Arbeit von F. M. Cross darf jedoch
besonderes Interesse beanspruchen: Der Autor hatte auch zu bisher
noch nicht veröffentlichten Texten Zugang, und er gilt als
eine der führenden amerikanischen Autoritäten für das Schrifttum
des Qumrän-Bundes. Dazu kommt, daß Cross sein Werk nicht
für Laien verfaßt hat, die einen flüchtigen Überblick über die
Probleme der Gemeinde vom Toten Meer gewinnen wollen, sondern
der Verfasser belegt seine Darstellung durch die bis zum
Jahre 1957 erschienene wissenschaftliche Literatur, mit derer sich
kritisch auseinandersetzt.

Cross identifiziert die Qumrän-Sekte mit den Essenern; er
erkennt, daß diese enger zum Judentum gehörten, als man dies
früher auf Grund der Zeugnisse des Josephus oder des Philo annehmen
konnte. Die Essener unterscheiden 6ich nicht durch ihre
Gesetzesauffassung vom normativen Judentum, sondern durch
die Betonung der Apokalyptik und daher durch die Bildung
apokalyptischer Gemeinden. Die Essener sind als eine „Heilsgemeinschaft
" zu bezeichnen, die in Nachahmung der israelitischen
„Wüstengeneration" zur Zeit des Mose, sich in_der Wüste für
das nach ihrer Auffassung nahe bevorstehende Königreich Gottes
rüsteten. Sie sind priesterliche Apokalyptiker mit asketischen
Zügen, keine reinen Asketen wie etwa die Rekabiten der israelitischen
Königszeit. Qumrän war nur einer ihrer Sitze, vielleicht
das Zentrum, neben dem aber noch manche „Lager" bestanden
haben mögen. Die Bewohner dieser Lager waren vermutlich verheiratet
. Die essenische Gemeindeordnung ist eine Vorwegnahme
der im neuen Aon zu vollziehenden Umwandlung des sozialen
Lebens: Einheit (durch den Geist), Bruderschaft, Liebe zwischen
den Bundesmitgliedern, Abschaffung der sozialen Gegensätze
zwischen reich und arm. Das Gemeinschaftsleben des Essener-
Bundes wird aktiviert und findet seinen Höhepunkt beim Gemeinschaftsmahl
(1 QSa II, 11-22; vgl. 1 QS 6,4-6). Im Zusammenhang
der Beschreibung der von der Sekte zelebrierten
Kultmahlzeit findet sich bekanntlich auch eine Erwähnung der
beiden Messiasse. Diese Stelle hat wegen ihres merkwürdigen Inhalts
zu mancherlei Deutungen Anlaß gegeben, zumal ihr Wortlaut
nicht genau feststeht. Cross ist der Meinung, die von den
Herausgebern vorgeschlagene Lesung sei korrekt: „Wenn...
seinen Gesalbten sendet, damit er bei ihnen ist" (jwk für jwld).
Wahrscheinlich hat in der Lücke „el" gestanden. Diese heilige
Gemeinschaftsmahlzeit möchte Cross als eine liturgische Vorwegnahme
des messianischen Banketts verstanden wissen. Die Sekte
konnte sich dabei auf Jes. 25, 6—8 beziehen; das NT hat diese
apokalyptische Vorstellung weitgehend übernommen (Matth. 8,
11 f.; Luk. 14, 15 ff.; 22, 30 u. a.).

Der Autor versucht ferner die Frage zu beantworten, ob die
Essener bzw. die Qumränsektierer die Ehe ablehnten. Philos
Zeugnis dafür ist eindeutig: Er behauptet, die Essener hätten das

Zölibat eingeführt (Hypothetica 11, 14-17). Josephus hingegen
unterscheidet zwischen verschiedenen Gruppen von Essenern: Nur
eine von ihnen erlaubte die Eheschließung (Bell. Jud. II, 160—161
u. a.). Unklar bleibt jedoch bei Josephus, ob sich nicht vielleicht
die Mehrheit der Essener zu dem die Ehe anerkennenden Zweig
bekannt, und nur im Stammsitz in Qumrän das Zölibat gegolten
hätte. Eine solche Vermutung drängt 6ich deshalb auf, weil schwer
einzusehen ist, wie eine „gesetzestreue" Bewegung eines der
Grundprinzipien des Judentums, die Ehe, abgelehnt haben sollte.
Die Umgehung des alttestamentlichen Ehegebotes dürfte wahrscheinlich
aus der spezifisch priesterlichen Konzeption der esse-
nistischen Apokalyptik stammen: Da die Sekte sich für den Endkampf
der letzten Tage vorbereitet und an dieser Schlacht audi
Engel teilnehmen werden, müßten aus Gründen der kultischen
Reinheit Frauen von der Sekte ausgeschlossen bleiben (vgl. lQ M,
12,1—5; 6—10). Nachklänge solcher Vorstellungen finden sich
auch in Luk. 20, 34—36; 1. Kor. 7, 1.

Vor der Entdeckung der Qumräntexte war man der Meinung,
die Essener hätten die Opfer kategorisch abgelehnt (Philo, quod
omn. lib. sit. 75). Josephus behauptet, sie opferten nicht am
Jerusalemer Tempel, sondern für sich privat (Ant. XVIII, 19).
Cross möchte auf Grund der in Qumrän entdeckten Tierknochen
der Angabe des Josephus Glauben schenken, wenngleich der
Autor sich auch fragt, wie ein vom Kultzentrum in Jerusalem
unabhängiger Opferkult mit den gesetzestreuen Vorstellungen
der Sekte zu vereinbaren sei. Als Parallele führt Cross den Onias-
Tempel von Leontopolis an. Gegen die Auffassung von Cross
muß jedoch eingewendet werden, daß die Archäologie bisher noch
keinen Opferaltar oder Opfergeräte zutage gefördert hat, so daß
die Frage nach den Opfern der Essener vorerst nicht beantwortet
werden kann. Auch die aufgefundenen Tierknochen brauchen
keineswegs von Opfern herzustammen, sondern mögen Überreste
des bei den heiligen Mahlzeiten genossenen Fleisches sein.

Die paläographischen Analysen führen Cross zur Unterscheidung
von drei Hauptperioden der in Qumrän gefundenen
Texte: 1. Archaische Schrift (ca. 200—150 v.Chr.), 2. Hasmo-
näische Schrift (150—30 v.Chr.), 3. Herodianische Schrift (ca.
30 v. Chr. — 70 n. Chr.). Aus diesem Befund läßt sich auch ein
Datum für die Entstehung der Sekte erschließen: Da kein Dokument
der Sekte in archaischer Schrift erhalten ist, darf vermutet
werden, der Essenerbund sei erst um die Mitte des 2. Jhdts.
v. Chr. gegründet worden. Auch alttestamentliche Fragmente aus
früherer Zeit sind selten. Die Auswertung der archäologischen
Grabungen in Qumrän hat zu ganz ähnlichen Ergebnissen geführt
wie die paläographische Forschung.

Historische Anspielungen in den Sekten-Texten finden sich
bekanntlich nur vereinzelt. Am ergiebigsten ist noch 4 QpNah
(zu Nah. 2, 12—13). Den in diesem Text erwähnten Antiochus
möchte Cross mit Antiochus IV. identifizieren, wenn auch Antiochus
VII. (Sidetes, 138—129) nicht völlig ausgeschlossen werden
kann. Mit den „Herrschern der Kittäer" sollen die Römer gemeint
sein. Der in diesem Fragment erwähnte griechische König
Demetrius 6ei, nach Meinung von Cross, Demetrius III. (Euka-
iros), der Gegner von Alexander Jannaj (103—76). Während
Alexanders Regierungszeit brach ein Bürgerkrieg aus, in dessen
Verlauf die eine Partei Demetrius zu Hilfe rief. Alexander wurde
zwar von diesem geschlagen, aber die Juden einten sich angesichts
der Niederlage ihres Königs. Offenbar befürchteten sie, Demetrius
könnte Judäa seinem 6eleukidischen Reiche einverleiben.
Nach dem Abzüge des Demetrius ließ Alexander Jannaj zahlreiche
seiner früheren Gegner kreuzigen (Josephus, Bell. Jud. I, 90—98).
Diese Angabe würde mit dem Hinweis von 4 QpNah übereinstimmen
, der „zornige Löwe" habe Männer lebendig gehängt.

Der Schöpfer der Sekte, oder zumindest ihr geistiges Oberhaupt
, „der Lehrer der Gerechtigkeit", war Priester (1 QpHab
2,8; 4 QpPs 37, II, 15). Er wollte ein wahres, von legitimen
Priestern geführtes Israel begründen. Die Errichtung des Essenerbundes
geschah also offenbar aus Protest gegen die Herrschaft
gewisser Priesterkreise am Jerusalemer Tempel. Von Machtkämpfen
innerhalb dieser Priesterechaft erfahren wir anläßlich des
Makkabäeraufstandes, als der letzte legitime zadokidische Hohepriester
Onias III. sein Amt zugunsten von hellenisierenden und