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Ausgabe:

1959 Nr. 2

Spalte:

92-93

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kraus, Franz Xaver

Titel/Untertitel:

Tagebücher 1959

Rezensent:

Ristow, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 2

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P. Heid. 190 wird nach Gerhard (a. a. O. S. 38 ff.) und Diehl
(Anth. lyr.2, Addenda 1942, S. 66 ff.) von S. einer gründlichen
Neubehandlung unterzogen und als Prosa-Sammlung skoptischer
Topoi interpretiert, für die seiner Meinung nach als nächste Parallelen
Schriften wie Theophrasts Charaktere und die pseudaristo-
telischen Physiognomonika in Frage kommen. Vgl. dazu die guten
Bemerkungen von R. Kassel, Rhein. Mus. 99, 1956, S. 242 ff.
(Reste eines hellenistischen Spaßmacherbuches auf einem Heidelberger
Papyrus?), der das Machwerk überzeugend dem Bereich
niederer skoptischer Literatur zuweist.

P. Heid. 191-193 enthalten unbedeutende Reste attischer
Gerichtsreden (193 aus einem philosophischen Dialog?).

In P. Heid. 194 ist ein Stück aus einer Polemik gegen die
Auffassung von einer judxrj amixeluiv gerade noch faßbar.

P. Heid. 195 stammt vielleicht aus einem späten Historiker,
196 aus einem bisher nicht näher bestimmbaren Prosatext.

P. Heid. 197-198 enthalten grammatische Texte (198 aus
einer Schrift negl övöjuaTog). Die Behandlung von 197 (Reste
einer Texvrj ygafifianxr/) darf schlechthin meisterhaft genannt
werden und ist beispielhaft für S.s sorgfältige und besonnene Arbeitsweise
. Mit äußerster Gewissenhaftigkeit werden die in der
Texvr) des Dionysius Thrax und auf einigen Papyri erhaltenen
Paralleltexte herangezogen und für die Erschließung der neuen
Bruchstücke fruchtbar gemacht, auf die gerade durch die bis in die
kleinsten Details durchgeführte Gegenüberstellung viel Licht fällt.
Zwar gelingt auch so, des stark verstümmelten Zustandes der
Fragmente wegen, keine sichere Lokalisierung innerhalb der antiken
Grammatikerschulen, aber die Ergebnisse, zu denen S. auf
Grundseiner Interpretation kommt, sind für unser Wissen von
der grammatischen Arbeit im Altertum doch bedeutsam genug.

P. Heid. 199 bringt Fragmente einer metrologischen Schrift,
200 Stücke des oben im Zusammenhang mit den Komödienresten,
die auf dem Recto erhalten sind, bereits erwähnten alphabetischen
Glossars.

Der zweite Teil des Werkes (S. 63-90) umfaßt Papyri mit
Fragmenten uns überlieferter Autoren, die also ein willkommenes
Korrektiv unserer handschriftlichen Überlieferung darstellen.

P. Heid. 201—203 bereichern unsere Kenntnis vom Zustand
des Homertextes im 2. und 3. Jhdt. n. Chr., wenn auch der Gewinn
weniger in etwa unvermutet auftauchenden Varianten (hier
wäre nur E 852 ex ßv/udv eteoftai nach P. Heid. 201 zu nennen)
als in der höchst erwünschten Bestätigung bisheriger guter Lesarten
besteht.

P. Heid. 204 bestätigt des Stobaios Lesart Ccotjv in Hes.
Theog. 606 gegen das xrfjoiv der Hss., woraus sich u. U. Konsequenzen
für dje Einschätzung der übrigen von Stobaios gebotenen
Varianten ergeben.

P. Heid. 205 (Eurip. Herakl. 1092-1099), ein freilich etwas
verwilderter Papyrus aus dem 3. Jhdt. v. Chr. (unser erster zu diesem
Stück!), bestätigt Canters Konjektur reaicagrat V. 1098 und
gibt vielleicht mit aroxldaßart (erg. S.) die richtige Lesart in V.
1096 (xeixloßaii die Hs6.); vgl. jedoch P. Maas, Glotta 35, 1956,
S. 300.

P. Heid. 206 mit Xenoph. Memorab. I 3, 7-13 ist von höchster
Bedeutung für die Einschätzung unseres Memorabilientextes.
Es finden sich eine Reihe von Abweichungen des Papyrus von der
bisherigen Überlieferung, deren wichtigste S. mit großer Sorgfalt
diskutiert (S. 82 f. hat er sie vollständig zusammengestellt). Mit
Recht gibt er in allen Fällen der Papyruslesart als der besseren
den Vorzug. Darüber hinaus zwingt uns der Papyrus dazu, auch
in den Memorabilien mit (interpolatorischen und anderen) Eingriffen
in den Text zu rechnen, woraus sich die Forderung nach
einer neuen gründlichen examinatio des Textes ergibt.

P. Heid. 207 bringt ein Stück aus der 21. Rede des Demo-
sthenes (§ 104 f.), ohne Abweichungen von der Überlieferun?,
P. Heid. 208 zwei Stücke aus des Isokrates Rede über den Frieden

7) Darunter P. Harris 59, zu dem S., an B. Snells wichtige Behandlung
(Gnomon 13, 1937, S. 582 f¥.) anknüpfend, eine Reihe neuer Textvorschläge
bringt (S. 51, Anm. 8 u. S. 53, Anm. 10).

(§ 43 f. u. 56—61), deren Verhältnis zu den Hss. und der übrigen
Papyrusüberlieferung S. genau untersucht.

P. Heid. 209 endlich enthält einen Abschnitt aus der Pelopi-
dasvita des Plutarch (7, 1—5) mit vier echten Varianten gegenüber
der Überlieferung.

Den Abschluß des Werkes bilden ein alphabetisches und ein
rückläufiges Wörterverzeichnis, deren sorgfältige Einrichtung mir
Stichproben bestätigt haben. Die drucktechnische Anlage des Werkes
ist ausgezeichnet; Druckfehler und Versehen sind äußerst
selten . Vorzüglich sind auch die beigegebenen Tafeln, die, wenn
6ie nicht den ganzen Papyrus abbilden, doch wenigstens eine
charakteristische Probe geben9, durch die eine Nachprüfung der
Lesungen ermöglicht wird.

Arbeiten wie diese pflegen selten den ihnen gebührenden
Dank zu finden. Um so nachdrücklicher sei er daher hier dem Bearbeiter
eines Werkes abgestattet, dessen methodische Sauberkeit
ebenso wie die bescheidene Diktion Ausdruck einer echten wissenschaftlichen
Gesinnung ist.

Bonn Ernst Vogt

8) S. 51, Anm. 8 muß es heißen: Gnomon 13, 1937 (statt Gnomon
37); S.63, Z. 16: 837 (statt 838); S . 91, Z. 18: Liddell; S. 82 steht
die Anzeige von § 11 um 11 Zeilen zu tief.

") Nur für P. Heid. 176 wird auf die Tafel (I) bei Gerhard verwiesen
.

Kraus/Franz Xaver: Tagebücher, hrsg. von Dr. Hubert Schiel.
Köhl: Bachem 1957. XX, 820 S., 5 Taf. 8°. Lw. DM 32.—.

Im Jahre 1951 war die Sperrfrist abgelaufen, die Franz Xaver
Kraus für eine Veröffentlichung seiner Tagebücher testamentarisch
festgesetzt hatte. Als Direktor der Stadtbibliothek zu Trier,
die den literarischen Nachlaß von F. X. Kraus in ihrer Obhut
hat, legt Hubert Schiel nun die Tagebücher dieses bedeutenden
Kirchenhistorikers, Kunsthistorikers, christlichen Archäologen
und katholischen Kirchenpolitikers der Öffentlichkeit im Druck
vor.

Die Tagebücher bestehen aus 13 Heften, die der Herausgeber
in der von Kraus vorgesehenen Einteilung zusammengestellt
hat, so daß da6 umfangreiche Buch den Charakter einer
Selbstbiographie trägt. Es umfaßt die Zeit von 1856—1901 und
zeigt in lückenloser Abfolge, in 9 Bücher gegliedert, den Lebensweg
von F. X. Kraus auf, die Jugendzeit, die Gymnasial- und Studienjahre
, den anerkannt vorurteilslos und exakt arbeitenden
Wissenschaftler, die theologischen Kämpfe und die Rolle in der
hohen Politik, bis hin zu dem langen körperlichen Leiden, dem
kurz nach seinem 61. Geburtstag der Tod ein Ende setzte. Dabei
wird Persönliches, historisch allgemein Interessantes und sehr
Aufschlußreiches aneinander gereiht.

Um den Entwicklungsgang des jungen Kraus klar herauszustellen
, werden vom Herausgeber die Eintragungen der Gymnasial
- und Studienjahre von 1856—1864 (Buch 1—3) auf das
Wesentliche eingeschränkt. Diese Kürzungen scheinen „nicht nur
gerechtfertigt, sondern geboten". Es dürfte dem Leser wenig entgehen
, da es sich zumeist um „Niederschriften angehörter Predigten
", um „wiederkehrende religiöse Ergüsse", „quälerische
Selbstanklagen", Zitate u. ä. handelt. Die Eintragungen seit der
Priesterweihe werden vom Herausgeber in vollständigem Text
wiedergegeben, jede Streichung und Kürzung ist hier vermieden,
denn es wäre „der Willkür Tür und Tor geöffnet" worden.

Der Leser erlebt mit den Aufzeichnungen des großen Gelehrten
die ganze Tragik dieses treuen Sohnes der katholischen
Kirche, der als Wissenschaftler und Christ ein Feind de6 politischen
Katholizismus und Ultramontanismus wird und sich zugleich
vom liberalen Katholizismus distanziert. Er erfährt, wie
Kraus sich selbst, 6ein Wirken und 6eine Zeit beurteilt, wie er
schon während der Studienjahre verketzert wird und mehr und
mehr in einen schroffen Gegensatz zum Ultramontanismus und
zu den Jesuiten gerät. Lange Zeit braucht er so, angefeindet von
seinen Glaubensbrüdern und anerkannt von der gelehrten Fachwelt
, ehe er 1872 die heiß ersehnte Lehrtätigkeit in Straßburg
beginnen kann. Und es ist bezeichnend für Kraus, wie er einmal
gelobt, wenn er „Ostern oder demnächst" Professor werde, sein