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Ausgabe:

1959 Nr. 12

Spalte:

922-923

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Christoph Pezel (1539 - 1604) und der Calvinismus in Bremen 1959

Rezensent:

Fast, Heinold

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 12

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Da der Verf. nur eine geringe Lutherkenntnis bei seinen Lesern
voraussetzen kann, hat er einen großen Teil seine6 Buches dem
Referat und der Übersetzung von Luthertexten gewidmet. Auf
mehr systematische, ins einzelne gehende Analysen hat der Verf.
verzichtet. Seine Referate sind jedoch korrekt und gut formuliert.
Das erste Kap. (S. 1—40) beschreibt die Grundzüge von Luthers
Auffassung während der Periode von 1513—1518. Im zweiten
Kap. (S. 41—72) motiviert Cranz mit guten Gründen seine Ansicht
, daß in den Jahren 1518/19 eine wichtige Entwicklungsphase
in Luthers Theologie stattgefunden hat. Das dritte Kap
(S. 73—112) behandelt das Thema „Justice and Law", d.h. Luthers
justitia-Begriff und Lehre vom Gesetz. In dem abschließenden
vierten Kap. beschäftigt sich der Verf. mit Luthers Lehre
von der Kirche, den Ständen und den Grundzügen der Lehre von
den zwei Regimenten.

Das Buch von Cranz zeugt von einer eingehenden Kenntnis
der Weimarer Lutherausgabe und der modernen Lutherlitcratur.
Eine Auseinandersetzung mit den Thesen anderer Lutherforscher
hat er jedoch nicht vorgenommen. Als Ausnahme von dieser Regel
kann jedoch auf einen Exkurs hingewiesen werden, in welchem
Cranz die Forschungen von Joh. Heckel kommentiert (vgl
S. 179 f.). Wie viele schwedische und deutsche Lutherforscher ist
auch Cranz der Ansicht, daß Heckeis Darstellung den Intentionen
Luthers kaum Rechnung trägt. Cranz kritisiert Heckel an zwei
wichtigen Punkten. Er weist darauf hin, daß die verschiedenen
Aspekte, unter denen Heckel das Gesetz betrachtet (das göttliche
Naturgesetz, das positive göttliche Recht usw.), sich durch das
Quellenmaterial nicht oder nur sehr schlecht belegen lassen. Sodann
stellt Heckeis Darstellung von Luthers Zwei-Reiche-Lehre
insofern ein Mißverständnis dar, als in ihr die Tendenz feststellbar
ist, Luthers Aussagen über die zwei Reiche oder Regimente
auf zwei verschiedene Gruppen von Menschen zu beziehen.

Lund Gunnar H i 11 e r d al

Melanchthons Werke in Auswahl unter Mitwirkung von
H. Engelland, G. Ebeling, R. Nürnberger und H. Volz hrsg. von
Robert Stupperich. II. Band, 2. Teil: Loci praeeipui theologici
von 1559 (2. Teil) und Dcfinitioncs. hrsg. v. H. Engelland. XII S. u.
S. 353—816. Lw. DM 16.50. VI. Band: Bekenntnisse und kleine Lehrschriften
, hrsg. von R. Stupperich. VIII, 488 S. 8°. Lw. DM 16.80.
Gütersloh: Bertelsmann 1953/1955.

Es gibt wenig theologische Neuerscheinungen, die mit solcher
Spannung erwartet und mit solcher Freude begrüßt worden
sind wie diese neue Melanchthon-Ausgabe, die auf dem Umschlag
als Studien-Ausgabe bezeichnet ist. Nach der Ausgabe im Corpus
Reformarorum, deren Mängeln mit Supplementa nicht mehr abzuhelfen
ist, ist längst eine wirklich umfassende Neuausgabe von
Melanchthons Werken fällig. Aber ebenso wichtig ist eine handliche
, erschwingliche, für den akademischen Unterricht brauchbare
Auswahlausgabe. Daß nach einer Zeit der einseitigen Lutherforschung
die Melanchthonforschung (und die Erforschung mancher
anderer Männer aus dem „zweiten" Glied der Reformatoren;
erst wieder richtig in Gang und auf Touren gebracht werden
mußte und muß, ist bekannt. 1951 erschien von der jetzt in Rede
ßtehenden Studienausgabe der 1. Band mit „Reformatorischen
Schriften", für den der Herausgeber der ganzen Ausgabe, Robert
Stupperich, verantwortlich zeichnete. 1952 schon schloß sich an
ein Band II, 1 mit den Loci communcs von 1521 und dem 1. Teil
der Loci praeeipui theologici von 15 59. Dessen Herausgeber war
Hans Engelland. Über diese beiden Bände ist in ThLZ 78 (1953),
292 berichtet. Den ausstehenden größeren Teil der Loci praeeipui
von 1 559 und die Definitiones brachte Hans Engelland gleich
ein Jahr später heraus, 1953. Robert Stupperich wiederum legte
195 5 den VI. Band des ganzen Llnternchmens: „Bekenntnisse
ur>d kleine Lehrschriften" vor. Dann wartete die theologische
Öffentlichkeit auf die Bände, die noch ausstanden. III: Execretisch?
Schriften (Gerhard Ebeling), IV: Humanistische Schriften (Richard
Nürnberger) und V: Briefe (Hans Volz). Das Unternehmen
scheint aber etwas ins Stocken geraten zu sein, und der Rezensent
darf nicht noch weiter auf ausstehende Bände warten. Schön wäre
es wohl, wenn im 400. Todesjahr Melanchthons die ausgezeichnete
kleine Melanchthonausgabe fertig vorläge, die wirklich dazu

dienen kann, einen breiteren Kreis von Theologen zum Studium
Melanchthons anzuregen und damit einer neuen Melanchthonforschung
die Resonanz zu verschaffen, die sie haben muß, um
wirklich etwas auszurichten. Wird damit noch gerechnet werden
dürfen, daß 1960 die Studienausgabe abgeschlossen ist? Inzwischen
Wollen wir uns jedenfalls über das freuen, was bereits vorliegt.
In dem Band VI mit den Bekenntnissen und kleinen Lehrschriften
sind die Confessio Augustana invariata und die Apologie verständlicherweise
nicht mit abgedruckt. Daß wir einen vollständigen
Text der Variata in die Hand bekommen haben und nicht
mehr in Ausgaben der Bekenntnisschriften die „Abweichungen"
nachzusehen brauchen, ist wichtig. Im übrigen lernen wir Melan-
chthon in seinen Auseinandersetzungen mit Antitrinitariern,
Täufern, der Kölnischen Reformation, Osiander, Staphylus, Stan-
carus und der bayrischen Inquisition kennen. Zu jeder Schrift
ist eine Einleitung mit den wichtigsten historischen Daten gegeben
. Bei der Textwiedergabe ist vom Erstdruck ausgegangen. Die
Fußnoten bringen i. w. Nachweise von Bibelstellen, gelegentlich
auch von Väterzitaten und hier und dort Hinweise auf Textabweichungen
in anderen Drucken oder Ausgaben, die vielleicht
nicht nur Druckversehen sind.

Herausgebern und Verlag werden es viele danken, daß sie
ibr Unternehmen begonnen haben. Auf dessen Abschluß warten
aber auch viele mit Sehnsucht.

Markkleeberg/Leipzig Franz Lau

M dt mann, Jürgen: Christoph Pezel (1539—1604) und der Calvinismus
in Bremen. Bremen: Verlag Einkehr 1958. 192 S., 1 Taf. gr. 8*
= Hospitium Ecclesiae. Forschungen zur bremischen Kirchengeschichte,
hrsg. v. B. Heyne u. K. Schulz, Bd. 2.

Drei Stationen kennzeichnen den Lebensweg und die theologische
Entwicklung Christoph Pezels: Wittenberg, Nassau und
Bremen. Als Prediger an der Schloßkirche in Wittenberg war er
von 1570 bis 1574 der theologische Wortführer des Wittenberger
Kryptocalvinismus. Nach dem Zusammenbruch der Bewegung
wurde er ab 1577 einer der maßgebenden Männer für die „zweite
Reformation" in der Grafschaft Nassau-Dillenburg (seit 1578
Pfarrer in Herborn). Von 1580'81 an führte er die „zweite Reformation
" auch in Bremen durch. Die Arbeit von Moltmann
geht in ihrer Darstellung diesen drei Stationen nach. Vorangestellt
ist ein ausführlicher erster Teil über den Kryptocalvinis-
mus in Bremen bis 1581 (Hardenberg, Molanus, von Ewich) und
damit über die Voraussetzungen von Pezels Wirken in dieser
Stadt.

Es ist erstaunlich, wieviel Platz der so gespannte Rahmen
für eine Fülle von höchst interessanten Beobachtungen zur protestantischen
Dogmen- und Kirchengeschichte bietet. Im Vordergrund
steht das Bemühen, am Lebensweg Pezels und an den
Wandlungen seiner Theologie den Übergang einer Gruppe von
Melanchthonschülern zum Calvinismus und zur deutschrefonnier-
ten Theologie beispielhaft greifbar zu machen. Die Grundzüge
der Theologie Pezels und seiner Freunde in Wittenberg waren
durchaus noch melanchthonisch gefärbt. In der Christologie und
in der Abendmahlslehre zeigten sich bereits calvinistische Ten-
den7en, die man aber durch Vermittlungsformeln verschleierte.
In der Ablehnung der Perseveranz der Gnade und in der Anschauung
der Kirchenordnungen als Adiaphora gab es noch keine
Kompromisse. Nach der Katastrophe des Philippismus in Wittenberg
und nach der Flucht Pezels zu Graf Johann VI. von Nassau-
Dillenburg konnten sich die calvinistischen Einflüsse ungehemmter
entfalten. Sie rührten hauptsächlich von der engen Verbindung
her, die Pezel mit den Pfälzer Theologen pflegte. Moltmann
nennt das Ergebnis dieser Einflüsse eine „wittenbergisch-genfische
Consensus-Theologie" und stellt sie dar an Pezels Anschauungen
von Prädestination und Bekehrung. Die von Melanchthon abge
leitete analytische Betrachtungsweise des „modus conversionis"
wird zusammengenommen mit dem durch Zanchj angeregten synthetischen
Begriff des „opus conversionis" und in einer an Calvin
angelehnten Prädestinationslehrc verbunden. Die sich daraus
entwickelnde I ehre von der „perseverantia sanetorum" will zwar
die Heilsgewißheit rein christologisch begründen, kann aber versteckt
habitualistische Anschauungen nicht vermeiden. In der
Praxis wirkte sich der Wandel des Philippismus zum Reformierten-