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Ausgabe:

1959 Nr. 12

Spalte:

910-911

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gutbrod, Karl

Titel/Untertitel:

Das Buch vom Reich 1959

Rezensent:

Hertzberg, Hans Wilhelm

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909

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 12

910

Griechen auf Grund der gängigsten religionsgeschichtlichen Werke
in kurzem Abriß vor, wobei vor allem der Kultus als am leichtesten
zugängliche Erkcnntnisquelle benützt wird. Trotz der beiden
großen Strömungen von Monismus und Dualismus zeigt sich
dabei eine wichtige Übereinstimmung: Der Mensch wird als
numinose Mächtigkeit gesehen, die göttlicher Natur und dadurch
dem Tode nicht völlig ausgeliefert ist.

Auf diesem Hintergrund hebt sich nun das Bild des menschlichen
Wesens in Israel ab, das Lys im Unterschied zu 6einen Vorgängern
sofort in einem chronologischen Rahmen sichtbar werden
läßt, der von den Texten der vorprophetischen Zeit bis zum Spätjudentum
hinunterführt. Der Vorteil dieser Anordnung, unterstützt
durch die Unterteilung in historische, prophetische und
juristische Texte und durch genaue Zahlenangaben über das Vorkommen
der Vokabel, springt in die Augen, auch wenn man sich
der Fraglichkeit mancher Zeitbestimmungen bewußt ist. Andererseits
ist die Versuchung zur Herstellung einer zeitlich bestimmbaren
Bedeutungswandlung damit unmittelbar gegeben; doch befleißigt
sidi der Verf. hier großer Vorsicht und glaubt nur an
wenigen Stellen eine zeitlich fixierbare deutliche Wendung in der
Begriffsgeschichte von nefesch feststellen zu können, so wenn in
der deuteron. Bewegung die Gleichsetzung von Blut und nefesch,
durch die ein geheiligtes Element im Menschen ausgesondert wird,
und die Betonung der persönlichen Verantwortung in dem Ausdruck
„mit ganzer nefesch" konstatiert wird, vor allem aber, wenn
im Exil bei Hesekiel und P der auffallend starke Gebrauch von
nefesch nicht nur zur Bezeichnung des zählbaren Einzelwesens,
sei es Mensch oder Tier, benützt wird, sondern die nefesch des
einzelnen nahe an den Begriff einer ihm anvertrauten heiligen
Substanz rückt, die, im Blut lokalisiert, vor Beschmutzung behütet
werden muß, aber auch nach dem Tode als unpersönliche Lebenskraft
beim Leichnam bleibt und die vorher fest geschlossene
Todesgrenze zu öffnen droht. Während sich im älteren Judentum
diese Begriffsverschiebung, die heidnische Anschauungen einzulassen
droht, in historischen und kultgesetzlichen Partien fortsetzt
, ist sie in den prophetischen Zeugnissen nicht zu belegen
und hat in der lyrischen und Weisheitsliteratur keine Aufnahme
gefunden. Vielmehr ist die Polysemie, die schon am Anfang des
Sprachgebrauchs stand, hier herrschend geblieben und bezeugt das
Festhalten an der Mannigfaltigkeit des vom Schöpfer geschenkten
Lebens, resp. des von diesem Leben durchdrungenen Wesens, das
am Tod seine unwiderrufliche Grenze findet und nie zu einem
unsichtbaren Doppelgänger des Menschen aufrückt, der nach dem
Tode Verehrung beanspruchen könnte. So bleiben wesentliche
Kennzeichen der alttestamentlichen Offenbarung: der Monotheismus
, die Bejahung der Schöpfungswirklichkeit und das Ernstnehmen
der Todesgrenze gewahrt, und damit die Voraussetzung
für eine ganz andere Lösung des Todesproblems als bei den heidnischen
Völkern offen.

Es ist keine Frage, daß hier die Probleme vielfach in einem
neuen Licht gesehen worden sind und die scharfsinnige Analyse,
die ständige religionsgeschichtliche Vergleichung und die theologische
Gesamtschau eine Förderung de6 Verständnisses von nefesch
gebracht haben. Daß eine bleibende Unsicherheit in der Deutung
vieler Stellen nicht zu beseitigen ist, sieht der Verf. selbst. Auch
die Gefahr einer Überspitzung oder Überforderung mancher
Zeugnisse scheint uns nicht ganz vermieden; speziell das Verständnis
von P und Hesekiel ruft noch manchen Fragen. Das hindert
nicht, diese gründliche Studie als wertvolles neues Hilfsmittel
anzuerkennen.

Miinchcnstein b. Basel Walthcr Eichrodt

M y e r s, Jacob M.: The Linguistic and Litcrary Form of the Book of
Ruth. Leiden: Brill 195 5. IX, 69 S. gr. 8°. hfl. io.—.

Myers These geht darauf hinaus, daß das Buch Ruth, in seiner
gegenwärtigen Form eine Prosanovelle, noch eine ältere poetische
Gestaltung erkennen läßt und zum Teil erhalten hat. Diese
These wird entwickelt, indem zunächst im ersten Kapitel der allgemeine
Charakter des Buches, seine Bildhaftigkeit, Straffheit
und Abgeschlossenheit, kurz dargestellt wird. Das 2. Kapitel
untersucht die Sprache nach allen Richtungen, angefangen von
der Orthographie, deren Geschichte kurz entwickelt wird, über

die Morphologie und Syntax bis zu dem Vokabular und den
Redensarten. Damit soli bewiesen werden, daß der Verfasser
nicht archaisiere, sondern nach seiner Sprache in die klassische
Zeit der hebräischen Erzählungskunst gehöre. Das Hauptgewicht
liegt auf dem 3. Kapitel. Hier wird einmal auf den poetischen
Charakter des Buches hingewiesen, vor allem in Anschluß an
Gunkel; dann auf die poetischen Worte, die sonst überwiegend
in poetischen Texten auftauchen, sowie auf Assonanzen und
Allitterationen. Im Anschluß an frühere Beobachtungen werden
dann die häufigen Fälle des Parallelismus aufgeführt, nach M.
24 an der Zahl. Mit alledem glaubt M. einen festen Grund für
seine These gelegt zu haben. Poesie liegt nach ihm vor: erstens
bei rhythmischer Gliederung, zweitens bei Parallelismus, drittens
hei Verwendung poetischer Worte. Auf Grund dieser Kriterien
glaubt er im heutigen Text eine Reihe poetischer Stellen herausheben
zu können und macht sie dem Leser durch den Abdruck
des hebräischen Textes und seiner Übersetzung anschaulich. Nach
M. hat also ein (jüngerer?) Erzähler ein altes Lied von Naemi und
Ruth in Prosa umgebildet, dabei aber die alten Worte und Formen
und zum Teil die poetische Gestaltung beibehalten.

Wirklich? Meine Gegenfrage wäre einmal: Ist der Gegensatz
von Prosa und Poesie richtig gesehen? Kann nicht auch ein Prosaerzähler
Poesie schaffen? Kann er sich nicht, wenn es 6ein Gegenstand
erfordert, poetischer Worte und Formen bedienen? Das
ganze, ungemein fleißig zusammengetragene Material scheint mir
für die These nicht beweiskräftig zu sein. Die Möglichkeit einer
poetischen Vorstufe ist natürlich immer gegeben. Aber sie ist mit
dieser Methode schwerlich als wahrscheinlich zu erweisen. Damit
erübrigt sich m. E. auch das Eingehen auf Einzelheiten, obgleich
manches zu bemerken wäre, etwa zu den Parallelismen (soweit
s'e überhaupt als solche eindeutig sind und nicht durch den Inhalt
gegeben, finden sie ihre Erklärung etwa darin, daß sie in
Wunschformeln auftauchen oder in der Rede) oder auch zu den
angeblich poetischen Worten.

Aber auch das andere Argument scheint mir nicht beweiskräftig
, das der alten Formen. Gerade durch den von M. zusammengetragenen
Stoff bin ich erneut zu der Frage veranlaßt, ob
der Verfasser des Ruth-Buches nicht doch bewußt archaisiere,
denn es finden sich auch nach M. in Syntax und Vokabular
so viele Formen, die auf eine spätere Zeit hinweisen, daß man
die gegenwärtige Gestalt nicht zu früh ansetzen darf. Dann bleiben
für die Erklärung der älteren Formen drei Möglichkeiten:
1. sie sind aus einer älteren Vorlage übernommen, 2. sie waren
noch im Gebrauch, 3. sie sind bewußt, also archaisierend eingefügt
im Anschluß an ältere Erzählungen. M. E. sollte man mit
dieser letzten Möglichkeit, d. h. mit der Möglichkeit literarischer
Abhängigkeit von älteren Traditionen doch stärker rechnen.
Manche Probleme auch in anderen Büchern könnten wohl von
dort her ihre Lösung finden. Jedenfalls kann man schwerlich nur
mit der einen Lösung rechnen, wie M. es tut.

So bleibt aufs Ganze gesehen doch die Frage, ob M. seine
These als wahrscheinlich erwiesen hat. Das hebt nicht auf, daß
seine Arbeit zu neuer Besinnung anregt und dazu guten Stoff
zusammengetragen hat.

Greifswaid Alf red J e p s e n

G u t b r o d, Karl: Das Buch vom Reich. Das zweite Buch Samuel übers,
u. ausgelegt. Stuttgart: Calwer Verlag [1958]. 290 S. 8° = Die Botschaft
des Alten Testaments. Erläuterungen alttestamentlicher Schriften
Bd. 11,2. Lw. DM 12.80.

In der Calwer Sammlung „Die Botschaft des AT" ist der
Erklärung des 1. Samuelbuches nunmehr die des zweiten gefolgt,
dem „Buch vom König" das „Buch vom Reich", beides recht geschickte
und sachlich begründete Überschriften. Es ist der gleiche
Verfasser, dem die Erklärung von Josua, Richter und 1. Sam. verdankt
wird. Die Arbeitsweise ist die gleiche, die den bisherigen
Kommentaren eigen war: hier Wird mit sauberer Genauigkeit,
also verläßlich, gearbeitet im Anschluß an neuere Fragestellungen,
gelegentlich unter Abwehr eigenmächtiger Standpunkte. Weiter
zurück als zu Greßmann und Caspari greift die Auseinandersetzung
nicht, auch bei der neueren Literatur wird auf die Berücksichtigung
einzelner Aufsätze etwa aus Zeitschriften verzichtet;