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Ausgabe:

1959 Nr. 12

Spalte:

901-903

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stählin, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Symbolon 1959

Rezensent:

Echternach, Helmut

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 12

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Stähl in, Wilhelm: Symbolon. Vom gleichnishaften Denken. Zum
75. Geburtstag im Auftrag der Evangelischen Michaclsbruderschaft
mit einem Geleitwort hrsg. v. A. K ö b e r 1 e. Stuttgart: Evangelisches
Verlagswerk |l958j. 515 S. 8°. Lw. DM 28.—.

Das Buch enthält insgesamt 33 Vorträge des Oldenburger
Altbischofs, zum 75. Geburtstag herausgegeben von der Michaelsbruderschaft
, deren langjähriger Leiter der Jubilar gewesen ist.
Die meisten entstammen den letzten Jahren, nur 8 reichen in die
Kriegs- und Vorkriegszeit zurück, ein einziger in das Jahr 1926.
Die Fülle der Themen gibt ein anschauliches Bild von der Vielseitigkeit
des Verfassers und ebenso von der Zentrierung seines
Fragens und Denkens um den innersten Raum der Kirche, um
Bibel und Gottesdienst. Es ist unmöglich, alle 3 3 Überschriften hier
anzuführen; nur einige besonders charakteristische seien genannt:

„Mythisches Denken in der Heiligen Schrift." — „Eine griechische
Verbalform und ihre Tragweite." — „Über die Bedeutung
der Partikel tue." — „Die Gestalt des Antichristen und das
Katechon." — „Allein — Recht und Gefahr einer polemischen Foi-
meL" — „Was ist lutherisch?" — „Liturgische Erneuerung als
ökumenische Frage und Aufgabe." — „Das christliche Opfer im
Gottesdienst und Leben." — „Kreis, Pfeil und Bogen als Symboie
der Zeit." — „Die Bedeutung der Trinität für die bildende
Kunst." — „Die politische Bedeutung der Seligpreisungen."

Der Charakter des Buches schließt ein eigentliches Sachreferat
aus. Die Herausgeber haben selbst eine sachgemäße Einteilung
gegeben, indem sie den größten Teil der Aufsätze um die
beiden Problemkreise „Zum Verständnis der Heiligen Schrift"
und „Die Kirche, ihr Gottesdienst und ihr Leben" gruppiert haben
. Vieles, was Stählin hier gesagt hat, ist inzwischen mehr
oder weniger theologisches Gemeingut geworden. So etwa der
Gedanke der kultischen Repräsentation: daß in ihr die Heilstaten
und die Zukunft und der himmlische Gottesdienst gegenwärtig
werden, „das jubelnde und zugleich verpflichtende
„Hodie" aller echten Liturgie" (S. 347, ähnlich 48/49). Von da
her wird das Geheimnis des Gottesdienstes sichtbar als Geschehen
von Gott her und zugleich auch Opfer, in dem die Gemeinde
sich Gott darbringt — nicht aus eigener Mächtigkeit, sondern
weil Gott sie einbezieht in sein eigenes Opfer. „Sein Opfer
ist die echte Stellvertretung nicht im exklusiven, sondern im in-
klusiven Sinn" (349). Von hier aus tritt auch der geistliche
Dienst unter Aspekte, die uns leider — in der Praxis wenigstens
— sehr ungewohnt sind (420 ff.). Ebenso wird von hier aus
das Geheimnis der Zeit soweit erkennbar, wie es überhaupt in
den menschlichen Gesichtskreis zu treten vermag: Kreis und Pfeil
als Zeichen der kyklischen und der strömenden Zeit, der Bogen,
der beide „überwölbt und durchkreuzt" (440) als das Zeichen
der Zeit, die sich vom Urbeginn bis zum letzten Ende streckt
und sich im Geheimnis der Gottesliebe erschließt.

Da6 Leben in der Liturgie eröffnet Einblicke, die sich sonst
nicht so leicht enthüllen — in das Wesen des Kosmos, in das
Spiel, in das Geheimnis des Seins und des Denkens. In dem
scharfsinnigen Aufsatz „Das Bild der Natur in der Heiligen
Schrift" wird so der Unterschied des modernen Naturbegriffs von
der Bibel herausgearbeitet: Das Wesen des Kosmos wird nur
erkennbar, wenn man versteht, daß er zum Lobe Gottes aufgerufen
ist (129). Von hier aus kommt auch die wesenhafte
Einbettung des Menschen in die Welt und auch die Zwiespältigkeit
alles Seins in den Blick (132). Unter diesem Gesichtspunkt
weiß Stählin der klassischen Vicr-Elcmente-Lehre überraschende
Perspektiven abzugewinnen; sie erschließen sich nur einer Denkweise
, die das Sein nicht als ein Ansich sieht, sondern es in seiner
Erstreckung auf mich hin erkennt und darum als Transzendenzverweisung
zu verstehen vermag.

Besonders aufschlußreich sind die sprachlichen Analysen;
gerade da, wo der Verfasser alltägliche Wendungen wie „und"
und „wie" durchleuchtet. Hier zeigen sich ganz unvermutete
Einblicke. Der Aufsatz etwa über die griechische Partikel «c
— nur sechs Seiten lang — leuchtet in letzte Hintergründe des
biblischen Denkens hinein. Ähnliches gilt von den Aufsätzen
„Eine griechische Vcrbalform [sc. der Imperativ Passivi] und
ihre Tragweite" und „Über einige biblische Wortfamilien". Der
Hinweis, daß es nicht meditare, sondern meditari heißt, reißt das
Problem des Denkens in weitem Umfang auf. Ebenso der Hinweis
in dem Aufsatz „Allein", daß die Kopula „und" nicht nur
additiven Sinn hat, sondern auch implikativ gemeint sei, eine
organische Gliederung, eine lebendige Bewegung und Vermittlung
bezeichnen kann (193); unter diesem Gesichtspunkt sucht
Verfasser den Sinn des reformatorischen „Solus" neu zu durchdenken
.

Das dritte Problemgebiet ist das von Sein und Denken. Die
Orientierung am Kultus nötigt, das Problem des Mythos und
der Bildhaftigkeit zu durchdenken, denn der christliche Kultus
berührt sich ja irgendwie mit dem der mythischen Religionen
und weiß sich doch von ihnen weltenweit geschieden. Es ist
dankenswert, daß der Verfasser dieses mehr als aktuelle Problem
in solcher Breite und Tiefe anfaßt. Zunächst werden die
Wahrheitsmomente des mythischen Denkens eingehend sichtbar
gemacht: Es ist ganzheitliches Denken, „Ausdruck der Begegnung
des ganzen Menschen mit der ganzen Welt" (43). Es hat „eine
Tiefendimension, wie sie das „exakte" (und notwendig abstrahierende
) Denken niemals erreichen kann" (45). Es sieht „den
Menschen völlig eingebettet in ,überindividuelle' Zusammenhänge
, von denen er ständig betroffen ist; es glaubt nicht an
den Menschen als eine in sich geschlossene Einheit, sondern sieht
ihn als Einbruchstelle und Kampffeld von Mächten, die von außen,
von ,oben' oder von ,unten' her in den Raum 6cines Lebens einbrechen
" (a. a. O.). „Die Grenze zwischen „Ich" und „Welt"
ist im mythischen Denken aufgehoben, weil der Mensch von der
ihn umfassenden tragenden und bedrohenden Wirklichkeit in
einer ganz anderen Weise in seiner Wesenstiefe berührt ist, als
es im Rahmen de6 abstrahierenden wissenschaftlichen Denkens
möglich oder auch nur erwünscht ist" (44). Dieser Satz trifft
haargenau den Sachverhalt. Aber reißt er nicht zugleich die
Problematik des mythischen Denkens viel schärfer auf, als Verfasser
meint? Spricht er hier nicht etwas aus, wozu das biblischchristliche
Denken ein klares Nein sagen muß? Für die Bibel
ist der Mensch Gottes Ebenbild und damit das Gegenüber zur
Welt; gerade damit unterscheidet sie 6ich von den Mythen wie
v°n den naturwissenschaftlichen Weltbildern der Neuzeit. Ist
von hier aus nicht das mythische Denken mit einem viel schärferen
Fragezeichen zu bezeichnen?

Hier ist wohl der Punkt, an dem das Gespräch der lutherischen
Theologie mit dem Verfasser einsetzen müßte. W. Stählin
sieht das mythische Denken an sich 6achrichtig von dem
Gegensatz zum rationalen her: Das antimythische Ressentiment
jeder rein-rationalen Denkweise macht kultunfähig und da-
mit realitätsblind für den „Raum des mythischen Denkens"
(49) — wobei schwer zu entscheiden wäre, was Ursache, was
Wirkung ist. Für diese Sicht gebührt dem Verfasser einhelliger
Dank. Ebenso für den weiteren Hinweis, daß die unechten Mythen
am Mangel eines ernsthaften Kultus unschwer zu erkennen
sind. Aber hier würde man die Meinung des Verfassers gern
etwas deutlicher erkennen: ist mit dem „Raum des mythischen
Denkens" der Raum der mythisdien Denkprozesse oder der von
ihnen gemeinten transzendenten oder transzendentalen Seinsgehalte
gemeint? Im zweiten Fall ist der Satz unbedingt richtig:
Das mythische Denken weist hin auf Seinsdimensionen, die der
rationalen Erkenntnis nicht zugänglich sind. Im ersteren Fall
stellt sich die Frage, ob und wieweit das rationale Denken gegenüber
dem mythischen ein Anliegen zu vertreten hat; wie weit
sein Widerspruch gegen das mythische sachlich begründet ist.
Mir scheint, daß dies relative Recht des rationalen Denkens bei
der kritischen Frage nach dem Wahrheitsgehalt der mythischen
Erkenntnis liegt. Ich meine das nicht in dem Sinn, daß sich die
Ergebnisse des mythischen Denkens der Nachprüfung vor einem
allgemeingültigen Begriff von Sein und Wissen und damit den
Kriterien einer allgemeinzugänglichen Methodik zu stellen hätten
; wohl aber so, daß die Fratrc nach der Realität und dem objektiven
Sein der mythisdien Gehalte nicht eingeklammert werden
dürfte. Das rationale Denken fragt nach dem objektiven
Sein, das mythische versteht diese Frage nicht. Mir scheint die
Zweideutigkeit des zitierten Satzes symptomatisdi für den Ausfall
des Realitätsproblems. Hier liegt die Frage, die die lutherische
Theologie zu stellen hat. Gewiß ist es richtig, zu sagen
,,Alle6 Reden von den Geheimnissen Gottes und von dem Werk