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Ausgabe:

1959 Nr. 11

Spalte:

839-840

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weber, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus 1959

Rezensent:

Haussherr, Hans

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Seite 1

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839

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

840

gleich ein eindrückliches Bekenntnis zu Luthers Sache. Wir sind
froh, es bekommen zu haben, und können nur wünschen, daß es
weithin verbreitet werde und wirke.

Erlangen Paul A11 h a u s

Weber, Wilhelm: Wirtschaftsethik am Vorabend des Liberalismus.

Höhepunkt und Abschluß der scholastisdien Wirtschaftsbetrachtung
durch Ludwig Molina S. J. (1535—1600). Münster/Westf.: Aschen-
dorff [1959]. 218 S. gr. 8° = Schriften des Instituts f. christl. Sozial-
wiss. der westfälis hen Wilhelms-Universität Münster, hrsg. v. J. Höff-
ner. Bd. 7. DM 14.80; Lw. DM 16.80.

Die Bedeutung der spanischen Spätscholastik im sechzehnten
Jahrhundert ist uns besonders aus völkerrechtlichen Forschungen
wohlbekannt. Vieles von dem, was früher als die Leistung des
Hugo Grotius galt, ist 6chon bei Franz de Vitoria (f 1546) und
bei Ludwig Molina nachgewiesen worden; insbesondere ist ihnen
die Idee einer alle Völker umfassenden Rechtsgemeinschaft zuzuschreiben
. Daher nehmen wir ein Buch über die Wirtschaftsethik
derselben Gelehrten, dargestellt an Ludwig Molina, mit
hohen Erwartungen in die Hand; denn an einer zulänglichen Darstellung
hat es bisher gefehlt, nur einige Andeutungen in allgemeineren
Werken haben uns neugierig gemacht. Dem Buch von
Weber darf jedenfalls nachgerühmt werden, daß es die in der
Ethik enthaltene Wirtschaftslehre des bedeutenden Scholastikers
erstmalig genau untersucht.

Da6 erste Drittel der Schrift ist den philosophischen und theologischen
Grundlagen gewidmet, die weniger an Ludwig Molina
als an dem etwas jüngeren Zeit- und Ordensgenossen Franz Suarez
(1548—1617) dargestellt werden. Er hat in seinen Disputationes
Metaphysicae von 1597 die Metaphysik ausgearbeitet, auf der
Molinas Ethik beruht. Es kam dem Verf. nicht darauf an, die Ansichten
der spanischen Spätscholastiker in allen Erscheinungen
und Einzelheiten auszubreiten, dazu sind die Gelehrten zu verschieden
. Vielmehr will er die besondere Eigenart jesuitischen
Denkens in dieser Epoche verständlich machen. Dabei zeigt sich,
wie weit sich Molina und Suarez von dem Realismus des Thomas
von Aquino entfernen und sich mit ihrer Vorliebe für die Ergebnisse
der Sachwissenschaften einem Nominalismus nähern, der
meist Molinismus genannt wird. Die Ethik, auch die der Wirtschaft
, erhält ihr Gepräge von der Beichtpraxis. Von der Überzeugung
ausgehend, daß der menschlichen Freiheit mehr Raum
gebühre, als Thomas ihr zubilligen wollte, hat sich die jesuitische
Kasuistik bemüht, der Lebenswirklichkeit gerecht zu werden und
in ihren Werken gerade das Einzelne und Konkrete liebevoll
analysiert. Auf diese Weise seien die Philosophen und Theologen
der spanischen Spätscholastik die Lehrer des neuzeitlichen Europa
geworden (S. 35).

Wenn Molina das Privateigenrum auf das jus gentium
gründet, also auf menschliche, auch abänderungsfähige Satzung.
60 sucht W. nachzuweisen, daß er damit den Boden der traditionellen
naturrechtlichen Begründung nicht verläßt. Das überzeugt
nicht unbedingt; aber da diese Jesuiten niemals ernstlich an die
Aufhebung des Privateigentums gedacht haben, bleibt die Differenz
ohne praktische Tragweite. Während Thomas den Handel
und Handelsgewinn im besten Falle für erlaubt hält, werden die
Kaufleute von den Spätscholastikern sittlich gerechtfertigt, soweit
ihr Gewinnstreben guten Zwecken gilt. In der Wertlchre
gründet Molina den gerechten Preis auf den durch Angebot und
Nadifrage bestimmten Tauschwert und betrachtet daher den
Marktpreis im allgemeinen als den gerechten Preis. Auch den
Arbeitslohn sieht er als einen Preis an, der im wesentlichen durch
die Gewohnheit bestimmt werden müsse, und zwar als Leistungslohn
ohne Rücksicht auf den Familienstand. An dem Grundsatz
des Zinsverbots für Darlehen hält auch Molina fest, aber er bemüht
sich, die Lehre von den zusätzlichen Möglichkeiten, Zinsen
zu nehmen (z.B. damnum emergens und lucrum cessans) soweit
auszudehnen, daß praktisch kein Darlehen ohne Verzinsung
zu bleiben braucht. Daß er den Rentenkauf mit den meisten Scholastikern
als andersartiges Rechtsgeschäft voll anerkennt, versteht
sich dann von selbst. Die Kapitalrente scheint er sorgfältig
vom Unternehmerprofit unterschieden zu haben. Das Prinzip von
Angebot und Nachfrage als Grundlage der Preisbildung und

Preisregulierung hat Molina auch auf das Geld ausgedehnt, das
er als eine Ware unter anderen ansah. Damit wäre er seiner Zeit
weit vorangeschritten. Er konnte auch die Tätigkeit des Bankiers
als Dienstleistung für andere positiv bewerten und Diskontgeschäfte
genau beschreiben und rechtfertigen. In der Steuerlehre
hatte er die vier Steuergrundsätze von Adam Smith vorweggenommen
. Im Einzelnen räumt er die Möglichkeit ein, als ungerecht
betrachtete Steuern zu hinterziehen, ohne das Gewissen
zu belasten.

Gemessen an der älteren Scholastik zeichnet sich die jüngere
durch den Willen aus, den Wirklichkeiten des wirtschaftlichen
Lebens soweit entgegenzukommen, wie es das theologische Gewissen
zuläßt. Die Proben, die uns W. gibt, zeigen, daß Molina
allerdings tief in die Wirtschaftspraxis seiner Zeit eingedrungen
ist, vielleicht noch tiefer, als es in den moraltheologischen Zusammenhängen
des Verfassers erkennbar wird. Das Buch stellt
Molina in den Rahmen dieser Wissenschaft, der zeitgenössischen
wie der modernen; doch behält man beim Lesen das Gefühl, daß
man noch mehr und noch Charakteristischeres erfahren könnte,
wenn der Verfasser seine Fragestellung weitergezogen hätte. Obwohl
sein Thema es nahelegt, hat sich W. viel zu wenig mit der
uns weitgehend bekannten Wirtschaftsgeschichte dieser Epoche
auseinandergesetzt. Hinweise und Zitate aus Sombart und Bechtel
sind höchstens eine Abschlagszahlung auf das Erforderliche. Der
Verfasser deutet kaum an, daß die Epoche Molinas mit der
Vermehrung der Edelmetallbeständc Jahrzehnte hindurch Preiserhöhungen
auf der ganzen Linie erlebte, wie sie bis dahin unerhört
waren. Was unter solchen Voraussetzungen die Gründung
des Preises auf Angebot und Nachfrage und die des Lohnes auf
die Gewohnheit bedeutete, läßt der Verfasser uncrörtert; die
Frage nach der gesellschaftlichen Wirkung dieser Wirtschaftsethik
hat er nicht einmal gestellt. Gerade das Bankgeschäft des sechzehnten
Jahrhunderts kennen wir recht gut und haben es wirklich
nicht nötig, aus Molina zu erfahren, daß „der für den Handel so
wichtige Bankkredit damals schon Anwendung fand" (S. 186).

Der Titel des Buches stellt die Spätscholastik als den Vorabend
des Liberalismus hin, ohne daß der Inhalt dies rechtfertigte
. Die häufigen und berechtigten Hinweise, wieviel menschliches
Entgegenkommen sie bewiesen habe, genügen dafür nicht;
und verborgene Fäden, die von der Spätscholastik zum Liberalismus
führten, werden nicht aufgewiesen. Wenn überhaupt von
Vorabend gesprochen werden soll, so 6teht das sechzehnte Jahrhundert
an dem des reifen Merkantilismus. Der wird aber gaf
nicht erwähnt, und daher wird auch nicht der geringste Versuch
gemacht, Molina mit den frühen Merkantilisten zu konfrontieren-

So bleibt der Gesamteindruck des Buches zwiespältig. Man
hält dem Verfasser gern die apologetische Tendenz zugute und
freut 6ich, endlich einmal Genaueres über bestimmte Seiten der
Wirtschaftsethik Molinas und der übrigen spanischen Scholastiker
zu erfahren. Aber wer die Wirtschaftsethik tiefer aus der Wirtschaftswirklichkeit
des sechzehnten Jahrhunderts erklärt zu sehen
hoffte, wird enttäuscht.

Köln Hans Haussherr

A 11 h a u s, Paul: Das Wort Gottes und der Glaube bei Martin Luther-
Una Sancta 14, 1959 S. 142-155.

KIRCHEN GESCHICHTE: NEUZEI T

H a n u s, Franciscus: Die Preußische Varikangcsandtsdiaft 1747-19
München: Pohl & Co. [1954]. XV, 448 S. mit Taf. gr. 8°. L*'

DM 28.-1.

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ßen aus einem rein evangelischen ein konfessionell gcmiscn
Staat geworden. Dadurch wurde eine offizielle Verbindung d
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*) Dieses Buch ist dem Rezensenten erst Juni 1959 zugegangen.