Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 11

Spalte:

836-837

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Das Sakramentar von Monza 1959

Rezensent:

Hennig, John

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

835

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

836

Wer die Werke dieser allgemein anerkannten Forscher kennt,
kann nur mit Verwunderung feststellen, daß Rahner sie völlig
ignoriert. Sein Denken erweist ßich damit als ein dogmatisches,
was auch in seiner negativen Stellungnahme zu den ernsten und
sachlich bedeutsamen Arbeiten katholischer Denker, die in
Philosophie und Theologie neue Wege zu gehen versuchen, offenbar
wird. (Ich denke dabei vor allem an die Kritik, die er seinerzeit
an dem Werk von G. Koepgen „Die Gnosis des Christentums
" sowie an dem von G. Mensching herausgegebenen, von
katholischen Theologen und Laien verfaßten Werk „Der Katholizismus
. Sein Stirb und Werde" geübt hat und die nichts anderes
als eine wissenschaftliche Vorbereitung bzw. Rechtfertigung
der Indizierung der beiden Bücher war.)

Rahners Werk dient der Erneuerung des Thomismus. Gegen
sie müssen ernste Bedenken geltend gemacht werden. In meinem
oben bereits genannten Thomas-Buch habe ich 6ie ausführlich
dargelegt. Ich beschränke mich hier auf zwei. Einmal hat die
Philosophie des Aquinaten keinen wissenschaftlichen Charakter,
weil sie keine selbständige, autonome Philosophie ist. Sie ist auf
die Theologie fundiert, ja auf ein bestimmtes dogmatisches System
abgestimmt. Sie dient theologischen Zwecken, nämlich der
wissenschaftlichen Fundierung des übernatürlichen Glaubens. Sie
ist wirklich ancilla theologiae. Gegen solche Verquickung wehrt
sich unser gerade in diesem Punkt sehr empfindliches wissenschaftliches
Gewissen. Es wehrt 6ich — und damit deute ich das
zweite Bedenken an — nicht minder gegen die Verquickung von
Aristotelismus und Christentum, wie Thomas sie vollzogen hat.
In dem erwähnten Buch bemerke ich dazu: Thomas konnte eine
solche Verschmelzung nur vornehmen, „weil ihm beide Geisteswelten
nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt vor Augen standen
und weil er dank dem mangelnden historischen Sinn des Mittelalters
keinen Blick für geistige Strukturen hatte. Damit ist aber
gesagt, daß die vom ,Fürsten der Scholastik' versuchte Synthese
uns heute nicht mehr genügen kann. Bei aller Hochachtung vor
seiner denkerischen Leistung können wir in 6einem System
keinen vollgültigen und erst recht keinen endgültigen Ausdruck
der christlichen Ideenwelt erblicken" (S. 131). Auch die eindringlichen
Empfehlungen des Aquinaten durch die letzten Päpste
können den katholischen Forscher nicht von der Pflicht entbinden
, die thomistische Doktrin einer streng kritischen Prüfung
zu unterziehen, einer Prüfung, die unter dem Leitwort stehen
sollte: Amicus mihi Thomas, sed magis amica veritas!

5. G. Giannini, der sich mit meinem Thomas-Buch auseinandersetzt
, macht von der üblichen Methode der Verketzerung
des Gegners keinen Gebrauch. Er hat das Werk gründlich
studiert und setzt sich in wissenschaftlicher Weise mit ihm
auseinander. Was freilich den Inhalt seiner Metakritik betrifft,
so gewinnt man den Eindruck, daß hier die „Thomisierung"
(sit venia verbo!) des Denkens so weit fortgeschritten ist, daß
6ie nicht einmal eine korrekte Wiedergabe der gegnerischen Anschauungen
aufkommen läßt. Meine Kritik an den Axiomen:
Omne ens est verum, und Omne ens est bonum, bedeutet für
G. eine „völlige Trennung" von Denk- und SeinsoTdnung 6owie
von Seins- und Wertordnung. Dabei betone ich in meinem dreibändigen
„Lehrbuch der Philosophie" mehr als einmal, daß die
Verschiedenheit jener Ordnungen keine Geschieden-
n e i t besagt. Meine Kritik an der Theorie des Aquinaten über
das religiöse Erkennen, das wesentlich in einem Kausalschluß von
der Welt auf einen Weltgrund, der dann ohne weiteres mit dem
Gott der christlichen Religion gleichgesetzt wird, bestehen soll,
ist in den Augen meines Kritikers ein Bekenntnis zum religiösen
„Irrationalismus". Hätte er einen Blick in den zweiten Band
meiner „Religionsphilosophie" geworfen, so hätte er nicht zu
einem solchen Urteil kommen können.

Nachdem ich meinem Kritiker eingangs Lob gespendet habe,
darf ich zum Schluß auch wohl zum Ausdruck bringen, daß mich
seine Abhandlung zuletzt doch 6ehr traurig gestimmt hat. Wer
wie Rez. seit Jahrzehnten in der Una-Sancta-Bewegung steht,
kann nur von tiefer Trauer erfüllt werden, wenn er sieht, wie
man außer der theologischen auch noch eine philosophische
Orthodoxie statuiert. Denn damit richtet man eine Scheidewand
zwischen den christlichen Kirchen auf, die 60 unabtragbar erscheint,

daß man versucht ist, seinen Gesinnungsgenossen und Mitkämpfern
für die Una Sancta daö Dantesche „Lasciate ogni spe-
ranza" zuzurufen.

K°'n Johannes Hessen

D o 1 d, Alban, O. S. B., und Klaus Ganber: Das Sakramentar von
Monza (im Cod. F l/ioi der dortigen Kapitelsbibliothek), ein aus
Einzel-Libelli redigiertes Jahresmeßbuch. Mit Anhang: Ein Schcycrer
Sakramentar-Fragment im Monza-Typ. Bcuron/Hohenzoll: Beuroner
Kunstverlag 1957. X, 18, i49' s., 2 Taf. (Schrift- und Initialenproben).
4° = Texte und Arbeiten der Erzabtei Beuren I.Abt., Beiheft 3.
DM 21.-.

Mein an dieser Stelle (1958, 855-857) ausgesprochener
Wunsch nach einer Bestandsaufnahme und Sigelliste der Sakramentare
ist durch Gambers „Sakramentartypen" (Beuron 1958),
worüber ich in „Scriptorium" und in „Irish Ecclesiastical Record"
berichten werde, in unerwarteter Weise erfüllt worden. In enger
Zusammenarbeit mit D.Dr. Dold, dem Altmeister der Palimpsest-
forschung, hat P. Gamber in mehreren Arbeiten ebenso überraschende
wie überzeugende Feststellungen über die oberitalienischen
Sakramentare vorgelegt, besonders hinsichtlich der Wichtigkeit
von Ravenna und Aquileja, letzteres von weiterer Bedeutung
auch für Bayern. Die Ausgabe des Sakramentars von Monza und
des damit eng zusammenhängenden Fragments eines Lektionssakramentars
aus Scheyern (München Gm 29164 Kasten I/la
nr. 27) gehört zu den wichtigsten dieser Arbeiten.

Dieses Sakramentar, in der nunmehr auf Mitte bis Ende des
9. Jahrhunderts datierten, ursprünglich für Bergamo bestimmten
Hs zwischen einem Antiphonar und einem Lektionar eingebettet,
ist der einzige vollständige Vertreter des Junggelasianums in
Italien und beweist, neben fünf Fragmenten, daß dies in Oberitalien
entstand, als dort im 8. Jahrhundert einige Formeln, meist
die Kollekten, der gelasianischen Formulare durch gregorianisdic
ersetzt wurden. Obgleich verhältnismäßig jung, repräsentiert
dieses Sakramentar einen viel älteren Zustand. Es wird gezeigt,
daß ein kurzes Sanctorale nicht immer, wie bisher oft angenommen
wurde, das Ergebnis einer späteren Reduktion (z.B. für Reisezwecke
) war, sondern oft ursprünglich und besonders altertümlich
. Ferner läßt 6ich hier die Entstehung des Jahressakramentars
aus der Zusammenstellung verschiedener (im vorliegenden Falle
sieben) Einzellibelli für die verschiedenen liturgischen Zeiten
nachweisen, wie bereits hinsichtlich des sog. Leonianums
durch Stuiber geschehen. Weiter sind fünf Rituallibclli angefügt.

Daß das Sakramentar von Monza dem von Gellone hinsichtlich
des Formelbestandes nahe steht, war schon von de Puniet in
seiner Ausgabe des letzteren (1934—38) nachgewiesen worden.
Auf Grund ihrer überragenden Kenntnis vermögen die Herausgeber
den Platz dieses Sakramentars eingehend zu bestimmen.
Es zeigt sich, daß es der Anlage nach noch altgelasianisch ist, i*
noch deutlicher als der Vaticanus (Reg. lat. 316) den Hervorgang
aus den libelli bezeugt. Den Formeln nach ist es größtenteils
junggelasianisch, jedoch mit viel älterem Formelgut. Dem durch
das Sakramentar von Monza hauptsächlich repräsentierten „ältc-
ren" Junggelasianum steht das „jüngere", vor allem durch
St. Gallen Cod. 348 repräsentierte gegenüber, bei dem die Hei'
ligenmessen aus einem bisher selbständigen libellus in die Reihe
der Sonntagsmessen mit ihren ursprünglich wenigen größeren
Heiligenfesten eingefügt wurden. Durch die Prolcgomena und
die Erläuterungen der Herausgeber ist einer der eingehendsten
Beiträge zu unserer Kennnis des Wesens der „Redaktion" v°"
Sakramentarien überhaupt geleistet worden. Über der nahezu vcl"
wirrenden Fülle von Einzelheiten sollte nicht vergessen wel~C£
daß wir e6 hier mit einer einzigartigen Form literarischen Sc"a
fens und zugleich mit einer Westeuropa im frühen Mittelalter
entscheidend zusammenfassenden Literaturgattung zu tun haben-

Da das St. Galler Sakramentar in der Ausgabe von K. Mob>
berg allgemein zugänglich ist, wurden hier von Formeln, die B
dort finden, nur die Anfangsworte wiedergegeben, außer bei de
Präfationen, wo Monza die ursprünglichere Fassung hat, m «»
vielfach gallikanischer Einfluß nachweisbar ist. Dagegen ist aa
äußerst genaue Verzeichnis der Anfänge der Orationen und Ym
fationen speziell auf die Eigentümlichkeiten von Monza abge