Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 11

Spalte:

833-836

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Schütz, Ludwig

Titel/Untertitel:

Thomas-Lexikon 1959

Rezensent:

Hessen, Johannes

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

833

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

834

Schütz, Ludwig, Prof. Dr.: Thomas-Lexikon. Sammlung, Übersetzung
und Erklärung der in sämtlichen Werken des hl. Thomas von
Aquin vorkommenden Kunstausdrücke und wissenschaftlichen Aussprüche
. Faksimile-Neudruck d. 2., sehr vergrößerten Aufl. v. 1895.
Stuttgart: Frommanns Verlag 1958. X, 889 S. 8°. Hpgt. DM 62.—

Christmann, Heinrich Maria: Thomas von Aquin als Theologe der
Liebe. Heidelberg: Kerle 11958]. 55 S. 8° = Thomas im Gespräch L

Pieper, Josef: Hinführung zu Thomas von Aquin. Zwölf Vorlesungen
. München: Kösel [1958]. 246 S. 8°. Lw. DM 12.-.

Rahncr, Karl: Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis
bei Thomas von Aquin. 2. Aufl. im Auftr. d. Verfs. Überarb.
u. ergänzt v. Joh. Baptist Metz. München: Kösel [1957]. 414 S. gr. 8°.

Giannini Msg., Giorgio: A proposito dcl „Thomas von Aquin und
wir" di J. Hessen. Estratto da „Aquinas", Anno I, Nr. 1, p. 40-74,
Roma 1958.

1. Das Wörterbuch, dessen Neudruck den Text der zweiten
Auflage unverändert wiedergibt, ist so angelegt, daß zuerst die
in den Werken des Aquinaten vorkommenden termini technici
für 6idi, sodann ihre Verbindungen mit anderen Kunstausdrücken
und endlich die wichtigsten Sentenzen, in denen sie enthalten
sind, alphabetisch zusammengestellt, sinngemäß übersetzt und.
wo es nötig schien, auch erklärt sind. So ist dieses Lexikon ein
unentbehrliches Hilfsmittel für jeden, der über Thomas wissenschaftlich
arbeitet. Und jeder, der es benutzt hat, wird seinem
Verfasser Dank wissen für die unendlich mühevolle Arbeit, die
er im Interesse der wissenschaftlichen Forschung auf sich genommen
hat.

2. Wer von Nygrens großartigem Werk „Eros und Agape"
herkommt oder sich den Inhalt der kleinen, aber höchst wertvollen
Schrift von Scholz „Eros und Caritas" angeeignet hat,
wird bei der Lektüre der vorliegenden Schrift das Gefühl haben,
einer ihm zutiefst fremden Welt gegenüberzustehen. In ihr
dominiert nämlich nicht, wie man es bei einem christlichen Theologen
und Kirchenlehrer erwarten sollte, die neutestamentliche
Agape, sondern der in Griechenland beheimatete Eros, jene
Liebe, von der Dante singt, daß sie „die Sonne bewegt und die
übrigen Sterne". Das Fundament dieser von Thomas entwickelten
Theologie der Liebe sind metaphysische Spekulationen über
Gottes Wesen, insbesondere seine Dreipersönlichkeit, Spekulationen
, bei denen der im Neuen Testament lebende Christ und
Theologe ständig versucht ist zu fragen: Was hat das alles mit
der „Frohbotschaft" Jesu zu tun; wo finden sich im Neuen Testament
die fundamenta in re für diese den Geist der griechischen
Philosophie atmenden Spekulationen? (Daß hier die innerste
Problematik des thomistischen Systems liegt, habe ich in einem
eigenen Kapitel meines Buches „Piatonismus und Prophetismus",
2. Auflage München 1955, S. 158—178 zu zeigen versucht.)

Mit diesen Feststellungen soll gegen die vorliegende Schrift
als solche nichts gesagt sein. Ihr Verfasser lebt als Dominikaner
ganz in der geistigen Welt seines großen Ordenstheologen und
konnte 60 ein ebenso sachkundiges wie ansprechendes Bild von
dessen Theologie der Liebe zeichnen. Daß er es nicht nur mit
dem Verstände, sondern auch mit dem Herzen getan hat, offenbart
vor allem der Schluß seiner Schrift, in dem er Thomas zu
den Menschen zählt, die „ihre Seele zum Tempel Gottes ausweiten
, zu einer neuen Schöpfung, in der Natur und Gnade,
menschliches Wort und göttliches Wort, Menschengeist und
Gottesgeist sich begegnen, um eine ewige Hochzeit zu feiern"
(S. 50). Aber gerade diese ausgezeichnete Darstellung eines
Kernstücks der thomistischen Theologie beweist von neuem, wie
fragwürdig die vom Aquinaten unternommene „Aristotelisierung
der Frohbotschaft" im Grunde ist.

3. Piepers „Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten" wollen
ni<ht sowohl in die Doktrin des „Fürsten der Scholastik" als
Vlchnchr in sein Leben, seine Persönlichkeit und seine Stellung
m «er Zeit einführen. Wie die übrigen, 60 zeigt auch diese Schrift
,'cp"s «her Thomas eine apologetische Tendenz. Pieper 6ucht
,cn p^'naten als den Doctor communis, den allgemeinen Lehrer
■l*f ^""stenheit zu erweisen. Seine Lehre hat in allen wesent-
dß" TUi"kten für ihn normative Geltung. Sie beruht darauf,
«W m Thomas' Werk „das Ganze der Wahrheit auf eine einzig-

r >gc, Paradigmatische Weise zur Aussage gelangt" ist (S. 36).

Der Doctor communis i6t nach Pieper „weder Platoniker noch
Aristoteliker" (S. 39). Ausdrücklich wendet er sich gegen die
von den besten Kennern der Scholastik eingeführte Kennzeichnung
seiner Philosophie als „christlicher Aristotelismus" (S. 65).
In ihm hat vielmehr „die Essenz des christlichen Abendlandes"
ihre philosophisch-theologische Ausprägung gefunden (S. 184).
Das ist deshalb der Fall, weil er es allein verstanden hat, die
beiden auseinanderstrebenden Geisteswelten: Bibel und Aristoteles
zusammenzudenken und zu verknüpfen (S. 165 ff.).

Diese ganze Konzeption ist nur möglich, weil Verf. sich bei
seiner Untersuchung von ausgesprochenen Thomisten führen
läßt. (Es sind das vor allem der französische Dominikaner Chenu,
der Laienphilosoph Gilson und der frühere Münchener Theologe
Grabmann.) Dabei verschließt er geradezu die Augen vor den
kritischen Forschungen über Thomas, wie sie gerade von katholischen
Forschern in den letzten Jahrzehnten vorgelegt worden
s'nd. An erster Stelle ist hier zu nennen der Wiener Theologieprofessor
Mitterer mit seinen bedeutsamen Arbeiten über den
..Wandel des Weltbildes von Thomas auf heute" sowie der
Würzburger Philosoph H. Meyer, dessen großes Werk „Thomas
von Aquin" von Pieper nur einmal angeführt wird, und zwar in
ablehnendem Sinne; ferner Santeler S. }., Wittmann und Winter.
(Über Inhalt und Bedeutung dieser Arbeiten findet man Näheres
in meinem Buch „Thomas von Aquin und wir", München 1955,
das von Pieper ebenfalls ignoriert wird, obwohl seine erste Fassung
schon 1926 vorlag.) Wer die Forschungen anderer unbeachtet
läßt, läuft Gefahr, hinter ihnen zurückzubleiben bzw. Thesen
aufzustellen, die schon widerlegt waren, bevor sie aufgestellt
wurden. Pieper rühmt an Thomas seine innere Aufgeschlossenheit
für die Gedanken anderer Forscher. Schade, daß er ihm darin
nicht nachgefolgt ist. Im übrigen bin ich der Meinung, daß nur
der ein Recht hat, sich zu Thomas zu bekennen, der es macht,
wie Thomas es gemacht hat, der eben nicht ein viele Jahrhunderte
zurückliegendes Sy6tem erneuert, sondern aus der Problemlage
der Zeit heraus eine neuartige Synthese von Glauben und Wissen,
Religion und Philosophie versucht hat.

4. Den Titel seines mit viel Geist und Scharfsinn geschriebenen
Werkes „Geist in Welt" erläutert Verf.: „Geist ist geroeint
als Titel eines Vermögens, das über die Welt hinausgreifend
das Metaphysische erkennt. Welt ist der Name der
Wirklichkeit, die der unmittelbaren Erfahrung des Menschen zugänglich
ist. Wie das menschliche Erkennen nach Thomas Geist
'n Welt sein könne, das ist die Frage, um die es in dieser Arbeit
geht. Der Satz, daß das menschliche Erkennen zunächst einmal in
der Welt der Erfahrung sei und alles Mcta-physische nur in und
an der Welt erkannt werde, ist bei Thomas ausgesprochen in
seiner Lehre von der Hinwendung und der dauernden Hingewandtheit
des Intellekts an die Erscheinung, von der ,conver-
sio intellectus ad phantasma'. Darum hätte die Arbeit auch überschrieben
werden können: ,Conversio ad Phantasma'" (S. 14 f.).
Sinngemäß beginnt das Werk mit einer eingehenden Interpretation
der Quaestio der Summa theologica, in der von der con-
versio intellectus ad phantasmata gehandelt wird. Der Hauptteil
des Werkes erörtert drei Themen: Sinnlichkeit, Abstractio und
Conversio ad phantasmata. Am eingehendsten wird das dritte
Thema behandelt. Hier verbreitet sich Verf. mit größter Ausführlichkeit
über den intellectus possibilis und die species intelli-
gibili«. Der Schlußteil handelt von der „Möglichkeit der Metaphysik
auf dem Boden der imaginatio".

Rahner versichert in der Einleitung, er wolle nicht bloß erzählen
, was Thomas gesagt habe, sondern das philosophische Geschehen
bei ihm selbst nachvollziehen (S. 13). Das tut er in der
Tat. Damit ist aber auch gesagt, daß 6ich sein Denken ganz in
den Bahnen des thomistischen Systems bewegt. Besonders deutlich
wird das in der Darstellung der Lehre des Aquinaten vom intellectus
possibilis und der species intelligibilis. Diese Lehre beruht
auf einer Anwendung der beiden fundamentalen Begriffspaare
Potenz und Akt, Materie und Form auf das Erkenntnisphänomen.
An diesen Grundbegriffen der thomistischen Metaphysik ist aber
gerade von katholischer Seite eine einschneidende Kritik geübt
worden. Von den älteren Kritikern sind hier zu nennen Baeumker
und von Hertling, von den jüngeren H. Meyer und Mitterer.