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Ausgabe:

1959 Nr. 11

Spalte:

820-822

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Richter, Heinz

Titel/Untertitel:

Studien zu Hiob 1959

Rezensent:

Fohrer, Georg

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

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jedoch eine Vielfalt und Vielschichtigkeit im religiösen Leben des alten
Iran nachgewiesen.

Wie Griechentum und Persertum schematisiert und typologisiert J.
nun auch die Gnosis selbst, um sie dann als völlig andersartig ihnen
gegenüberstellen zu können. In dem für diese Frage zentralen zweiten
Kapitel seines Buches entwickelt er die allgemeine Weltanschauung der
Gnosis 60 prinzipiell und faßt ihren Dualismus so überspitzt, daß kein
konkretes Sy6tem dem mehr entspricht. D. h. eine gnostische Weltanschauung
von solcher gedanklichen Schärfe und Radikalität hat es nie
gegeben. Ganz deutlich wird das, wenn J. in diesem Kapitel konkrete
Systeme als Belege heranzieht, z. B. das des Marcion17 oder die Emanationslehren18
besonders die Emanationslehre der Valentinianer19, wobei
immer nur jeweils ein Moment paßt und alles übrige dem von J. vorher
Ausgeführten widerstreitet. In gewissem Sinne muß man hier J. eben
das vorwerfen, was er seinen Vorgängern zum Vorwurf machte: auch er
selbst treibt Chemie der Weltanschauungen; seine Vorgänger trieben
diemische Synthese, er 6elbst chemische Analyse, er 6tellt die gnostisdie
Weltanschauung chemisch rein in der Retorte dar. Dabei haben wir
gegen das Verfahren an sich gar nicht einmal etwas einzuwenden. Natürlich
darf man ein Geistesprodukt radikaler verstehen, als es sein Autor
gemeint hat. Es ist aber u. E. nicht zulässig, daraus ohne weiteres historische
Schlüsse zu ziehen.

Über J. hinaus führt weiterhin eine Erkenntnis, die er selbst andeutet
, aber nicht auswertet, daß die Daseinshaltung nämlich gar nichts
Starres ist, sondern etwas, das sich zu entwickeln und zu verändern vermag
, wie sich auch ihre Objektivationen als Folge davon entwickeln
und verändern. Konkret versteht J. den hellenistischen Fatalismus als
eine Vorstufe der gnostischen Erlösungsidee (S. 224—226). Das Christentum
entspringt einer derjenigen der Gnosis verwandten Daseinshaltung

(S. 80—82).

Aus alledem ergibt sich für uns im Unterschied zu J., daß
die verschiedenen möglichen und verwirklichten Daseinshaltungen
nicht sprunghaft-epochenweise auftreten, daß wir vielmehr
eine kontinuierliche Skala von Daseinshaltungen anzusetzen
haben, deren einzelne Möglichkeiten je nach den Umständen
an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten
unabhängig von einander realisiert werden können. So liegt u. E.
der Orphik, dem Piatonismus und der indischen Mystik die
gleiche oder eine ähnliche Daseinshaltung wie der Gnosis zugrunde
. Auf den von J. verwendeten weiten Begriff der Gnosi?
und seinen Grund bezogen heißt das: es besteht kein Anlaß, von
der gewöhnlichen Auffassung dieses Begriffes abzugehen. Mit
demselben Recht wie „gnostisch" könnte man die Spekulationen
eines Origenes und Plotin auch ,,orphisch" oder „indischmystisch
" nennen.

Nun ist für J. die sachliche Zusammengehörigkeit von
mythologischer und philosophischer Gnosis auch in bestimmten
formalen Ähnlichkeiten der Systeme begründet, vor allem in der
Ähnlichkeit des valentinianischen Systems mit dem des Plotin
(S. 375). Diese Ähnlichkeit, deren Nachweis J. allerdings noch
nicht* erbracht hat, wäre von einigem Belang nur dann, wenn das
valentinianische System als vollkommenste Ausprägung der
Emanationssysteme tatsächlich den gnostischsten Charakter aufwiese
, wie J. behauptet (S. 362 f.). Wie J. zu dieser Behauptung
kommt, ist uns jedoch unerfindlich. Die Emanationssystemc sind
doch nicht weniger von vorgegebenem mythischen Material abhängig
als der Manichäismus (vgl. S. 329 f.). Wenn also wesentliche
Ähnlichkeiten zwischen Valentin und Plotin wirklich bestehen
, dann können wir dafür mit Baur nur den beiden gemeinsamen
griechischen Einfluß verantwortlich machen (S. 375).

Noch ein Wort sei zu dem kollektivistischen Zug der
Theorie von J. über die Entstehung der Gnosis gesagt. J. legt
allerdings kein allzu großes Gewicht darauf. Wie die Parallele
mit dem Christentum zeigt20, muß es sich u. E. bei der Geburt
der gnostischen Weltanschauung wie bei der Geburt jeder religiösen
Bewegung um eine Wechselwirkung von Individuum und
Kollektiv gehandelt haben.

An einem Punkte hat J. — wie wir erfahren — seine Meinung
mehrmals geändert. 1954 vertritt er im Vorwort zur zweiten
Auflage des ersten Teiles seines Jugendwerkes die Meinung,
daß man den positiven Anteil des Judentums an der Entstehung

") S. 173—175. 230 f.

1R) S. 186—190.

18) S. 189.

20) Vgl. S. 80-82.

der Gnosis in Zukunft nicht mehr übergehen dürfe, wie dies in
seinen Ausführungen noch geschehen sei (S. X). In seinem neusten
Buche über die Gnosis21 erwähnt er indessen beiläufig, ihn
habe noch nichts von alledem, was bisher dafür ins Feld geführt
worden sei, von dem jüdischen Ursprung der Gnosis überzeugen
können22.

Berlin Hans-Martin Schenke

21) Hans Jonas: Gnostic Religion, the message of the alien God
and the beginnings of Christianity, Boston/New York 1958; 302 S.

") Nach einer brieflichen Mitteilung von Wilson (St. Andrews).
Ich selber habe das Buch leider noch nicht in die Hände bekommen
können.

Ja mies on, Graham: Communicating and Relating in Religion.

Theology Today 16, 1959 S. 30—39.
R e i s n e r, Erwin: Gott oder das Tier.

Evangelische Theologie 19, 1959 S. 399—410.

ALTES TESTAMENT

Richter, Heinz: Studien zu Hiob. Der Aufbau des Hiobbuchcs, dar-
gest. an d. Gattungen d. Rechtslcbens. Berlin: Evang. Verlagsanst.
[1959]. 147 S. 8° = Theol. Arbeiten. Unt. Mitarb. v. W. Elliger u.a
hrsg. v. H. Urner. Bd. XL Hlw. DM 8.50.

Nachdem die formgeschichtliche Untersuchung des Buches
Hiob — verhältnismäßig spät — in Gang gekommen ist, erfolgt
sie fast gleichzeitig von verschiedenen Gesichtspunkten aus. Zu
den Arbeiten von C. Westermann (Der Aufbau des Buches Hiob,
1956: dramatisierte Klage) und H. Gese (Lehre und Wirklichkeit
in der alten Weisheit, 1958: Auseinandersetzung mit dem Klage-
erhörungsparadigma) ist die vorliegende Dissertation von
H. Richter getreten, die bereit» 1954 vorgelegt, aber erst jetzt
gedruckt wurde (ohne nachträgliche Verarbeitung der seither erschienenen
Literatur). Sie sucht die Frage, die das Buch Hiob
stellt, von den Gattungen des Rechtslebens aus zu lösen. Denn
diese Gattungen überwiegen nach der Beurteilung des Verfassers,
der zu ihnen 444 Verse rechnet, bei weitem gegenüber denjenigen
der Weisheit in 346 Versen und allen übrigen Gattungen,
die stark zurücktreten; im Gegensatz zu anderen Auffassungen
gehört der Hiobdichter „zu demselben kultusfeindlichen Kreis,
zu dem eine Anzahl von Propheten gehört hat" (S. 120). Vor
allem ergibt sich in inhaltlicher Hinsicht, „daß alles, was für den
Gang der Handlung entscheidende Bedeutung hat, innerhalb
der Gattungen ausgesagt wird, die zum Rechtsleben gehören"
(S. 16).

Die Untersuchung beginnt mit „Vorbemerkungen zum Problem
der Auslegung des Hiobbuches" (S. 11—30), die nicht nur
den Stand der Forschung und die Absichten des Verfs. umreißen,
sondern auch je einen Überblick über das babylonische und das
ägyptische Rechtslcben enthalten, obwohl dies sachgemäßer zum
folgenden ersten Teil gezogen worden wäre. Dieser erste Teil
stellt „Das israelitische Rechtsleben" mit seinen verschiedenen
Verfahrensmöglichkeiten dar (S. 31—58). Die private Beilegung
eines Streits wird als das „außergerichtliche Schlichtungsverfahren
" bezeichnet und davon etwas gekünstelt das crgebniS'
lose Bemühen um Einigung zwischen den Streitenden als das
„vorgerichtliche Schlichtungsverfahren" unterschieden. Innerhalb
des dann einsetzenden weltlichen Prozeßverfahrens werden drei
Phasen erkannt: das Schlichtungsverfahren, nach dessen Erfolg'
losigkeit das gerichtliche Urteil oder der Streitbcendigungs-
vorschlag und schließlich die Unterwerfungserklärung der M
troffenen Partei. Daneben steht gleichberechtigt das Gottesurteil'
verfahren, das ebenfalls drei Phasen aufweist: die Anrufung des
Gottesgerichts durch ein Gebet, das Gottesurteil und die Unterwerfungserklärung
unter es oder das Dankgebet nach der Ge-
rechtsprechung. Auf dieser Grundlage sucht der Verf. im zweite"
Teil der Untersuchung das Buch Hiob zu analysieren (S. 59—132)-
Zunächst findet, nachdem es zum Fall Hiob gekommen isf
(Kap. 1-3), das vorgerichtlichc Schlichtungsverfahren zwischen
Hiob und seinen Freunden statt (Kap. 4-14). Da die Freund«-
die Schuld für das Versagen dieser Bemühungen nicht bei Gott-
sondern bei Hiob suchen, treten sie als Kläger und Richter >"