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Ausgabe:

1959

Spalte:

60-61

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Erbacher, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Innere Mission in Baden 1959

Rezensent:

Frick, Robert

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biet der Lehre die Übereinstimmung zwischen den Kirchen etwa
85 % des gesamten dogmatischen Bestandes ausmacht" (S. 48).
Als die handgreiflichsten Differenzpunkte haben sich erwiesen die
Fragen um das Amt, die Sakramente, die Lehre von der Gnade
und das Wesen der Kirche, bei deren Diskussion sich die im ganzen
Buch oft betonten nicht-theologischen Faktoren leider als
sehr wirkungsvoll erwiesen haben. Ein wichtiges Ergebnis alles
Redens und Schreibens durch viele Jahre hindurch ist zweifellos
auch die Feststellung, „daß Gegensätze der theol. Überzeugungen
heute sich nicht im mindesten sauber mit den denominationellen
Spaltungen decken . . . daß bei keiner bedeutenderen theologischen
Frage die Trennungslinien sich genau mit denen der Zugehörigkeit
zu den Denominationen decken" (S. 51).

In Kapitel X geht Stephen Neill den Vereinigungs- und
Wiedervereinigungsplänen zwischen 1910 und 1948 nach. In dieser
Zeit „ist zur Überwindung der Differenzen zwischen Christen
und zur Wiedervereinigung der verlorenen Einheit des Leibes
Christi mehr erreicht worden als je in einem gleich langen Abschnitt
der bisherigen Kirchengeschichte" (S. 52). Dazu haben
Edinburgh 1910, das allmähliche Auf-den-Plan-treten der jüngeren
Kirchen und die anregende Tätigkeit des Internationalen
Missionsrates mehr beigetragen als man zu wissen pflegt. Mehr
noch als in anderen Partien des Buches tritt hier die Bedeutung
der „bischöflichen Ordination" hervor und man sieht, wie hart
die Anglikaner diese als unabdinglich betonen und durchzusetzen
wissen, was manchen Zusammenschluß verzögert und erschwert.
Als überkonfessionelle Gemeinschaft nennt Neill auch die EKiD.
Er tut das mit überraschender Sachkunde, wobei auch (notwendig)
gefragt wird: „Was muß dann unter Bund verstanden werden?
Bedeutet das Wort Union, Föderation, Konföderation oder Gemeinschaft
? Genau an dießem Punkte gehen die Meinungen in
der Kirche selbst auseinander" (S. 82). Das lange Kapitel von
69 Seiten kommt zu der Feststellung, daß es erstaunlich sei, daß
trotz vieler Fehlschläge und Enttäuschungen „überhaupt jemals
vereinigte Kirchen ins Leben getreten sind" (S. Iii)- Es bleibt
das quälendste Problem, ob und unter welchen Umständen
die Einheit auch um den Preis neuer Spaltungen zu erkaufen ist
(S. 119). Ein Anhang (S. 121-132) enthält eine Tabelle von
Unions- und Reunionsplänen 1910-1957, die alle Erdteile umfassen
(Interkonfessionelle und überkonfessionelle Unionen, Herstellung
voller und beschränkter Abendmahlsgemeinschaft, föderative
Vereinigungen ohne volle organische Union, 1957 noch im
Gange befindliche Verhandlungen, Gespräche zwischen Küchenvertretern
mit dem Ziel eines besseren Einvernehmens oder gegenseitiger
Anerkennung, einstweilen oder ganz aufgegebene
Verhandlungen). Die Bewegungen für Internationale Freundschaftsarbeit
und Praktisches Christentum werden in zwei Kapiteln
auf 124 Seiten umfassend abgehandelt, wobei notwendig
eine Fülle von Namen und Ereignissen erwähnt und den kirchlichen
Bemühungen um internationale Versöhnung und um den
Frieden viel Raum gewährt wird.

Was Ruth Rouse im Kap. XIII über „Andere Seiten der
ökum. Bewegung, 1910—1948" auf S. 257—316 schrieb, das erweist
sich als ein ganzes Mosaik von Bemühungen: CVJM,
CVWM, Christi. Studentenbund (denen als Laienbewegungen eine
besondere Bedeutung zukommt!); die Weltbünde der Konfessionen
und ihre charakteristischen Haltungen, die Nationalräte der
verschiedenen Länder, ökumenischer Journalismus u. a. Das Verhältnis
der Ostkirchen zu der ökumenischen Bewegung im 20.
Jahrhundert und das der römisch-katholischen Kirche zwischen
1910-1948 wird auf 52 Seiten sachkundig dargelegt. Kapitel XVI
(S. 385—423) mag vielen Lesern als das wichtigste des 2. Bandes
erscheinen: W. A. Visser't Hooft entwickelt hier das Werden
des Ökumenischen Rates der Kirchen (der Name World Council
of Churches wurde von dem Amerikaner Dr. Cavert vorgeschlagen
, S. 393). Das Aktuelle dieses Kapitels liegt auf der Hand.
In dem durch einen Druckfehler als Kapitel XVI bezeichnetet! Abschnitt
(S. 424) schreibt Stephen Neill einen abschließenden Epilog
, in dem er eine Analyse der wirkenden Kräfte, deT Hemmnisse
und Auswirkungen der Bewegung vornimmt. „Wenn wir
unseren Standort im Jahre 1900 nehmen und nach vorn blicken,
so muß das, was in diesen 50 Jahren geschehen ist, erstaunlich
erscheinen" (S. 432). Mit Recht wird noch einmal Edinburgh 1910

als die erste große Bekundung des eintretenden Wandels bezeichnet
, es wird der bemerkenswerte Anteil der missionarischen Arbeit
der Kirche am ökumenischen Geschehen-aufgewiesen, und es
wird klargestellt, daß die Einung kein Selbstzweck ist. Das Ziel
war und bleibt „daß die Welt glaube". Und die Welt ist nicht
nur das Terrain enthusiastischer Ökumeniker, sondern „die Welt
umfaßt die nichtchristliche Welt ebenso wie die Christenheit"
(S. 431), wobei die nichtchristliche Welt ja die größere ist und
täglich an Umfang zunimmt.

Im Anhang I geht der Generalsekretär des Ökumenischen
Rates der Geschichte und den sieben Verwendungen des Wortes
„ökumenisch" nach. Man möchte wünschen, daß diese Darlegung
zusammen mit dessen Schrift „The Meaning of Ecumenical"
(London 1953; Deutsch: Der Sinn des Wortes „Ökumenisch",
Stuttgart 1954) die nötige Beachtung fände und daß es unter uns
zu einem sinnvolleren Gebrauch der allzu leicht überstrapazierten
Vokabel käme.

Der von Stephen Neill gelieferte Anhang II wird große Beachtung
finden, handelt er doch über die Frage der Interkommu-
nion und berührt er doch damit den heikelsten Punkt der ganzen
Bewegung, als der er 6ich in langen Jahren erwiesen hat. Die einzelnen
Arten der theologischen und kirchlichen Stellungnahmen
werden registriert.

Man muß das ganze Buch lesen, wenn man die theologischen
und praktischen Fragen der ökumenischen Bewegung sehen und
verstehen, und wenn man die hinderlichen und die fördernden
Faktoren in den Blick und Griff bekommen will. Das erreichte
hohe Maß von Tatsachenmitteilung und Objektivität gestattet
die Aussage, daß der Theologie und der Kirche ein Buch vorgelegt
ist, da6 mit Vertrauen gelesen werden kann und das um
seines vielseitigen und bezugreichen Inhaltes willen, der Theologie
und Kirche gleichermaßen angeht und sie beide fordert,
gelesen werden sollte.

Hallo/S. Arno Lehmann

E tb a c h e r.JHermann: Die Innere Mission in Baden. Ein Beitrag zur
/Geschichte des 19. u. 20. Jahrhunderts der Evang. Landeskirche in
Baden. Karlsruhe: Verlag Evang. Presseverband 1957. XVI, 157 S.
gr. 8° — Veröff. des Vereins f. Kirchengeschichte in der evang. Landeskirche
Badens XVIII. -(>ta bS &4, tf" AI y^o(

Die Geschichte der Inneren Mission in Baden von 1845 bis
zur Gegenwart wird von E. auf Grund eingehenden Quellenstudiums
dargestellt. Den Anfang macht der auch von Wichern
sehr positiv gewertete „Aufruf an die Gemeinde" von Pfarrer
E. F. Fink 1845 zur Gründung eine6 „Evangelischen Vereins", der
Kirche und Staat in den Aufgaben der Erziehung und Fürsorge,
der Armen- und Krankenpflege, der Gefangenenfürsorge, Bibelverbreitung
, Diasporaarbeit, Auswandereibetreuung und Äußeren
Mission unterstützen sollte (Abschnitt I). Ein historischer Rückblick
(Abschnitt II) zeigt die Bemühungen des „christlichen Staats"
im 18. Jahrhundert auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge
(„Fürstliches Waisen-, Siechen-, Toll- und Zuchthaus" (sie) in
Pforzheim 1716 soll die Aufgaben einer Hüte- und Bewahranstalt
mit denen einer „Fabrik für allerlei dienliche Manufakturen"
verbinden — ähnlich das Zucht-, Irren- und Waisenhaus in Mannheim
17301), die Anregungen aus der Welt des Idealismus (Pestalozzi
- Fröbel), vor allem die Anstöße, die vom Pietismus und der
Erweckungsbewegung ausgehen, und die der eigentliche „Mutterboden
der Inneren Mission" sind (Zeller in Beuggen — die Hahn-
schen Brüder — die Herrnhuter Brüdergemeine in Königsfeld —
der Kreis um Henhöfer). Der entscheidende Anstoß kommt dann
auch für Baden von Wicherns Rede auf dem Wittenberger Kirchentag
1848. Die kirchlichen und theologischen Spannungen der Zeit
wirken sich dahin aus, daß zwei Vereine 1849 entstehen: „Der
Ev. Verein für I. M. Augsburgischen Bekenntnisses" und der
„Landesverein für I. M. in Baden", der erste vor allem der Evangelisation
und Gemeinschaftspflege gewidmet, der andere den
diakoni6ch-caritativcn Aufgaben. Nur mit des zweiten Geschichte
beschäftigt sidi die Schrift von Erbacher ausführlicher (Abschnitt
III). Nach hoffnungsvollen Anfängen gerät infolge der
Spannungen zwischen Positiven und Liberalen in der Kirche der