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Ausgabe:

1959 Nr. 1

Spalte:

813-820

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jonas, Hans

Titel/Untertitel:

Gnosis und spätantiker Geist ; 1.Die mythologische Gnosis 1959

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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813 Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 11

Mythologie" wird (I 62,13 und 65,6-15; vgl. 176, 11—19.';
Historiker sind sowieso „Geschichtsdenker und Geschichtsschmel-
zer", V 382, 28). Man mag diese Einleitung noch so sehr für eine
„philosophisch-geschichtliche Gesamtinterpretation" Ha's mit
ontologischen Ansätzen beschlagnahmen (Gr); was Ha selbst
will, ist eindeutig; was ihn später und bis zuletzt quälen wird,
was er aber dann aufgibt, ist das Verhältnis von Geschichte und
Zeit. Was er hier versucht, ist ein neuer S o k r a t e s -
Mythus (ausgezeichnet Acc Teil III), seinem Zeitalter, das So-
krates so sehr verehrte, kraß entgegen, und von weiten Folgen
in den Zeiten nach ihm.

Daneben aber lebt um Ha ein viel größerer anderer Mythus
bis heute. Vergeblich zwar versuchte er öfter den eines „Predigers
in der Wüste". Aber zugetragen wurde ihm der des neuen
„M agus in Norde n". Er war nicht gemacht, nur unwissend
veranlaßt. Anlaß war sein Zeitungsaufsatz „Die Magi aus Morgen-

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lande, zu Bethlehem" von Ende 1760. Der Sinn (Moralität) ihrer
Reise, als einer symbolischen Handlung höherer Ordnung war
.,Ihn sehen, wie Er ist" (Absatz 4. 5. 9. 11). Der sehr eindrucksvolle
und 6ehr moderne Artikel brachte Ha durch v. Moser die
Anrede als „Magus in Norden oder doch in Europa". Ha nahm
diesen Namen als einen „ungeheuren Einfall" demütig an und

! auf. Er setzte ihn noch nach Jahren auf den Titel einer Schrift
(HI 35). Sein endgültiger Lebenssinn lag offen: er war Poet, Prophet
und Weissager Gottes um Christi willen. Auf dieses Zeugnis
zielte zuletzt jeder Buchstabe. Ha gehört mit diesem ihm zu-

j geflogenen Magusmythus primär in die Geschichte des Kerygmas.
Versteckt und eindeutig wird hinfort dies Kerygma überall in
«einen Schriften gegen deren Ende oder auf allen Seiten bis zu
».Golgatha und Scheblimini", dem „Fliegenden Brief" und dem
..Letzten Blatt" in höherer Wahrheit in die Welt strahlen (vgl.
ThLZ 1959, Sp. 198; 1957, Sp. 781 etc.).

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Jonas, Hans: Gnosis und spätantiker Geist. L: Die mythologische
Gnosis. Mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der
Forschung. 2., durchges. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1954. XVI, 375 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion u. Literatur des
Alten und Neuen Testaments, hrsg. v. R. Bultmann, N. F. H. 33.
DM 28.-; geb. DM 31.—.

Habent sua fata libelli! An diese alte Weisheit fühlen wir
uns erinnert, wenn uns die Geschicke des Werkes von Hans Jonas
„Gnosis und spätantiker Geist" enthüllt werden, wie es in den
Vorworten zur zweiten Auflage des ersten Teiles und zur ersten
Auflage des zweiten Teiles (erste Hälfte) geschieht. Das Werk,
von dem die erste Auflage des ersten Teiles im Jahre 1934 bei
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erschienen war, wurde
bald darauf mitsamt seinem Autor in den Strudel der Ereignisse
hincingerissen, die damals über Deutschland hereinbrachen und
das geistige und leibliche Leben des Verfassers wie aller seiner
jüdischen Blutsverwandten in Mitteleuropa bedrohten. In seinem
bereits veröffentlichten Teile, vor allem aber in dessen geplanter
Fortführung, geriet das Werk zwischen die Mühlsteine der Geschichte
. Schon 193 3 hatte J. Deutschland verlassen und war nach
London in die Emigration gegangen. Im Jahre 1935 siedelte er
nach Palästina über, wo er seinen neuen Wohnsitz in Jerusalem
nahm. Nach dem zweiten Weltkriege wechselte er nochmals Land,
Erdteil, Sprache und begab sich nach Ottawa in Kanada. Die
räumliche Entfernung vom Wirkungsbereich seiner Jugend und
deren Hintergründe bewirkten, daß J. sich auch von dem Arbeitsthema
seiner Jugend abwandte und sein Interesse auf ganz andere
Problemkrcise richtete.

Der erste Teil des Werkes über die Gnosis war inzwischen vergriffen
. Und als nach dem Kriege die Frage einer Neuauflage akut wurde,
war es aus den genannten persönlichen Gründen dem Verfasser nicht
möglich, das Buch auf den neusten Stand der Wissenschaft, die in der
Erforschung der Gnosis seit dem Jahre 1934 natürlich weiter fortgeschritten
war, zu bringen, d. h. die seit diesem Zeitpunkt erschienene
Literatur organisdi einzuarbeiten und die seinem Werk widerfahrene
Kritik auszuwerten. Hinzu kam ein sachlicher Grund, der eine solche Bemühung
wenig ratsam erscheinen ließ Um die lahre 1945/46 war bei
Nag-Hamadiin Oberägypten der in den letzten Nummern dieser Zeit-
sdirirt mehrfach zur Sprache gekommene sensationelle Fund einer ganzen
gnostischen Bibliothek gemacht worden1, der der Auffindung manidiä-
ischer Originalschriften in Chinesisdi-Turkestan um die Jahrhundertwende
und der Entdeckung der koptischen Manichaica von Medinet
Mahdi in den dreißiger Jahren nicht nur an die Seite trat, sondern sie
W Bedeutung bei weitem überbot und eine ganz neue Epoche in der Erhebung
der Gnosis einleitete. Verfasser und Verlag kamen dementsprechend
übercin, einen photomechanischen Nachdruck des Werkes
von ]V ner;luszl,bringen. Wie es sich bei der angewandten Technik
unbed Verstc'lt' wurdc der Text der ersten Auflage dabei nur ganz
vcrzcj^,tencl Reändert; im wesentlichen erhielt allein das Inhalts-
des Le Cinc aDgewandcltc, erweiterte Gestalt, die die Orientierung
zweite Ai fl"d ^ Nadischlagen erleichtern soll. Gekoppelt wurde diese
---"nage des ersten Teiles mit der erstmaligen Veröffentlichung

IN y , .

läge hrs/v W £5* Hcnneckc: Neutestamentl. Apokryphen, 3. Auf-
■ w- Sdincemcldier, S. 1 58—271.

der ersten Hälfte des zweiten Teiles des Gesamtwerkes, die auch ihrerseits
, ohne Änderungen, so gedruckt wurde, wie sie bereits in den
areißiger Jahren konzipiert worden war. Die noch ausstehende zweite
Hälfte des zweiten Teiles, deren Ausarbeitung der Verfasser überhaupt
n°di nidit in Angriff genommen hat und mit deren Drucklegung daher
vorerst kaum zu rechnen sein dürfte, soll am Schluß der eigentlichen
Darstellung Nachträge mit der Aufarbeitung der seither erschienenen
Literatur und die Register bringen.

Wir hab en es hier nur mit dem ersten Teil des Gesamtwerkes
, der den Untertitel „die mythologische Gnosis" trägt, zu
tun. Dieser Band hat allen Widrigkeiten zum Trotz seinen Weg
— Wenigstens bei den Theologen und Religionshistorikern — bereits
gemacht, was ja schon darin zum Ausdruck kommt, daß infolge
der großen Nachfrage eine zweite Auflage dem Verlag als
lohnend erschien. Einen großen Anteil an dem Erfolg des Buches
hat Rudolf Bultmann, der von Anfang an dem Werke, das einer
Geisteshaltung, wie Bultmann selber sie vertritt, entspringt, besonderes
Interesse entgegenbrachte, ihm mancherlei Förderung
angedeihen ließ und mit seiner ganzen Autorität dafür eintrat.
So ist das Buch für einen ganzen Flügel der neutestamentlichen
Wissenschaft zum Standardwerk über die Gnosis geworden. Doch
auch über diesen Kreis von Forschern hinaus hat es sich Geltung
verschafft. Heute gehört es mit Recht für jeden, der sich über die
Gnosis äußert, geradezu zum guten Ton, sich auf J. zu beziehen.
Der bei alledem nicht zu leugnende Abstand des Werke6 von den
gegenwärtig brennenden Fragen der Gnosisforschung zusammen
mit der allgemeinen Geltung, die es sich in der Fachwelt erobert
bat, berechtigen uns, von einer klassischen Darstellung über die
Gnosis zu reden. Es tritt damit den Arbeiten so bedeutender
Gnosisforscher wie Anz, Bousset, Reitzenstein, Schaeder an die
Seite. Und doch ist es hinsichtlich der Zielsetzung und der Methode
von den Arbeiten der genannten Gelehrten ganz verschieden
. Werke wie das von J. sind typische Erscheinungen am Ende
einer Forschungsperiode. Und wir, die wir im Anfang einer neuen
Epoche der Erforschung der Gnosis stehen, wo eigentlich alles
wieder in Fluß geraten ist, wo all die alten Probleme auf eine
erneute Prüfung warten und neue Probleme in Fülle sichtbar
werden, tun gut daran, den Inhalt und die Ideen des Buches von
J noch einmal vor unserem geistigen Auge vorüberziehen zu
lassen und in Verbindung damit die Frage zu stellen, welche von
seinen Gedanken wir als unaufgebbar mit in den neuen Forschungsabschnitt
hinübernehmen müssen und in welchen wir dem
Verfasser nicht zu folgen vermögen.

J. fühlt sich der Gruppe von Forschern verbunden und zugehörig
, die die Gnosis als ganzes zu durchdringen und zu begreifen
suchten2, den Forschern, die die Gnosis als einheitliche
Größe und als eine Ganzheit im Bereiche des spätantiken Synkretismus
überhaupt erst erkannt hatten. Mit ihnen betrachtet
er die Gnosis'1 als ein vorchristliches Phänomen, das seinerseits
aber auf das Christentum eingewirkt hat (S. 6 f.). Er rechnet sich

*) Das Gegenteil davon ist die Forschungsrichtung, der es im wesentlichen
auf die Erkenntnis der Elemente ankam, d. h. auf das Verständnis
der einzelnen gno6tisdien Systeme und ihrer Entwicklung.

') Den Begriff „Gnosis" definiert er im Abschnitt 5 der Einleitung
auf S. 4 f.