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Ausgabe:

1959 Nr. 10

Spalte:

793-794

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schweitzer, Carl Gunther

Titel/Untertitel:

Von Luther zur modernen Industriewelt 1959

Rezensent:

Hillerdal, Gunnar

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Seite 1

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793

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 10

794

gäbe der Idee und nicht die oberste für den Christen erreichbare
Norm darstellt. Die Artikel sind auch diesmal durch eine sorgsame
Berücksichtigung des evangelischen Standpunktes ausgezeichnet
. Dieser Standpunkt wird referierend neben der ausführlichen
Darlegung heutiger katholischer Lehre vorgetragen, ohne
daß eine besondere Polemik aufgeboten würde. Ich nenne dafür
als Beispiel den Artikel über das „Gewissen" (G. Ermecke;
J. P. Michael).

Offenbar ist mit einem flotten Erscheinen der weiteren
Bände zu rechnen. Auch angesichts dieses dritten Bandes soll un-
erachtet kleiner kritischer Bedenken bezeugt werden, welche
Förderung nahezu jeder Artikel für die Kenntnis der Gegenstände
bedeutet; denn es handelt sich durchweg um Beiträge aus erster
Hand. So darf die Fortsetzung gespannt und mit guten Wünschen
erwartet werden.

Güttingen Wolfgang Tr i 11 h a a s

Schweitzer, Carl Gunther: Von Luther zur modernen Industriewelt
. Eine ethische Untersuchung. Berlin: Luth. Vcrlagshaus 1957.
93 S. 8°. DM 6.80.

Das Anliegen dieser kleinen Schrift kommt in ihrem zweiten
Teil zum Ausdruck. Nach einer „Besinnung auf die Grundlagen
lutherischer Ethik" (S. 7—32) äußert sich der Verf. nämlich
über die „Anwendung der lutherischen Ethik auf die moderne
Industriewelt" (S. 33—91). Dabei geht er von dem Gedanken
aus, daß Luther zu seiner Zeit ein „moderner" Mensch und gläubiger
Realist gewesen sei, der das Evangelium nicht im luftleeren
Raum, sondern mitten in seiner Umgebung und bezogen auf die
tatsächlichen Probleme verkündigt habe (vgl. S. 34). Bei seiner
Gegenwartsanalyse stützt 6ich Schweitzer u. a. auf Hegel, den er
als einen „echten Lutheraner" betrachtet, der schon vor Marx die
Entwicklung und Problematik der kapitalistischen Gesellschaft
verstanden habe. Diese The6e vermag — trotz zahlreicher Hegelzitate
, die allerdings nicht analysiert werden — nicht ganz zu
überzeugen. Auch eine Reihe anderer Thesen muß man wohl mit
einem Fragezeichen versehen. Abschließend erklärt Schweitzer,
daß er versucht habe, „am Beispiel deT Wirtschaft zu zeigen, daß
evangelisch-lutherische Haltung alles andere ist als bequemer
Konservatismus". Damit hat Schweitzer zweifellos recht. Auch
seine eigenen Vorschläge sind nicht ohne weiteres konservativ.
Dem Rezensenten erscheinen 6ie jedoch in vieler Hinsicht eher
reaktionär als radikal zu sein. Einige Beispiele mögen dies verdeutlichen
. Schweitzer ist besorgt über „den Raubbau an Bodenschätzen
einschließlich der Kohle" und über „die Verseuchung
der Meere durch Benzinreste usw., gar nicht zu reden von den
noch völlig ungelösten Rätseln und Gefahren, die mit der Atomenergie
zumal mit Atom- und anderen Bomben zusammenhangen
". Er gelangt schließlich zu der Feststellung: „Heute
zwingen uns die Naturgesetze selbst, daß wir uns wieder von
neuem der Natur, die wir allzulange vergewaltigt haben, anpassen
" (S. 72). Eine solche Anpassung besteht nach Schweitzer
u. a. auch darin, daß die Frau ihre Berufsarbeit aufgibt und in den
Kreis der Familie zurückkehrt. In diesem Zusammenhang heißt
es auch, daß die Frau „ganz anders mit der Natur verbunden ist
als der Mann". Als Argument wird ferner angeführt, daß die
Mehrzahl der Männer ihre Ehefrauen lieber im Haus als draußen
im Erwerbsleben tätig sehen und daß Untersuchungen ergeben
hätten, daß Frauen keine Abneigung gegen monotone Fabrikarbeit
haben, was nach Ansicht des Verfs. so gedeutet werden
muß, daß „das eigentliche Interesse dieser Frauen nicht bei der
Sache ist, vielleicht ihrer Natur entsprechend ear nicht sein kann"
(S. 72 f.).

Wie die referierten Gedankengänge zeigen, kann Schweitzers
5*rift kaum eine „ethische Untersuchung" genannt werden.
et Verf. hat 6ich nur selten die Mühe gemacht, die vorliegenden
akten zu analysieren und dann von klaren evangelischen Prin-
QP'e"i *?.er zu beleuchten. Stattdessen spekuliert er frei nach den
fas^un t2Cn seincr c'8cnen konservativ-reaktionären Auf-

Die vorliegende Schrift ist ein typisches Beispiel dafür, wie
man eine ethische Untersuchung nicht schreiben soll. Hinzu
kommt, daß sie durch ihre merkwürdigen Thesen eher eine Bestätigung
als eine Widerlegung der Behauptung darstellt, daß die
lutherische Ethik unvermögend sei, mit dem Problem der Industrialisierung
fertig zu werden.

Lund/Schweden Gunnar H i 11 e r dal

Bartsch, Hans-Werner: Die neutestamentlichen Aussagen über den
Staat.

Evangelische Theologie 19, 1959 S. 375—390.
D a n t i n e, Wilhelm: Die theologische Situation der „Situation".

Zeitschrift für evangelische Ethik 1959 S. 233—240.
Mathiesen, K. O.: Studiet av arbeiderbevegelsen og kirken.

Norsk Teologisk Tidsskrift 60, 1959 S. 105—118.
R u 1 e r, A.A. van: Die prinzipielle, geistliche Bedeutung der Frage

nach dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1959 S. 220—233.
S c h 1 i n k, Edmund: Das ethische Problem der atomaren Bewaffnung.

Kerygma und Dogma 5, 19 59 S. 200—217.
Schweitzer, Wolfgang: Die menschliche Wirklichkeit in soziologischer
und sozial-ethischer Sicht.

Zeitschrift für evangelische Ethik 1959 S. 193—220.

PRAKTISCHE THEOLOGIE

Wiehern, Johann Hinrich: Sämtliche Werke, hrsg. v. Peter Mein-
■ o 1 d. Bd. IV, Tl. 1: Sdiriften zur Sozialpädagogik (Rauhes Haus
u"d Johannesstift). Berlin: Luth. Verlagshaus 1958. 358 S. gr. 8".
Lw. DM 19.80.

Es war an der Zeit, an eine Neuausgabe der Werke Johann
Hinrich Wicherns heranzugehen, da die vor mehr als 60 Jahren
von Friedrich Mahling und dem Sohne Johann Hinrich Wicherns
vorgelegten „Gesammelten Schriften" seit langem vergriffen
s'nd. Jubiläen wie die Jahrhundertfeier der Inneren Mission 1948
"nd das Jahr seines 150. Geburtstages, das 125-jährige Jubiläum
des Rauhen Hauses und das 100-jährige des Johannesstiftes im
Jahre 195 8 gaben dazu einen äußeren Anlaß.

Der vorliegende 4. Band nimmt ausdrücklich auf den Gedenktag
des Rauhen Hauses und des Johannesstiftes Bezug, da in
'hm das Schrifttum zusammengestellt ist, das sich auf das pädagogische
und soziale Wirken Wicherns im Zusammenhang mit
diesen beiden Häusern bezieht.

Aus diesem Grunde ist der 1. Teil der Sozialpädagogik gewidmet
. Damit ist kein Nebenthema der 60 vielgestaltigen
Tätigkeit Wicherns angeschlagen. Der sozialpädagogische Ursprung
seines Schaffens und Planens ist im Gesamtrahmen seiner
Bedeutung nicht zu unterschätzen.

Das Geleitwort schrieb der so plötzlich verstorbene Landesbischof
D. Volkmar Herntrich am 29. 8. 1958. In ihm wird versucht
, für die Neuherausgabe Wichernscher Schriften eine
innere Begründung zu geben. Es wird daran erinnert, daß
Wiehern selbst von „der Stunde" gesprochen hat, die es jeweils
2u erfassen gelte. Für ihn war innere Mission immer ein Aufbruch,
eine Gehorsamstat, eine Entscheidung im erregenden Heute.
Neben der Improvisation der Liebe würde 6ich bei
Wichern eine Strategie der Barmherzigkeit zeigen. Diese
weltweite geplante Rettungsarbeit begegne uns heute im Zeichen
der ökumenischen Diakoni e. Zum Zweiten sei es
Beraten, bei Wichern nachzufragen, wie eine Generation von
Christen sich verhalte unter dem Einfluß fortschreitender
Säkularisierung; und drittens käme unserer Zeit zu, eine
Begegnung der Christenheit mit dem Staate moderner
Prägung einzuleiten. Das Geleitwort öffnet den Weg zur Schatzkammer
der Gedanken Wicherns, die eine Hilfe für die Lebensbewältigung
des Christen von heute sein können.

Zum Verfahren der Edition äußert sich der Herausgeber
Peter M e i n h o 1 d. Es soll versucht werden, eine einwandfreie
und wissenschaftlich vertretbare Textgestalt zu erreichen. Leider
müssen dazu einige Einschränkungen gemacht werden. Einige der
Arbeiten Wicherns liegen nicht mehr im Original vor und können
nur in der Wiedergabe, die sie in den „Gesammelten Schriften
" gefunden haben, publiziert werden. Die Forschungsarbeiten
des Herausgebers im Archiv hätten trotz der durch den letzten
Krieg und mancher 6chon früher eingetretenen Verluste „eine
Fülle bisher nicht der allgemeinen Auswertung zugänglichen und