Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 10

Spalte:

788-790

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Luck, Ulrich

Titel/Untertitel:

Kerygma und Tradition in der Hermeneutik Adolf Schlatters 1959

Rezensent:

Beintker, Horst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

787

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 10

788

Auch das wird nicht untersucht, inwiefern die drei Schichten, die
B. in Barths Entwicklung unterscheidet, erst dann ein volles Bild
geben würden, wenn man nach dem „Barth vor Barth" fragen
würde. Die beiden Römerbriefkommentare sind nicht die erste
Äußerung Barths. Es gibt einige frühere Arbeiten Barths, die noch
nicht der Theologie der Krisis, der ersten Schicht B.s, angehören,
die aber über ihre eigene Thematik hinaus, ihr eigenes Profil
bereits sprengend, Einschlüsse enthalten, die, schaut man jetzt
auf sie zurück, schon etwas ahnen lassen von einem Ausbruch des
Vulkans. Konnte Barth nicht schon 1912 (in einer Rezension von
Heims Buch „Das Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie
bis zu Schleiermacher" in: Schweizerische Theologische
Zeitschrift S. 265) sagen: „Man verlernt das Wichtigtun mit un-
sern .modernen' Problemen und lernt, sich wieder in Reih und
Glied zu stellen mit unsern theologischen Vätern und Vorvätern.
Das wirkt zuerst deprimierend und dann wahrhaft erlösend"?
War nicht in dem im gleichen Jahr an gleicher Stelle veröffentlichten
Vortrag „Der christliche Glaube und die Geschichte" des
Vierundzwanzigjährigen von 1910 Calvin ein meistzitierter Gewährsmann
für 6eine Deduktionen zum Glaubensproblem, und
protestierte er nicht S. 57 gegen die „unerfreuliche Art, der Propheten
Gräber zu schmücken", wenn er die Übersetzung des calvinischen
res est mere passiva fides durch „Der Glaube ist nichts
anderes als eine empfängliche Hand" bei E. F. Karl Müller als
eine modernisierende Einführung des Instrumentalglaubens, der
Glaubcnswerkerei ablehnte? Rekurrierte er nicht S. 64 darauf,
daß der „rote Faden der wahren evangelischen Theologie" nicht
abgerissen sei, trotzdem die offizielle Dogmatik in die babylonische
Gefangenschaft ging und zur Synagoge wurde mit ihrem
Synergismus und Biblizismus, dem Assensusglauben und ihrer
Verbalinspiration: die Mystiker und Pietisten von Angelus Sile-
sius bis Zinzendorf und unter ihnen Tensteegen bewahrten die
Gleichung fiducia cordis - obedientia Spiritus, Christus außer
uns - Christus in uns, Geschichte — Glauben. Und man lese
jetzt, vielleicht in Erwartung weiterer Aufschlüsse, Zurechtstellungen
und - Erledigungen in KD V, was etwa KD IV, 2,
902 f. über Pietismus und Mystik steht.

B. greift auf diese Einschlüsse in der frühsten Schicht der
Theologie Barths nicht direkt zurück, wohl aber stellt er eine
Skizze her, die bequem und zutreffend, im wesentlichen nach
Aufschlüssen, die Barth selbst ja im Laufe der Jahre an verschiedenen
Stellen gegeben hat, alles darbietet, was man wissen muß
von dem Mann und von den Quellen seiner Theologischen Erziehung
, von der er sich allerdings erst erholen mußte, um imstande
zu sein, den Römerbrief zu schreiben. (Der große Göttinger S. 81
heißt Albrecht Ritschi.)

B. setzt ein mit einem Kapitel über die Theologie der Krisis,
mit dem Römerbrief von 1922; er hebt die theologischen Hauptthemen
heraus: Das ganz andere, Jesus Christus, die Rechtfertigung
und die Auferstehung, die Religion, die Kirche, die Ethik
und die Methodik der Aussagen. Dann erst folgt das Kapitel
über die Genesis des sich so aussprechenden Denkens, seine Vorgeschichte
und Quellen. Damit ist die erste Schicht und ihre biographisch
-geistesgeschichtliche Unterlage beschrieben. Die zweite
Schicht: Die Theologie des Wortes Gottes, die die Zeit von der
Dogmatik im Entwurf bis zum Kirchenkampf umfaßt. Ein
Zwischenkapitel behandelt die Gruppe der dialektischen Theologen
: Gogarten, Brunncr, Bultmann, ihre Einheit, Verschiedenheit
und Trennung, um besonders den Dialog Barth-Brunner
darzustellen. Die dritte Schicht: Die konsequente Christologie,
die immer stärker die Kirchliche Dogmatik durchwirkt und auch
die Äußerungen zur Politik vor und nach dem Kriege bestimmt.
Durch diese Gliederung gelingt es B., die Entwicklung und die
Schriften, die sie dokumentieren, die Veränderungen und Umbrüche
wie die Verklammerung mit der Lebensge6chichte und dem
Zeitgeschehen übersichtlich und eindrücklich zu beschreiben.
Und das macht die Leistung dieses Bandes aus: wir erhalten eine
Geschichte der Theologie Barths, die sich ihre Themen durch
Barth selbst geben läßt. Keine wesentliche Diskussion oder Polemik
„stört" den Fluß der Darstellung, und das Französisch -
ein Labsal, geradezu eine Hilfe, manches an Barth besser zu verstehen
und seine Theologie in Kurzfassung zu repetieren.

Die Darstellung B.s hat ein anderes Ziel und auch einen
anderen Stil als etwa das Werk Balthasars über Barth. Denkt
Balthasar von Anfang an 6tärker prinzipiell, von bestimmten
Voraussetzungen seiner eigenen katholischen Position aus, so
spürt man an B.s Arbeit den Willen, sich und damit anderen
Barth zugänglich zu machen durch ein 6ich anpassendes Übersetzen
Barth'scher Formulierungen und Gedankenreihen in die
Sprache eines Berichterstatters. B. schreibt noch keine vollständige
Geschichte der Theologie Barths. Dazu würde auch zumindest
eine Skizze der Auswirkungen seines theologischen Neubaus
gehören. Und wie steht es im Lichte der Wendung, die heraufzuführen
ihm zugefallen war, mit 60 manchen Ansätzen in der
theologischen Lebensarbeit anderer, die, alles andere als „Barthi-
aner", doch in ihren Themen und deren Ausarbeitung auch die
Tendenz spüren lassen, von dem griechischen Erbe der Theologie
loszukommen, das Kattenbusch in der unbewußten Respektlosigkeit
vor Gott (Die deutsche evangelische Theologie ... 5,
S. 15 3) sah, um einer Theologie zuzustreben, der Gott nicht mehr
Gegenstand, nicht anders „Objekt" ist, als insofern und insoweit
er sich selbst im fleischgewordenen Wort, in seiner Offenbarung
dazu gemacht hat? B. hat sich sein Thema durch Barths Lebenswerk
geben lassen. Er führt es aus, indem er ein Stück redlicher
Theologiegeschichte schreibt. Geschichte schreiben hat immer
ein wenig vom Begräbnis an sich. Es ist gut, daß die beiden folgenden
Bände alle Sorge in dieser Hinsicht gegenstandslos
machen.

Erlangen JanWeerda

L u c k, Ulrich: Kerygma und Tradition in der Hermeneutik Adolf
Schlattcrs. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag [1955]. 138 S.
gr. 8° - Veröffentl. der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes
Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften, H. 45. Kart. DM 9.—■

Die Übergänge zwischen Bibelwissenschaft und Systematik
kommen in der Gestalt Schlatters und bei dem Thema Hermeneutik
im besonderen zum Ausdruck. Wiewohl Luck 6eine Arbeit
als einen Beitrag zum formgeschichtlichen Problem der synoptischen
Evangelien versteht und sie das auch ist, müssen wir die
Erörterung der Auslegungsmethode Schlattcrs, der Hauptbegriffc
Kerygma und Überlieferung (als Verbindung von Verkündigung
und Historie) und da6 Ergebnis als wichtig für die Lehre vom
Wort Gottes, also doch in den Bereich der Systematik hineinnehmen
(weniger Luck 13 f.). Die Bedenken des Verfassers, der
Systematik den Begriff Kerygma anzuvertrauen, dürften sich inzwischen
erledigt haben.

Der Untersuchung der beiden Hauptbegriffc folgt zur Ein'
Ordnung der Lehre Schlatters ein Abriß der Bedeutung von
„Kerygma und Tradition in der bisherigen synoptischen Forschung
" (18—35), in dem auf M. Kählcr, M. Dibelius und Bultmann
eingegangen wird, alsdann: „Kerygma und Tradition bei
Schlatter" (36—132) und schließlich eine Zusammenfassung: „Die
Einheit von Kerygma und Tradition als Tatbestand und die Folgerungen
für die synoptische Forschung" (1 33—1 38).

Luck schließt sich eng an Schlaffer an und versteht seine
Arbeit sowohl als Aufweisung der „inneren Problematik" formgeschichtlicher
Methoden als auch als Beitrag für die Fortführung
der synoptischen Forschung und darüber hinaus der gesamten
Arbeit am NT durch Schlatter selbst. Der Hinweis auf die „ständige
Nähe grundlegender systematisch-theologischer Fragen"-
die „die Tiefe des Problems" aufzeige, das durch Schlatters Zusammenschau
von Kerygma und Überlieferung für die synoptische
Forschung aufgeworfen wird (138), macht schließlich doch
deutlich, wie verwoben Systematik und Bibclwissenschaft miteinander
in einer der Hauptfragen gegenwärtiger Theologie sind
und sein müssen.

Schlatters Hermeneutik ist orientiert am Ganzheitszeugn'5
der Evangelisten und wendet sich gegen die Zerrissenheit der
ntl. Forschung. Die Evangelien sind „unmittelbares, person-
gebundencs Zeugnis" und nicht Konstruktionen, die sich auflösen
lassen, crgrübelt werden usw. Schlatter hat Kählcr richtiger
als Bultmann verstanden, indem er noch grundlegender fragt,
bzw. Luck kleidet Schlatters Anliegen in die Worte: „Lebt de
christliche Glaube vom .biblischen Christus', wie kann dann eine