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Ausgabe:

1959

Spalte:

56-57

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Rigaux, Béda

Titel/Untertitel:

Saint Paul 1959

Rezensent:

Greeven, Heinrich

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Seite 1, Seite 2

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vom Menschensohn nicht genügt, um die Gegenwartsbedeutung
Jesu herauszustellen. — Der Verf. denkt an schriftliche Quellen,
in welchen die Traditionen schon fixiert sein mögen. Auf jeden
Fall aber wurzeln die Themata in judenchristlidi-gnostischen Gemeinden
, aus denen der Evangelist sie aufgenommen und umgestaltet
hat.

Der dritte Teil (S. 177 ff.) untersucht die innere Zusammengehörigkeit
der vier untersuchten Thematraditionen. Die Themen
vom Parakleten und vom Wiederkommenden sind durch die Abschiedsreden
verklammert. Dadurch erweisen sie sich als verwandt
mit den at.liehen und spätjüdischen Abschiedsreden der Väter
und den Abschiedsreden des gnostischen Erlösers, wobei im
4. Evangelium allerdings das Christusereignis als das theologisch
motorische Element sichtbar wird. Als das zentrale Thema hebt
sich aber ohne weiteres die Tradition vom Menschensohn heraus,
die ihrerseits entscheidend durch die Person des Christus geprägt
und dadurch als auf christlichem Boden entstanden vorzustellen
ist, wo sie erst die anderen Themagruppen an sich gezogen hat.
Die um den Menschensohn kreisende Thematradition ist wohl
die wichtigste, aber nicht die einzige innerhalb des Johannesevangeliums
. So weisen die Thematradition vom Logos auf die
spätjüdische Weisheitslehre, die Tradition der „Ich-bin"-Reden
auf gnostischen Hintergrund hin.

Neben der grundsätzlichen Fragestellung ist es eine Fülle
von Einzelheiten, die den Forscher oft wieder nach diesem Buche
greifen lassen wird: Vor allem findet sich ein 20 Seiten umfassendes
Literaturverzeichnis mit außerordentlich vielen, auch ausländischen
Titeln. Ein gewaltiger Apparat von Anmerkungen
setzt sich lebendig mit dieser Literatur auseinander. Hilfreich für
den Leser sind auch die regelmäßigen thesenmäßigen Zusammenfassungen
der einzelnen Abschnitte, sowie verschiedene Tabellen.

Eine fragmentarische Würdigung darf wohl zunächst einmal
feststellen, daß sich die vom Verf. angewendete themengeschichtliche
Methode ein gutes Stück weit bewährt. Sie erlaubt, einige
feste Punkte in der uns so undurchsichtigen vorjohanneischen
Tradition zu fixieren, ohne die notwendige Beweglichkeit aufzugeben
. Gerade die Erkenntnis, daß die jüdischen und gnostischen
Elemente als Stadien eines Ringens um die rechte Verkündigung
zu würdigen sind, ist eine große Hilfe, um über einseitige Thesen
etwa im Sinne Schlatters oder Bultmanns hinauszuführen. Da?
Ergebnis, daß die spätjüdische Schicht tiefer liegt, scheint mir
ebenfalls einleuchtend zu sein, auch wenn Verf. seine Aussagen
eher thetisch und unter eklektischer Verwendung der Resultate
der bisherigen Forschung macht.

Bei näherem Abwägen der Einzelheiten und der Konsequenzen
erheben sich allerdings einige Bedenken, welche weniger den
Verf. belasten als vielmehr mit der ganzen Rätselhaftigkeit des
Johannesevangeliums zusammenhängen. Die Schwierigkeiten erheben
sich nämlich beim Versuch, die einzelnen Schichten innerhalb
der Tradition scharf voneinander abzusetzen, um ihre gegenseitige
Spannung fruchtbar zu machen.

1) Was ist die vorjohanneische Tradition? Wenn der älteste
Wurzelboden der Menschensohntradition durch spätjüdisch-
apokalyptische Elemente und christliches Bekenntnis gebildet ist,
wo ist dann der Unterschied zur vorsynoptischen, aber auch zur
synoptischen Überlieferung zu sehen? Denn dort sind ja die gleichen
Elemente vorhanden! Darf man dann nicht sogar die synoptischen
Evangelien selbst in einem weiteren oder gar näheren
Umkreis des 4. Evangelisten rücken, gerade wenn man daran
denkt, daß er seine Quellen nicht im „quellenmäßigen" Sinne,
sondern als Fundgrube für seine Themata benützt hat? Auf dieses
Verhältnis geht Schulz leider gar nicht ein.

2) Die Entscheidung über Zuweisung gewisser Elemente zu
den einzelnen Schichten hängt mit Vorentscheidungen auch in
historisch-kritischen Fragen zusammen. So nennt Verf. die Gegenwartsbedeutung
des Menschensohnes ein typisch gnostisches
Element (S. 134. 142), ebenso die Katabasis des Menschensohnes
(S. 105). Könnten diese beiden Aussagen aber nicht schon in der
ältesten christlichen Tradition, wenn nicht schon bei Jesus selbst,
ihren echten Ausgangspunkt haben? Das wäre dann der Fall,
wenn, wie die synoptische Darstellung es will, schon Jesus selbst
sich mit dem kommenden Menschensohn identifiziert hat. Ebenso
ist es gewagt, ohne eigene Begründung und unter Umgehung
von at.lichen Stellen wie Jes 42, 1 u. ä. die „.Liebe" des Vaters
zum Sohne als hellenistische Uminterpretierung anzusehen (S. 127).

3) Am schwierigsten ist und bleibt die Frage zu lösen, welcher
Anteil der Neuinterpretation einer vorjohanneischen Schicht
und welcher dem Evangelisten selbst zuzuweisen ist. Gerade in
dieser Frage ist auch Schulz am zaghaftesten vorgestoßen. Er vermag
hier nur andeutungsweise und allgemein Auskunft zu geben
(vgl. S. 97 mit S. 173, Anm. l). Hier wird es nötig sein, in
Anlehnung an die Fragestellung der redaktionsgeschichtlichen
Arbeit nicht nur nach der Tendenz der früheren Schichten, sondern
auch nach Eigenart und Absicht des Evangelisten zu fragen.
Bei dieser Problemstellung wird die johanneische Forschung immer
weniger darum herum kommen, zwischen 6pätjüdischen Elementen
und dem Einflüsse des durch die Christen neu entdeckten
Alten Testament mit seinen direkten Einflüssen zu unterscheiden.
Gerade dann wird z. B. neu zum Tragen kommen, daß entscheidende
Gedankengänge etwa der lyd> ti/ii-Aussagen nicht so sehr
auf die Gnosis, sondern auf die Geisteshaltung eines Deu-
terojesaja zurückzuführen sind. Dadurch wird sich aber die Frage
der Schichtung der verschiedenen Reinterprctationen noch einmal
neu stellen.

Bethel b. Bielefeld Christian Mau r e r

R i Aä n x, B.: Saint Paul. Les ßpitres aux Thessaloniciens. Paris:
G^kalda; Gembloux: Duculot 1956. XXXII, 754 S. gr. 8° — fitudes
yrtHbllflues. T <^-?

Die Collection d'etudes bibliques ist mit R.s Kommentar zu
den Thessalonicherbriefen um einen ansehnlichen Band vermehrt.
Zusammen mit L. M. Dewailly hatte der Autor im Rahmen der
Bibelübersetzung, die von der Ecole Biblique in Jerusalem herausgegeben
wird, bereits 1954 eine Übersetzung der Thessalo-
nicherbriefe mit kurzer Einleitung vorgelegt1. Aber dies kurze,
halb anonyme Präludium konnte nicht ahnen lassen, welche Fülle
in dem nachfolgenden Kommentarwerk vor dem Benutzer ausgebreitet
werden sollte. Dagegen hatte eine frühere Arbeit über
den Antichrist2 den Verf. bereits als kundigen Interpreten wichtiger
Partien des 2. Thess. ausgewiesen. In mancher Hinsicht erinnert
das nun vorliegende Buch an die früheren Auflagen des
„Kritisch-exegetischen Kommentars" (HAW Meyer), vor allem in
dem Bestreben, eine möglichst umfassende Orientierung über die
Diskussion zu bieten. Dabei werden über dem gegenwärtigen die
früheren Jahrhunderte nicht vernachlässigt und vor allem die Väter
fleißig zu Rate gezogen. In der Tat dürfte kaum ein lebender
Autor romanischer, englischer oder deutscher Zunge, der sich zu
irgendeinem Problem der Einleitung oder der Auslegung der
Thessalonicherbriefe geäußert hat, feststellen müssen, daß sein
Beitrag unbeachtet geblieben wäre. Anerkennung verdient es ferner
, daß der Verf. — unbeschadet des selbstverständlich festgehaltenen
katholischen Standpunktes — die Auslegung nichtkatholischer
Exegeten nicht nur referiert, sondern auch würdigt und
oft akzeptiert. So bleibt er z. B. in der Frage des xmeyrnv
2. Thess. 2, 6 f. unter Hinweis auf die von M. Dibelius geübte
Zurückhaltung auch seinerseits bei einem bescheidenen ignoro.

Der Kommentar bietet für jeden Briefabschnitt zunächst eine
sorgfältige Analyse — wie in neueren Bänden des „Meyer". Sodann
folgen oben auf der linken Seite je eine oder mehrere Zeilen
des griechischen Textes, auf der rechten Seite oben die entsprechende
Textpartie in französischer Übersetzung. Unter dem
griechischen Text folgt ein vollständiger textkritischer Apparat,
der die Varianten v. Sodens, vermehrt um den Überschuß bei
Merk, enthält. Die Handschriften-Bezeichnung folgt Tischendorf-
Gregory. Erfreulicherweise werden alle bedeutenderen Varianten
sorgfältig diskutiert und der eigene Text begründet. Den weitaus

') Dewailly, L.-M., O. P. und Rigaux, B., O. F. M.: Lcs epitres
de Saint Paul aux Thessaloniciens traduites par. . . = La Sainte Bible
traduite en francais sous la direction de l'ßcole Biblique de Icrusalem.
Paris: Cerf 1954. 67 S. 8°. — Ob und wie zwischen den beiden Autoren
eine Arbeitsteilung stattgefunden hat, ist nicht angedeutet.

J) Rigaux, B., L'Änt£christ et l'opposition au royaume messianique
dans l'Ancien et lc Nouvcau Testament. Paris 1932.