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Ausgabe:

1959

Spalte:

766-767

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Bark, William Carroll

Titel/Untertitel:

Origins of the medieval world 1959

Rezensent:

Heyl, Cornelius Wilhelm Bruno

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. lö

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Überedirift: „Gekommen ist däe Stunde des franziskanischen
Denkens, des Menschen als Pilger!" leider einiges an Gewicht.

Den Ausgangspunkt der Darlegungen bildet, wie gesagt, die
franziskanische Bußlehre: Bußetun i. S. des hl. Franz meint „das
von Gott her bestimmte Leben führen und dauernd dahin sich
ausrichten" (S. 30). Die „virga correctionis" (S. 33; 86 ff.) ist
daher der „wesentliche Akt der Poenitentia", und somit ist die
Buße nicht nur ein Bildungsbegriff unter anderen, sondern die
unabdingbare Voraussetzung aller wahren Bildung überhaupt
(S. 36 f.). „Metanoia" bedeutet den gottgewollten Bildungsgang
des Lebens, sofern der Mensch von Natur aus nach Gott „fragt
und sucht" (S. 21) und dementsprechend von Gott her „einem
Sollen verpflichtet" ist (S. 21). Der Mensch „als gemessenes
Maß . .. kann seinem Sollen nicht entgehen" (S. 34). „Franziskus
hat der volle Mensch sein wollen. Er hat seiner naturgemäßen
Bestimmung bis zum Ruf von oben gehorcht und darum auch
gemeinschaftsbildend gewirkt über alle Grenzen und Konfessionen
hinaus" (S. 25).

Der Vollzug dieser Bußerzichung geschieht nun im „exire
de seculo" (Franz, Test. 1), wie es Franz selbst beispielhaft vollzogen
hat. Mit Nachdruck wendet 6ich Verf. in diesem Zusammenhang
gegen eine rein weltflüchtige Deutung der Ideale
des Franz (S. 31; 38). Im Gegenteil: Das „exire de seculo" bedeutet
nach Scnftlc gerade nicht „das Weggehen aus der Welt,
sondern es bestimmt den Menschen, die Welt sich ganz zu erobern
" (S. 38; 42), d. h. die „Herrscherstellung des Menschen" in
der Welt durch die franziskanische „Distanz zur Welt" (S. 91)
erst recht zu übernehmen. Denn erst darin erfüllt sich ja die Bestimmung
des Menschen: „Dienendes Herrschen und herrschendes
Dienen". „Nur wer sich auf diese Weise bildet, ist gebildet "
(S. 24). In diesem Sinne ist Franziskus als ein Erzieher zu erkennen
auf allen Gebieten weltlichen Lebens, die sich denken lassen,
6ei es in bezug auf den rechten Gebrauch weltlicher Macht und
Autorität (S. 47ff.; 54ff.; 93ff.), sei es in der Frage des Arbeitsethos
und der Wissenschaft (S. 63 ff.; 69 ff.; 98 ff.; 103 ff. -
Bindung an die „devotio"), sei es als weltlicher Friedensstifter
(S. 75ff.; 106ff. — „Friede ohne Kampf") oder als Erneuerer der
„Brüderlichkeit" in der „laetitia spiritualis" (S. 81 ff.; 108 ff.).

Einer Würdigung des Werkes ist zunächst die Anerkennung
vorauszustellen, daß der Verf. um eine Vertiefung der katholischen
Bußauffassung i. S. des franziskanischen Ethos ernsthaft
bemüht ist und dies offen ausspricht (S. 36 f.), ferneT, daß er den
Versuch unternimmt, Franziskus aus der lange Zeit üblichen rein
historistischen Betrachtungsweise herauszunehmen und als gültiges
Menschenbild mitten in die Probleme der Gegenwart
hineinzustellen.

Allein gerade wenn man diese Absichten begrüßt, so erheben
sich doch gegen Methode und Auffassung des Werkes nicht
minder ernste Bedenken. Um beim Geringsten anzufangen: Schon
die Behandlung von Quellen und Literatur ist unzulänglich. So
werden z. B. innerhalb der franziskanischen Legenden die bekannten
Viten des Thomas von Celano kurzerhand absolut gesetzt
, während die um das Speculum perfectionis gruppierten
Quellen weder benutzt noch überhaupt erwähnt werden. Entsprechend
wird auf eine Auseinandersetzung mit der nicht unerheblichen
protestantischen Literatur zur Franziskusfrage (hier
wären z. B. P. Sabatier, K. Müller, W. Goetz, H. Tilemann.
H. Boehmer zu nennen gewesen) rundweg verzichtet. Nur das
Werk von H. Thode wird erwähnt.

Darüber hinaus sind aber auch grundsätzliche theologische
tinwände geltend zu machen. Gewiß, das „facere penitentiam"
des Franz ist eine Sache des ganzen Lebens und als solches natür-
'* auch eine „prinzipielle Haltungsbestimmtheit" (S. 27), frei-
•cn sehr eigener Art. Aber man wird doch fragen müssen, ob es
von da aus gestattet ist, dies schier einmalige Bußleben einfach
in eine besondere Art von „Pädagogik" umzuinterpretieren.
jan"i .m?n der|n das „exire de seculo" wirklich ohne weiteres auf

höchst allgemeinen Begriff der „Distanz" reduzieren? Ist das
„penitentiam facere" wirklich nicht mehr als ein allgemeines

3u!?7 17 S0it Wann iSt d'C Heilsfra*e eine Sache der "Er"

Daß dem Verf. diese Erweichung des franziskanischen Gedankens
überhaupt gelungen ist, ist freilich kein Zufall, sondern
hat sehr konkrete Gründe. Wir vermissen im Verständnis des
Franz und seiner Buße nahezu alles, was an die „Imitatio Christi"
erinnert, also überhaupt das geistige Zentrum des Franz: seine
Christussehnsucht, Christustreue, Christusmystik; das alles fehlt
bereits im gedanklichen Ansatz des Werkes und erscheint darum
innerhalb der Ausführung auch höchstens am Rande. Und eben
darum erscheint auch die Blickrichtung des Mannes von Assisi
bei Senftie weit mehr auf die irdische Welt als auf den Himmel
gerichtet.

Überdies: Ist nicht Franz 6elbst von Hause aus alles andere
gewesen als ein Schulbeispiel für die pädagogische Systematik?
Wir lernten bisher, und zwar gerade auch von katholischer Seite,
daß es immer erst die katholische Kirche gewesen sei, die dem
organisatorisch, juristisch und pädagogisch unbeholfenen Franz
die nötigen Hilfen habe geben müssen, um seinem Werke
die erforderliche Stabilität und Weltmöglichkeit zu verleihen.
Und wir wußten auch, daß dieser Prozeß nicht ohne erhebliche
Spannungen vor sich gegangen ist. Hier dagegen wird selbst dies
geringste Zugeständnis an die Eigenart des Franz noch gestrichen.
Statt dessen wird uns ein Franziskus vorgestellt, den es so gar
nicht gegeben hat: der Franz der absoluten Kirchlichkeit, der
Pädagogik und der absoluten Gegenwartsnähe, ein Franz, der
eigentlich a 11 es ist, was „man" sich heute von ihm wünscht.

Und das ist schade! Wäre dieser Franz doch mehr als bloß
der Künder eines „erfüllten Menschseins" (S. 13 f.; 25) und
Schöpfer einer „Ära der Zufriedenheit" (S. 95)! Wäre er mehr
als eine „einzigartige Erziehergestalt" (S. 116), ein Wegweiser
zum rechten „Regieren und Herrschen" (S. 41), Gegner des
..Feudalsystems" (S. 39; 41; 77), „Schrittmacher der Demokratie
" (S. 39; 41; 52; 96), Schöpfer einer neuen „Arbeitstheorie"
oder ,,-theologie" (S. 68; 103), Bewunderer der Wissenschaften
(S- 72), „Friedensapostel" (S. 39; 41; 77), „Bruder Immerfroh"
(S- 108 ff.) und was der Verf. sonst noch alles aus ihm macht.
Wäre er doch mehr! Nein, wäre er weniger! Wäre er doch
der ganz andere Franz! Vielleicht fände er heute wieder eine unübersehbare
Nachfolge.

Erlangen Karlmnnn Bcyschlag

Bark, W. C.i Origins of the Medieval World. Stanford/Calif. USA:
Stanford University Press 1958. 1 58 S. $ 3.75.

Bark, Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte in Stanford,
gibt hier eine (etwas summarische) Analyse des Frühlings des
Mittelalters, insofern ein Seitenstück zu Huizingas fast schon
klassisch gewordenem Werke, mehr aber noch eine Fortführung
dessen, was der Berliner Historiker Altheim für die vorausgehende
Zeit mit dem Titel „Gesicht von Abend und Morgen,
Von der Antike zum Mittelalter" eindrucksvoll bearbeitet hat
(Die auch sonst lückenhafte Bibliographie gibt Altheim nicht
einmal an; sonst ist das Werk allerdings nicht mit amerikanischen
Scheuklappen geschrieben.) Altheim griff u. E. zu wenig ins
Mittelalter hinein, Bark greift wohl zu wenig in das ausgehende
Altertum zurück. Letzterer deckt sidi freilidi durch das Auslassen
des bestimmten Artikels bei „Ursprünge"; er ist zum
Aphoristischen so ein wenig legitimiert, will es wohl auch sein.
Noch Eusebius hatte 6eine Kirchengesdiichte in dem impliziten
Bemühen geschrieben, den euphorischen materiellen Hochstand
des Imperiums mit dem Sieg des Christentums1 in eins zu sehen.
Arge Verzeichnung freilich! Dann aber bahnte sich an, was wir
getrost mit dem Verf. die Mittelalterliche Metamorphose nennen
können: die Voraussetzungen für die im Mönchtum und seiner
Front- und Pionierstellung akzentuierte Pioniergesellschaft
(S. 76). War in einer recht ähnlichen Situation die Gesellschaft

') Hier zeichnet sich der in Genf später wieder kulminierende kon-
stantinokarolingische Denkansatz „Staat - Äußere Kirche" ab. Er ist verkapptes
Altertum. An der Schwelle des MA. hat Augustin den von
Wittenberg in der Lehre von ecclesia stricte und late dicta wieder aufgenommenen
Unterschied zwischen Unsichtbarer und Sichtbarer Kirdie
pelehrt. Geistesgeschiditlich ist das ein frühmittelalterlicher Ansatz, ob-
schon heilsgeschichtlich in dem depositum Apostolicum virtuell schon
angelegt.