Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 10

Spalte:

748-750

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stamm, Johann Jakob

Titel/Untertitel:

Der Dekalog im Lichte der neueren Forschung 1959

Rezensent:

Pfeiffer, Egon

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

747

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 10

748

tes bereichern. Das wiegt um so schwerer, als der Text der
Jesaja-Rolle von B. früher positiver beurteilt worden war. Sein
Votum über die textkritische Bedeutung der Fragmente aus der
vierten Höhle hört sich anders an. Allerdings ist die Übersetzung
hier mißverständlich. Nachdem die Beziehungen der Fragmente
aus I. Samuel zur Septuaginta klargelegt sind, heißt es: „Das erhöht
die Bedeutung der Septuaginta für die Herstellung des hebräischen
Textes von Samuel. Nicht nur das; die Fragmente beweisen
den Vorzug einer bestimmten Handschriftengruppe der
Septuaginta, deren Hauptrepräsentant der Codex Vaticanus ist"
(263). Erstaunt glaubt man diesem Satz entnehmen zu können,
daß B. für den Vorzug dieser Handschriftengruppe der LXX +
IV Q Sam vor der Masora plädiert. Doch belehrt ein Blick in das
Original, daß das Wort Vorzug hier keinen kcmparativischen
Sinn haben soll. Sowohl für das Wort „Bedeutung" wie auch für
„Vorzug" in dem zitierten Satz sagt das Original: importance.
Es bleibt bei dem Urteil, „daß unsere religiöse Auffassung der
Bibel von alledem nicht berührt wird" (264). Mit einem etwas
dürftigen Hinweis wird die Erweiterung unseres Wissens von der
Schreibkunst und Bücheranfertigung durch den Fund von Qum-
rän abgetan.

Eine entscheidende Beeinflussung Jesu durch Qumrän ist
nach B. nicht nachzuweisen. Er bezweifelt, daß die „Lehren Jesu
und die Glaubenssätze der Qumrän-Gemeinde irgendetwas gemein
haben, was sich nicht in anderen jüdischen Quellen ebenso findet
" (274). Das sieht zwar für die Urkirche von Jerusalem etwas
anders aus, dodi dürfe auch dabei nicht übersehen werden, daß
das Neue Testament Qumrän und die Essener nirgends erwähnt,
während es sich über Pharisäer, Sadduzäer und Johannes-Jünger
nicht ausschweigt.

B.s umfassender Bericht zeigt u. a., daß die Arbeit an den
Qumrän-Texten vielfach zur wissenschaftlichen Modesache geworden
ist. Der Verfasser wundert sich über den gewaltigen Antrieb
, den die Phantasie der Gelehrten durch die Rollen vom
Toten Meer bekommen hat (281); zur Verurteilung des Hypothesenspiels
kann er von dem hochgetürmten Bau „geistreicher
Vermutungen" sprechen, der nicht haltbarer ist als das Material,
aus dem er gebaut wurde (141). Man muß diesem Stoßseufzer
beipflichten. Wenn doch nur ein Bruchteil der Energie, die auf die
Qumrän-Literatur verwandt wird, auf die nicht weniger ergiebige
sonstige cssenische oder ältere rabbinische Literatur gewendet
würde!

Die Darstellung und Argumentation B.s ist so solide und
stichhaltig, daß sie seit der ersten Veröffentlichung nicht korrigiert
oder wesentlich modifiziert zu werden brauchte. Das erheischt
angesichts der immer noch treibhausartig wuchernden
Qumrän-Publikation größte Anerkennung. Erstaunlich ist, wie
der Verfasser dem Nichthebraisten selbst philologische Finessen
deutlich machen kann, z. B. die Verwendung der matres lectionis
(90 ff.) oder die Abweichung der Bibeltexte von der Masora
(251. 260 ff.). Mit der gleichen pädagogischen Fähigkeit klärt er
auch andere Probleme; man vergleiche nur einmal die Definition
und Unterscheidung von Midrasch und Kommentar (174)! Die
Polemik ist wohlwollend-humorvoll, niemals bissig. Deshalb
treffen Wiedergaben wie „Blödsinn" (für absurdity) oder „zurecht-
phantasiert" (für fancied) auf S. 203 und 280 nicht eigentlich
B.s Ton. In der sonst guten Übersetzung stolpert man noch einige
Male, z.B. über das merkwürdige Wort „Zeitstellung" als Überschrift
zum dritten Teil des Buches, über die „Übersetzung von
König Jakob" (252) und die konsequent falsche Schreibung des
Namens Solomon Schechters. Vermißt wird in diesem Standard-
Werk von Qumrfin ein grundsätzliches Wort über das Kanonproblem
. Es steht fest, daß kanonische und den kanonischen verwandte
Originaldokumente aus vorchristlicher Zeit aufgefunden
wurden. Mit der Möglichkeit, daß noch gewichtigere Schriften
dieser Art auftauchen, muß nun ernsthaft gerechnet werden. Hat
das irgendwelche Konsequenzen für die Gültigkeit des traditionellen
und offiziellen Kanonbegriffes oder nicht?

B.s Buch muß zusammen mit seiner Ergänzung („Mehr Klarheit
über die Schriftrollen", 1958) als ein Markstein oder geradezu
als ein gewisser Abschluß in der Geschichte der Qumrän-
Forschung betrachtet werden. Der sensationelle Fund hatte verständlicherweise
das Interesse der Weltöffentlichkeit erregt und
die beispiellose Flut der Publikationen ausgelöst. Der Feuereifer
dürfte allmählich einem normalen, der Bedeutung des Gegenstandes
angemessenen Forscherdrang weichen. Das angezeigte
Buch ist geeignet, selbst dem Nichtfachmann klarzumachen, daß
die Qumrän-Literatur keinen Höhepunkt der Geistesgeschichtc
darstellt. Sehr viele apokryphe und pseudepigraphische Schriften
aus der gleichen Zeit, die die Gemüter keineswegs so erregt haben
, sind unvergleichlich tiefere Zeugnisse jüdischer Gläubigkeit
und Weisheit und haben stärkere und wesentlichere Beziehungen
zum Evangelium.

Berlin Fritz Maass

Bure ha r d, Christoph: Bibliographie zu den Handschriften vom
Toten Meer. Berlin: Töpelmann 1957. XV, 118 S. gr. 8° = Beihefte
zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 76. DM 28.-.

Die Primär- und Sekundärliteratur über die Handschriftenfunde
vom Toten Meer bzw. aus der Wüste Juda hat innerhalb
weniger Jahre einen derartigen Umfang angenommen, daß es
nicht einmal mehr für den einzelnen Fachvertreter, geschweige
denn für die Vertreter der Nachbardisziplinen möglich ist, die
versdiiedenen Publikationen zu übersehen. Um so mehr ist es zu
begrüßen, daß B. sich der entsagungsvollen Aufgabe unterzogen
hat, in Gestalt einer Bibliographie eine Handreichung zu schaffen,
zu der sowohl der Fachmann wie der den Dingen Fernerstchendc
jederzeit gern greifen wird.

Die Bibliographie beginnt mit einem sinnreichen Schlüssel
für die Abkürzungen und Zeichen. Dem Abkürzungsverzeichnis
für die Handschriftenfunde ist das System von J. T. Milik in:
D. Barthelemy - J. T. Milik, Discovcries in the Judaean Desert I:
Qumrän Cave I, Oxford 1955, S. 46 f., zugrunde gelegt, wobei
aber auch auf das System der American Schools of Oricntal
Research Bezug genommen wird.

In die Bibliographie sind aufgenommen: 1. Grabungen und
Funde von Chirbet Qumrän nebst den benachbarten Höhlen;
2. Die Höhlen des Wadi Murabba'at; 3. Chirbet Mird; 4. Der
archäologische Befund der Buqe'a 60wie 5. Funde unbekannter
Herkunft.

Darüber hinaus aber werden Publikationen über die Damaskusschrift
, Arbeiten zur Ortskunde und in Ausnahmefällen
Einzelaufsätze — z.B. über die Frage der Bedeutung des CM-Tests
für die Handschriftendatierung — angeführt (S. XI), die nur mittelbar
zu den Funden in Beziehung stehen.

Den Kern der Bibliographie (S. 1-92; Nr. 1-1394) bilden
die fünf ersten Hauptthemen. Hier ist Vollständigkeit bis zum
31. 12. 1955 angestrebt. Wesentliche Publikationen konnten
noch bis Mai 1956 eingearbeitet werden. Ein Nachtrag, der die
Nummern 1395-1556 (S. 93-107) trägt, bringt Ergänzungen für
den Zeitraum von 1948 bis Ende 1956. Ein Abkiirzungs-
Verzeichnis für die Zeitschriftenliteratur (S. 108-113) und eine
tabellarische Übersicht über die häufiger (S. 114 f.) und seltener
(S. 115—118) veröffentlichten Texte beschließen das Ganze. Es
ist 6ehr zu begrüßen, daß die Absicht besteht, die Bibliographie,
die man ohne Übertreibung als unentbehrliches Handwerkszeug
bezeichnen kann, in zwei oder drei Jahren entweder als Beiheft
zur ZAW oder in dieser Zeitschrift selbst weiterzuführen. E«
bleibt nur zu hoffen, daß der vorgesehene Termin auch eingehalten
werden kann.

Jena Rudolf Iioyer

S t a m m, J. J., Prof. Dr.: Der Dckalog im Lichte der neueren Forschung-
Bern: Haupt |1958]. 55 S. 8° = Studientage für die Pfarrer. Eine
Sammlung von Vorträgen, hrsg. v. Synodalrat der Evang.-rcformicrtcn
Landeskirche des Kantons Bern, H. 1, Kart. DM 3.80.

Seit der Zusammenfassung der hauptsächlich nach dem
ersten Weltkrieg geleisteten Arbeit am Dekalog durch Ludwig
Köhler in der Theol. Rdsch. N. F. 1, 1929, S. 161-184 ist na*
J. J. Stamm „seine Erforschung in den letzten 25 Jahren um ein
gutes Stück vorangegangen, wobei Erkenntnisse gewonnen wurden
, die über das Einzclproblcm hinaus Tendenzen hervortreten
lassen, wie sie heute in der alttcstamcntlichcn Wissenschaft be-