Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 10

Spalte:

745-746

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Westermann, Claus

Titel/Untertitel:

Gewendete Klage 1959

Rezensent:

Hertzberg, Hans Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

745

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 10

746

ninen über diesen und andre Punkte korrespondiert, als er mir
sein Buch zusandte. Aber er hat es selber als eine Schwierigkeit
empfunden, daß er von dem Erscheinen des ersten Teiles der
Mercatischen Fragmente nichts habe erfahren können.

Schon im Jahre 1903 hat Eduard Schwartz in seinem wichtigen
Artikel „Zur Geschichte der Hexapla" (Nachrichten der
K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Philosophischhistorische
Klasse, 1903, Heft 6) ausgeführt:

Während man bis vor kurzem glaubte, daß von der Hexapla
im günstigsten Falle nur die Kolumne der LXX vollständig, von
den übrigen nur exzerpierte Varianten erhalten seien, ist die
ganze Sachlage dadurch geändert, daß Mercati im Ambrosianus
O 39 Palimpsestblätter entdeckte, auf denen die Hexapla der
Psalmen steht.

Schwartz hat in 6einem Artikel auf die richtige Interpretation
einer Stelle in des Eusebius Kirchengeschichte hingewiesen
und hofft, daß seine Ausführungen „den trefflichen und gelehrten
Forscher" in den Stand setzen werden, seine eigene glänzende
Entdeckung voll auszunutzen, mit der in hoffentlich nicht zu
ferner Zeit eine neue Ära der Hexaplaforschung beginnen wird.
Das wird heute, 56 Jahre nachdem diese Worte geschrieben sind,
sich erst recht als notwendig erweisen, in noch weit höherem
Maße, als es Eduard Schwartz sich hat denken können.

Oxford Paul Kahle

Westermann, Claus: Gewendete Klage. Eine Auslegung des
22. Psalms. Berlin: Evang. Vcrlagsanstalt [1957]. 64 S. 8°. DM 1.80.

Diese Auslegung geht von der Erkenntnis aus, daß Psalmen
eigentlich nicht auslegbar sind; wenn es aber doch geschieht,
dann darum, daß man verstehe, was man nachbetet. Dieses Nachbeten
, Nachvollziehen ist das Wesentliche an dem kleinen Buch,
das von daher einen stark meditierenden Charakter bekommt.
Dabei spielt eine große Rolle der formale Aufbau: der Wechsel
von Klage, Bitte und dem Bekenntnis der Zuversicht im ersten
Teil, das (erweiterte) Lobgelübde im zweiten geben dem Psalm
das Gerüst, ja prägen ihn und verwehren eine „subjektivpsychologische
" Auslegung (S. 20). ,,Er klagt in Worten, die
nicht allein seine eigenen sind" (S. 32). Daher könnte sich vielleicht
auch das merkwürdige Miteinander von Krankheits- und
Fcindcsnot begreiflicher machen, wenn auch nicht restlos erklären
(S. 34 ff.). Wichtig ist für den Verf. die Feststellung, daß der
Psalm sich auf die eine Bitte konzentriert: Rettung aus der gegenwärtigen
Not. Hier würde ich allerdings fragen: Geht das nicht
noch weiter, und ist die zentrale Bitte nicht die um Gott selbst?

Das Wesentlichste für den Verf. ist nun aber, was auch in
dem Titel des Buches zum Ausdruck kommt, die „gewendete
Klage", d.h. also der vielerörterte Umschwung von V. 22 auf 23.
Der früher mehrfach empfohlene Ausweg der Teilung des Psalms
wird mit Recht abgewiesen, auf die Möglichkeit des Heilsorakels
oder eines Opfers nicht eingegangen, letzteres bei V. 27 kurz erwähnt
. Für W. löst sich die Sache in der Erkenntnis des Charakters
von V. 23 als eines „Lobgclübdes", das dann in den folgenden
Versen bis hin zu den Grenzen von Raum und Zeit erweitert
wird. Das Lobgelübde ist die Brücke von der Grundbefindlichkeit
der Bitte um Wendung der Not hin zu dieser Wendung selber
(S. 49). Die äußere Lage des Beters ist dadurch nicht geändert
worden; aber der Beter weiß, daß Gott gehört hat (S. 53): in
diesem Sinne also ist die Klage „gewendet". Hier muß der Rezensent
seine Verwunderung darüber anmelden, daß der Verf. mit
keiner Silbe auf das wichtige Wort -p;y am Schluß von V. 22
eingeht, das er stillschweigend, nach älterem Vorschlag, in -r;?*
ändert und als „mein Armes" übersetzt (was in seinem Zusammenhang
noch dazu falsches Deutsch ist, vgl. S. 11!). Mb habe
an dieser Stelle die Form des MT immer für die einzig mögliche
gehalten und midi daher gefreut, daß Kraus in seinem Psalmen-
kommentar „Du hast mich erhört" übersetzt hat Auch für W.s

egung wäre diese Übersetzung durchaus passendI
„ , k bleibt noch zu sagen, daß das kleine Buch eine Reihe von
Beobachtungen und Winken enthält, die deutlich machen, daß
t a- l ^er eciGtlicJien Praxis gestanden hat und im Blick
»U die hörende und betende Gemeinde lebt, die solchen Psalm

sich zu eigen machen kann. Ein anderes Positivum ist das, was
am Schluß über die Beziehung des Psalms zur Passion Jesu gesagt
wird, der, indem er den Psalm benutzt, dokumentiert hat, „daß
er dieses Leid zu seinem Leid madite" und das Warum „im Abgrund
der letzten Sinnlosigkeit durchlitten" hat (S. 63); zugleich
aber weiß das Neue Testament, wie der Psalm, „daß Gott auf den
Schrei vom Kreuz geantwortet hat" (S. 64). So zeigt gerade dieser
Schluß, daß hier ein ernsthafter Versuch gemacht worden ist,
den Psalm nicht psychologisch, sondern theologisch zu deuten.

Kiel Hans Wilhelm Hertzberg

B u r r o w s, Miliar: Die Sdiriftrollen vom Toten Meer. Aus dem Amerikanischen
übertragen von Friedridi Cornelius. Mündien: Beok
1957. VIII, 379 S. 8 Taf., 2 Ktn. gr. 8°. DM 20.-; Lw. DM 24.-.

Der große Erfolg dieses Buches (6 Auflagen der Original-
Ausgabe in 3 Monaten!) ist erklärlich. Der Verfasser ist nicht nur
einer der berufensten Fachmänner, er hat als Direktor der
American School of Oriental Research in Jerusalem 1947/48 auch
entscheidenden Anteil an der Aufhellung des Fundes gehabt, und
er weiß selbst über die diffizilsten wissenschaftlichen Probleme
allgemeinverständlich und fesselnd zu berichten. Diese Vereinigung
von wissenschaftlicher Gründlichkeit und guter Lesbarkeit
'st in dieser Vollendung bei uns kaum anzutreffen; vielleicht,
weil immer noch das Empfinden herrscht, daß das Allgemeinverständliche
nicht wissenschaftlich sein kann. B.s Buch widerlegt
dieses Vorurteil. Die hier gebotene umfassende Untersuchung
der Schriftrollen und Fragmente sowie die eingehende Sichtung
und Bewertung der Literatur darüber ist auch ohne Fußnoten
und genaue Seitenangaben mustergültige Forschungsarbeit.

In 5 Teilen werden die Fundgeschichte, die Abfassungszeit,
die Beziehungen zur Zeitgesdiichte, die Qumrän-Gemeinde und
die Bedeutsamkeit der Handschriften behandelt; dazu kommen:
eine Übersetzung der Texte, Bibliographie, Register und einige
schöne Aufnah men.

(1) Die Fundgeschichte wird sehr anschaulich in einen autobiographischen
Rahmen gestellt. Nirgends ist das Wissensmöglichc
über den Fund, die ersten Zwischenträger, die Schicksale der Rollen
im Markuskloster, die ersten von Entdeckerfreude beflügelten
wissenschaftlichen Interpretationen, die Bemühungen Sukeniks
etc. so instruktiv und doch kritisch dargestellt wie in diesem
Buch.

(2) Die „Schlacht" um die Datierung der Rollen ist für B.
abgeschlossen: sie sind alle vor 70 n.Chr. verfaßt, die ältesten
biblischen Fragmente können aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert
stammen. Die vollständige Jesaja-Rolle ist um 100
v- Chr. gesdirieben.

(3) Bei der Deutung der historischen Anspielungen kommt
B-S Geschick, die wissenschaftliche Diskussion verständlich und
übersichtlich darzulegen und die Stichhaltigkeit der versdiiedenen
Hypothesen zu prüfen, besonders gut zur Entfaltung; doch wird
auch das Unvermögen eingestanden, „eine neue Theorie aufzustellen
, die alle anderen aus dem Felde schlägt". Zum Habakuk-
Kommentar meint er: „Vielleicht ist nicht eine einzige Person,
Gruppe oder Begebenheit mit Sicherheit identifiziert." „Die
Kittim sind wahrscheinlich die Römer, aber sicher ist auch das
nicht" (151).

(4) Bei der eingehenden Schilderung des Lebens, Glaubens
und Kults der Qumrän-Gemeinde wird dem Problem des Gnosti-
zismus große Aufmerksamkeit geschenkt. Bemühen sich auch
diese Ausführungen mehr darum, die Problematik objektiv darzutun
, so wird mit der Betonung des durch und durch alttesta-
mentlich-jüdischen Charakters der Theologie von Qumrän eine
klare Position bezogen. Doch gilt Brownlee's Gleichsetzung des
Lehrers der Gerechtigkeit mit dem Ebed Jahwe nicht als überzeugend
. Die Gemeinde muß zwaT aus den Hassidim des 2. vorchristlichen
Jahrhunderts hervorgegangen sein, darf aber nicht
ohne weiteres mit den Essenern identifiziert werden, wie sie im
1. Jahrhundert n.Chr. von Joscphus, Philo und Plinius beschrieben
worden sind.

(5) Im letzten und wichtigsten Teil des Buches tritt zunächst
hervor, wie wenig die biblischen Rollen unsre Kenntnis des Tex-