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Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

702-703

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Rahner, Karl

Titel/Untertitel:

Zur Theologie des Todes 1959

Rezensent:

Schott, Erdmann

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

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immanenten Architektonik seiner Dogmatik und am scharfsinnigen
Deduzieren des einen locus aus einigen anderen zu .ergötzen
' (zur delectatio und pulchritudo beim intelligere Anselms,
s. S. 14 f.).

Im übrigen sind noch folgende drei Gründe kurz zu benennen
, von denen aus Barth seine Hauptthese: Anselm wolle nicht
rational beweisen, sondern „offenbarungstheologisch" erörtern,
zu erhärten sucht: (1) Anselm beginne und schließe seinen
.Gottesbeweis' mit einem Gebet.

„Anselm denkt und beweist betend, also nicht nur unter
logischer Voraussetzung, sondern in praktischer Bejahung des
Daseins dessen, dessen Dasein zu denken und zu beweisen er
unternimmt" (S. 97, vgl. S. 34, 38, 46, 143ff., 148, 151).

(2) Wie Anselm über die Entdeckung seines Schlüsselbegriffes
(quo maius cogitari nequit) berichtet (im Proömium des
Proslogion), das sei kein „wissenschaftlicher Forschungsbericht",
sondern ein „Bericht über eine Erfahrung prophetischer Erleuchtung
" (S. 72). — (3) Der Ausdruck fides quaerens intellectum
(wie der Titel des Proslogion ursprünglich lauten sollte, vgl.
S. 15) zeige doch ganz deutlich, daß Anselm Voraussetzung und
Ergebnis seines .Beweises' der Bibel entnahm und insofern nicht
beweisen wollte (u. E. entnahm Anselm sein Thema der
Bibel, um es der Vernunft als zweitem unabhängigen
Zeugen zu stellen, nicht um sich hinfort auf das Vernunftergebnis
zu verlassen, sondern um hierdurch die Glaubwürdigkeit der
Bibel dem Zweifler gegenüber zu erhöhen, was aber gerade einen
unabhängigen zweiten Zeugen erforderlich machen mußte
). — Hinzu kommen bei Barth noch einige weitere an sich recht
treffende und interessante Beobachtungen (S. 39, S. 56 unten,
S. 57; vgl. S. 14f., S. 59 Anm. 10, S. 123, S. 144), die gewiß für
das Verständnis von Proslogion 2—4 „nicht gleichgültig" (S. 38)
sein können, deren jede für sich aber eine recht schwache Stütze
für die genannte Grundbehauptung Barths darstellt, ebenso wie
die angeführten drei hervorstechenden Argumente. Mit „vielen"
Gründen (vgl. S. 57 oben) ist wenig ausgerichtet, wenn jeder für
sich genommen nicht tragfähig ist.

Was Barths Neuverständnis aber vor allem im Wege steht,
ist die Tatsache, daß die Zeitgenossen Anselms diesen nahezu
einhellig in dem Sinn verstanden haben (vgl. S. 82, Anm. 41),
den Barth ablehnt. So daß immerhin der Vorwurf Anselm gegenüber
bliebe, sich reichlich mißverständlich ausgedrückt zu haben,
zumal wenn „sich sogar ein 60 kluger und selbständiger Historiker
wie Fr. Overbeck (a. a. O., S. 220) auch nicht im geringsten
über das Niveau der üblichen und falschen Erklärung
des Grundbegriffs unseres Beweises zu erheben wußte" (S. 84,
Anm. 47). — Was — weiter — die Tatsache, daß Anselm „betend
beweist" (S. 97), anbetrifft, so ist die ungleich wahrscheinlichere
Erklärung hierfür (und das Wahrscheinlichere sollte 6tets dem
.allenfalls auch Möglichen' vorgezogen werden) die: Anselm
dankt Gott dafür, daß er ihn mit einem (von der Bibel unabhängigen
) logisch zwingenden Argument erleuchtet hat. Damit
bleibt alsdann der Anspruch, einen Beweis geführt zu haben,
und die Herausforderung an die Logiker, ob er wirklich zwingend
ist, einerlei ob der Verfechter des Beweises diesen auf eine
Gottcserleuchtung zurückführt oder nicht. Was Anselm Prosl.
2-4 ausführt, wird durchaus von Kants Kritik (auch wenn in
dieser statt Anselm Leibniz genannt wird) „mitbetroffen" (gegen
S. 163), und es ist keineswegs erforderlich, über Kants Beispiel
mit den .hundert Talern' „den Mantel der Liebe" zu decken
CS. 90), zumal jenes bekannte Beispiel Kants in einem ganz anderen
Zusammenhang steht als Gaunilos unbekannte Insel. Wenn
es Mißverständnisse bei der Behandlung des .ontologischen
Gottesbeweises' gibt, dann gehört dazu auch die Gewohnheit,
*^nt immer nur in der Verlängerung des (Anselm nun gewiß
rnent ebenbürtigen) Mönches Gaunilo zu sehen (so Barth S. 90,
Anm- 11; vgl. S. 163).

machtT«! hattc gegen den ontoloS'sdlen Gottesbeweis geltend ge-
v ■ ' lhm läge der Obersatz zugrunde: .wenn an einem Begriff die
iT~~~j "^wendiges Merkmal dieses Begriffes ist (also notwendig
Hinzugedacht werden muß, wenn der Begriff sich nicht unter der Hand
Tt ff r and"en verwandeln soll), dann existiert das von dem betr.
vnnrlh„^2CUtn1tc audl'- Und hi«gegen zeiSt£ Kant (am Beispiel
von Hundert Talern, deren Begriff identisch bleibe, einerlei ob sie existierten
oder nicht), daß es grundsätzlich — ohne Ausnahme — so
etwas nicht gibt, also daß die Existenz Merkmal eines Begriffes — in
irgendeinem Falle — sein könne. Kant widerlegt hiermit folgenden
Schluß: (Obersatz) Wenn irgendwo die Existenz Merkmal eines Begriffes
ist, existiert das von diesem Begriff Bezeichnete auch / (Untersatz) Bei
Gott (und nur bei Gott — eine Einschränkung, die Kant durchaus
erfaßt hat —) ist das der Fall (weil sich sein Begriff — in Anselms Formel
gefaßt — verändern würde, wenn die Existenz aus ihm eliminiert
würde) / (Konklusio) Also existiert Gott (und nur er) ganz gewiß
(vere). — Auf die Form dieses Schlusses (der nur leider falsch ist, weil
er einen falschen Obersatz hat), läßt sich aber mühelos das bringen,
was Anselm in Proslogion 2 und 3 ausgeführt hat. Mag damit vielleicht
nicht erschöpft sein, was Anselm im Zusammenhang von Prosl. 1—4
sagen wollte oder gesagt hat; das Angeführte hat er jedenfalls auck
gesagt, und er wird deswegen von Kant sehr wohl „mitbetroffen".

Mit allem 6oll nicht entfernt bestritten werden, daß man
von Barths Anselm-Buch reichen Gewinn hat, gerade weil es in
seinem manchmal etwas apodiktischen Stil Widerspruch einigermaßen
provoziert. Die Grenze dieses Buches liegt auch weniger
darin, daß die Grundbehauptung näherer Prüfung nicht standhält
(das kann man getrost von vielen berühmten Büchern sagen),
sondern sie liegt in der durch das hartnäckige Verfolgen eines
Grundgedankens heraufbeschworenen Einengung des thematischen
Gesichtsfeldes. Da6 Buch ist zu einseitig auf Verteidigung
und Rehabilitierung Anselms angelegt. Alles kreist um
den Nachweis: „Es gibt eine Möglichkeit, das Beweisenwollen
des Anselm auch anders zu deuten als so, daß es die Katastrophe
seines ganzen Unternehmens bedeutet" (S. 67). Aber einen Großen
der Vergangenheit kann man nur dadurch der Gegenwart
lebendig erhalten, daß man dartut, was er ihr positiv bedeuten
könnte. Indes: Anselms „theologisches Programm" (wie es
Barth als Alibi für „aprioristische Theologie" entwickelt) dürfte
hierzu - wie angedeutet - ausscheiden. Etwas mehr könnte Anselms
allgemeine Einstellung dem Gottesleugner gegenüber (wie
sie Barth herausstellt, s. bes. den Satz: „Er hat vielleicht die
Voraussetzung gewagt, daß der Unglaube ..., der Zweifel, das
Nein und der Spott des Ungläubigen so ernst gar nicht zu nehmen
sei, wie er selber es wohl ernst genommen haben wollte .. .",
S. 67) der Gegenwart bedeuten, aber eine konkrete Hilfe
für die Auseinandersetzung mit dem Atheismus ist solchen Deli-
herationen natürlich nicht zu entnehmen. Freilich ist das nicht
Barths Schuld; denn die Großen der Vergangenheit (ob historisch
original wiedergegeben oder pseudepigraph verschlüsselt)
leisten nun einmal für die Gegenwartserfordernisse nicht immer
soviel, wie manche Verfasser (im Glücksgefühl, eine vielverhandelte
Frage wissenschaftsgerecht weitergeführt zu haben) vorauszusetzen
geneigt sind. Besonders die ,Sy6tematiker' dienen der
gemeinsamen Sache am besten, wenn sie (nach ihren Durchgangsstufen
) — systematische Bücher schreiben; und so
war es das Beste an Karl Barth, daß er nach dem Anselm-Buch
mit Energie an seine eigene Dogmatik ging (vgl. das Vorwort
zur 2. Aufl.), der wir wünschen, daß es ihr nicht ergehen möge
wie Anselm (nach Barths Sicht): daß die Zeitgenossen nur mißverstehen
und ohne Kenntnis des Zusammenhanges und des
Ganzen einzelne Gedanken (die sich herumgesprochen haben) aus
der Gaunilo-Perspektive meinen abtun zu können.

Berlin Hans-Georg F ri tzs ch e

Rahner, Karl- Zur Theologie des Todes. Mit einem Exkurs über das
Martyrium Freiburg/Br.: Herder [1958]. 106 S. 8° = Quaestiones
Disputatae, hrsg. v. K. Rahner u. H. Schlier, 2_

R. geht methodisch so vor, daß er Daten der römischkatholischen
Glaubenslehre kurz darstellt und von da aus „ein
Stück weit in die weitere theologische Problematik und Spekulation
vorzustoßen" versucht (12). Er behandelt l) die „existentiell
neutralen Aussagen über den Tod", „die ihn als allen gemeinsames
Vorkommnis charakterisieren"; 2) den Tod als das
entscheidende Ereignis im Leben des sündigen Menschen; 3) den
Tod als „Höhepunkt der Aneignung des im Tode Christi begründeten
Heiles" (14). Unter l) finden sich Erwägungen über die
vom Leib getrennte Seele und über den Tod als Vollendung des
personalen Werdens des Menschen. R. versucht unter Heranziehung
auch der Engellehre (23) zu zeigen, daß die Seele im Tode
nicht „akosmisch", sondern „allkosmisch" werde (22). Den Ver-