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Ausgabe:

1959

Spalte:

699-702

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Fides quaerens intellectum 1959

Rezensent:

Fritzsche, Hans-Georg

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699

Theoiogisdie Literaturzeitung 1959 Nr. 9

700

Ewigkeitsperspektive jenseits der geschichtlichen Offenbarung",
sondern die „Urform des Dogmas" als Aussage über den Gott
der Glaubensbeziehung, das „Du bist mein Gott" (105) ist die
Antwort auf die Frage nach Gottes Wirklichkeit.

Greifswald Horst B e i n tk e r

Barth, Karl: Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz
Gottes im Zusammenhang seines theologischen Programms. 2., neu
durchges. Aufl. Zollikon: Evangelischer Verlag [1958]. 163 S. gr. 8°.
Lw. DM 15.80.

Karl Barths ,Anselm-Buch' steht fraglos im Ge6amtwerk
Barths an hervorragender Stelle, jedenfalls wenn man einmal von
der .Kirchlichen Dogmatik' absieht, die der Rez. nun doch — in
jedem ihrer Bände — unvergleichlich höher zu bewerten geneigt
ist. Das Anselm-Buch wie der Kommentar zum Römerbrief bezeichnen
Etappen und Stufen im Schaffen Barths, während mit
der Kirchlidien Dogmatik gleichsam ein Hochplateau erreicht
ist. Unter sich verhalten sich der .Römerbrief' und das .Anselm-
Buch' — methodisch und formal gesehen — recht gegensätzlich
zueinander: der .Römerbrief' voll glänzender Rhetorik und
blitzender Dialektik, dem Historiker einst ein Ärgernis an
.Unwissenschaftlichkeit', das ,Anselm-Buch' nun trotz einer gewissen
forschen Redeweise ein Muster an philologischer Exaktheit
und logischer Ordnung, in der Fülle der Anmerkungen und
textkriti6chen Belege ganz dazu angetan, die vom Römer-Kommentar
her besorgten Historiker über den in Barths Bonner
Seminaren herrschen mögenden Wissenschaftsbetrieb zu beruhigen
(vgl. das Vorwort zur 1. Auflage); beiden Schriften gemeinsam
ist indes eine gewisse Einseitigkeit der theologischen .Linie',
was ihre Bedeutung gewiß nicht schmälert, aber ihre Aktualität
beschränkt auf ihre theologiegeschichtliche Situation sowie deren
periodische Wiederkehr.

Das Anselm-Buch ist nicht loszulösen von Barths Auseinandersetzung
mit den Vertretern einer apologetisch eingestellten
Dogmatik, die um .natürlich' offenbarte Anknüpfungspunkte
zur Gotteserkenntnis bemüht ist (vgl. Barths Schrift „Nein! —
Antwort an Emil Brunner", München 1934). Gegen alle nervöse
und hysterische Apologetik will Barth einen Theologen großer
Vergangenheit als Vorbild vor Augen stellen, der dem Atheisten
(einem also keineswegs erst neueren Phänomen) in souveräner
Sicherheit gegenüberstand. So, wie Anselm sich mit dem .Toren'
von Psalm 14,1 (der ,in 6einem Herzen spricht: es ist kein Gott')
einließ: ihn ernst, aber doch nicht schlechthin wichtig nehmend
(S. 67 f.), vor allem sich nicht „auf dessen Boden, etwa auf
den Boden einer allgemeinen Menschenvernunft" herablassend
(S. 64), so habe „vorbildlich gute, einsichtige und ordentliche
Theologie" (S. 9) auch heute zu verfahren. - Die6 die Grundtendenz
. Anselm habe also nicht .beweisen' wollen, sein sog.
ontologischer Gottesbeweis werde von Kants Kritik auch nicht
„von ferne mitbetroffen" (S. 163). — Doch: läßt sich das alles
wirklich aus Anselm belegen? und: wenn er nicht beweisen
wollte, was wollte er dann? Dazu jetzt einiges im einzelnen:

Der Grundgedanke des Buches ist also der: Anselms 6og
ontologischer Gottesbeweis will nicht die Existenz Gottes rational
(unter Absehen von der Offenbarung in der Bibel) beweisen,
sondern will lediglich die Tragweite und Bedeutsamkeit der
(Glaubens-!) Aussage: .Gott existiert' erörtern. „Unter der Voraussetzung
, daß es wahr ist: Gott existiert... diskutiert
Anselm die Frage, inwiefern da6 wahr ist" (S. 59). Vgl.
S. 26 und bes. S. 42: sola ratione bei Anselm heiße nicht soli-
faria ratione, vgl. S. 47.

Und die Tragweite sieht Barth vor allem darin, daß mit
^"ffl'ms Formulierung: Gott ist .dasjenige, über das hinaus
Größeres nicht gedacht werden kann' (id quo maius cogitari non
potest) dem Gläubigen verboten wird, etwas Größeres als Gott
zu denken.

„Die Formel gibt lediglich das dem Denken des Gläubigen
durch die Offenbarung (credimus te esse . ..) eingeprägte Verbot
wieder, etwas Größeres als Gott zu denken" (S. 98, vgl.
S. 78/9 83/4 148).

Die herkömmliche Auffassung ist dagegen die: die genannte
Formel war Anselm (in Prosl. 2-4) als Argument eines

Beweises für das Daß- Sein Gottes wichtig, aber nicht

— rein für sich — als Umschreibung eines einzigartigen W i e -
Seins Gottes (so Barth S. 148). Anselm lag alles daran, aus jener
Formel die Folgerung zu ziehen: denke man das Höchstdenkbare
als nichtexistierend, dann denke man nicht das Höchstdenkbare
, weil Existieren etwa6 Höheres (ein maius) als Nicht-
existieren sei; und damit sei der ,Tor' von Psalm 14, 1 widerlegt
.

Gegen diese herkömmliche Auffassung 6teht also schroff
Barths Ansicht: jene Formel sei um ihrer selbst willen (interntheologisch
) bedeutsam, nicht als Argument (Voraussetzung)
eines Beweises. Außerdem entstamme diese Formel nicht der
Vernunft (wie ein Apriori), sondern sei nur nachträgliche rationale
Formulierung des biblischen Zeugnisses. Ein .Beweis', der
sich aber auf eine biblische Voraussetzung gründe, könne kein
eigentlicher Bewei6 mit der Tendenz sein: daß auch die Vernunft

— als unabhängiger zweiter Zeuge — zum selben Ergebnis wie
die Bibel komme.

Der Hauptgrund Barths für 6eine Ansicht ist folgender:
So, wie er - Barth — Anselms ontologischen .Gottesbeweis' verstehe
, habe es Anselm in allen seinen Schriften gehalten, so
entspringe es Anselms „theologischem Programm": überall
werde nicht rational (unter Absehen von der Bibel) bewiesen,
sondern das biblische Zeugnis in seinem Inwiefern erörtert
(s. bes. S. 52ff., vgl. S. 8). — Doch ist hierzu kritisch zu bemerken
: Wa6 Anselm sonst getan hat, darf nicht über das Verständnis
einer Einzelstelle vorwegentscheiden; man hat von den
Einzelstellen auf das Ganze zu schließen (auch wenn sich dabei
vielleicht kein einheitliches Ergebnis gewinnen läßt), aber nicht
ein vielerorts sich aufdrängendes „Programm" gegen das Selbstverständnis
des Autors an einer Einzelstelle (und Anselms Selbstverständnis
in Prosl. 2—4 war u. E. genau dies: die Vernunft als
unabhängigen zweiten Zeugen aufzurufen) auszuspielen
. — Hinzu kommt noch etwas ganz anderes: Barth
charakterisiert das „theologische Programm" Anselms so, daß
man den Eindruck gewinnt: dieses Programm ist ja noch viel
bedenklicher und gefährlicher, als wenn Anselm überall nur
hätte rationalistisch beweisen wollen. Nach diesem „theologischen
Programm" wird nämlich die christliche Dogmatik (im schroffen
Widerspruch zu allen Regeln in Barths .Kirchlicher Dogmatik'!)
wie die Aufgabe einer Dreieckkonstruktion verstanden; die
Größen des Dreiecks entsprechen den einzelnen loci, und wie zur
Konstruktion eines Dreiecks nur drei oder vier Größen gegeben
zu sein brauchen (um aus ihnen das Ganze zu deduzieren), so
habe sich Anselm zur Aufgabe gemacht: von den loci der Dogmatik
einmal diesen und einmal jenen als unbekannt zu setzen
und von den übrigen her als x zu erschließen (und Barth will
damit betonen: Anselm habe ako nicht von Vernunft'
großen, sondern von .Größen' der christlichen Dog'
m a t i k her argumentiert). Im Cur deus homo z. B. habe er die
christologischen .Größen' als zu suchendes x gesetzt (remoto
Chri6to = remotis locis Christologicis, vgl. S. 53, Anm. 56V
um sie von der Gottes-, Schöpfungs- und Sündenlehre her zu
erschließen (S. 53), und in Proslogion 2—4 eben sei die Größe
.Dasein Gottes' ak unbekanntes x gesetzt, um von der Größe
.Wesen Gottes' her erschlossen zu werden (S. 73/4, vgl. S. 89,
132, s. bes. die zentralen Seiten 52 f.).

„Der Ursprung der rationes necessariae liegt. . . innerhalb des Credo
selbst, in welchem jetzt dieser, jetzt dieser Artikel als das unbekannte *
figuriert, das in der Untersuchung mittels der als bekannt vorausgesetzten
Glaubensartikel a, b, c, d ... (ohne Voraussetzung der Bekanntschaft
mit x und insofern: sola ratione) aufgelöst wird" (S- 52/3).

„Was Anselms quacrere rationem bedeutet, wissen wir: die durch
die Klärung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Stücke des
Credo aufzuzeigende noetische Rationalität des Glaubens" (S. 63). „In-
telligere heißt: unter Voraussetzung anderer Glaubenssätze die
Notwendigkeit dieses Glaubenssatzes, die Unvollziehbarkcit seiner
Verneinung einsehen" (S. 97/8).

Man wird zu fragen haben, ob man dieses „theologische
Programm" wirklich „für ein Stück vorbildlich guter, einsichtige'
und ordentlicher Theologie" (S. 9) halten kann. Im Eifer, Anselm
von einem Vorwurf freizumachen (er habe „aprioristische Theo
logie" getrieben, S. 54 u. a.), liefert ihn Barth unversehens
einem vielleicht viel schlimmeren aus, nämlich dem: sich an de