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Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

695-697

Kategorie:

Naturwissenschaft und Theologie

Autor/Hrsg.:

Daujat, Jean

Titel/Untertitel:

Physique moderne et philosophie traditionelle 1959

Rezensent:

Neuberg, Arthur

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

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Nun hat diese Auswahl deutscher Gedichte des 20. Jahrhunderts
den kaum zu überschätzenden Wert, daß sie zeigt, wie
das ewige Gotteswort die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit
sehen und deuten hilft. Die bestialische Tilgung von sechs
Millionen Juden — sie steht für Nelly Sachs unter dem Wort aus
Hiob 19,26. Ihre Dichtung nach dem Hiobspruch („O die Schornsteine
/ auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes . . .")
bezieht dieses grausige Geschehen mit ein, und die Deutung des
Gotteswortes erfährt zugleich eine künstlerisch gestaltete Vertiefung
. Eine ähnliche Schau enthüllt Albrecht Schaeffer in seinem
Gedicht „Die Gefangenen" (WENN - o Wort des Trugs, o Wort
des Zaubers .. .") nach Psalm 126, 1.

Andere Gedichte, vorwiegend im neutestamentlichen Teil
dieses Bandes, nehmen die soziale Frage auf, z. B. die Hirtenstrophe
von Peter Hüchel („Gras, Vogel, Lamm und Netz und
Hecht, / Gott gab es uns zu Lehn. / Die Erde aufgeteilt gerecht, /
wir hättens gern gesehn.").

Wie die lebende Generation den kompromißlosen Ernst in
der Botschaft Jesu hört und sich von ihm angezogen fühlt, geht
aus den neutestamentlichen Gedichten insgesamt hervor. An
erster Stelle steht hier wohl Franz Theodor Csokors „Berufung
des Matthäus" (Du da, — steh auf! / Du hast mitzugehen! / Man
braucht dich. ... Du bist gemeint! / Nicht der neben dir. '
Komm!"). Aber das ist nur eine Stimme aus einer größeren
Gruppe (vgl. Walter Toman, „Halt ihm die andere Wange hin";
Franz Kießling, „Gottesworte").

Ein abschließendes Urteil wird dem Herausgeber immer nur
Dank wissen für diese Erschließung moderner geistlicher Lyrik.

An Druckfehlern sind zu nennen: Rosenzweig (S. 25) wird nicht
im Autorenverzeichnis erwähnt; S. 38, Z. 3 lies: „. . . Hilf uns, gib ein
Zeichen . . ." (nicht gibt); das Gedidit von Nelly Sachs „O die Schornsteine
. . ." S. 53 wird im Autoren- und im Inhaltsverzeichnis nach dem
Hiobspruch „Und wenn die6e meine Haut..." zitiert.

Berlin Jutta Zi m m e rma n n

Frick, Robert: Das Vermächtnis Reinhold Schneiders.

Monatschrift für Pastoraltheologie 47, 1958 S. 510—520.
Kassner, Rudolf: Gespräche mit Rilke.

Universitas 14, 1959 S. 597—602.

NATURWISSENSCHAFT UND GLAUBE

Daujat, J.: Physique moderne et philosophie traditionnelle. Paris:
Desclee & Cie [1958]. 135 S. kl. 8° = Le Monde et la foi, dir. par
J. de Fabregues, 272.

Ein Büchlein von 132 kleinen Seiten, aber wert, genau besprochen
zu werden, weil wertvoll an Inhalt und Form und in seiner
Art abschließend. Es i6t mit jener Klarheit und Eleganz, jener
Di6tinktionskunst geschrieben, die wir an den Franzosen bewundern
, und ist hervorgegangen aus den Kreisen des alt- und
neuklassisdien Thomismus („la grande renaissance thomiste du
XX. siecle"), der sich als die „philosophie traditionelle" bezeichnet
. Ich vermute aus Dominikanerkreisen. Es bringt also
nicht wesentlich neue Auffassungen, gibt aber eine glänzende
Darstellung nach beiden Seiten, der physikalischen und der
philosophischen. Jene Eleganz hat ihre Kehrseite, wenn der
Verfasser in den biologischen Fragen kurz und gewandt über
Probleme sich hinwegschwingt, die ernster genommen werden
müssen. So würde ein deutscher Denker nicht 60 leicht über
<tas Problem der Mutationen hinweggleiten (den unversehens
eintretenden und konstant bleibenden Abändernugen der Lebewesen
innerhalb der Art). Die Genmutationen haben doch in
der neueren Entwicklungslehre (Simpson, Heberer) ein ernstes
Wort mitzusprechen. Der Verfasser läßt die Evolution zwar
gelten — mit Ausnahme der beiden großen „Interventionen",
ja „Irruptionen" Gottes, der Entstehung der ersten Menschen
und der Inkarnation Christi -, aber die biologischen Fragen sind
weniger sein Gebiet. Um so mehr ist er in den physikalischen
orientiert, bis in die neueste Wendung Louis de Broglies' mit
seiner Rückkehr zum Determinismus. Im ersten Teil werden in
kurzen, straffen, treffenden Linien die Wesenszüge der modernen

Wesen ist Ausgang vom Experiment, Entdeckung der
Naturgesetze, Abstrahierung, Messung, also quantitativer Charakter
. Das ist alles richtig, ausgezeichnet die Schilderung, wie das
Naturgesetz erst in dem denkenden Geiste des Menschen gefunden
wird und durch Abstraktion entsteht. Z.B. die Fallgesetze
Galileis und Newtons. Das Denken geht zwar aus von
der Beobachtung, aber es sieht ein ideales Gesetz, das mit den
Wirklichkeiten gar nicht übereinstimmt. Denn hätte Galilei die
Fallzeit jedes fallenden Körpers wirklich messen können, kein
einziger Fall wäre genau gleich erfolgt, jeder noch von Luftbewegungen
und Luftwiderstand, Mondanziehung und andern
unmeßbaren Kräften irgendwie beeinflußt, von der Gesetznorm
abgeändert. Kein Blatt am Ahorn gleicht dem anderen, keines
hat die ideale Form. Im ganzen Weltall gibt es keine vollkommene
Kugel, so wie sie vor dem Auge des Mathematikers
steht, und kein Mathematiker würde irgendwo das vollkommene
rechtwinkelige Dreieck finden, für das er den Pythagorassatz
aufstellt. Die Natur arbeitet immer unpräzis, und die ideale
Form, der alle Dinge zustreben, die in ihnen liegt, ergibt sich nur
aus der unendlichen Vielzahl der Fälle (nach der statistischen
Wahrscheinlichkeit), letzten Endes erst im abstrahierenden Denken
des menschlichen Geistes. Das alles entwickelt der Verfasser
richtig und stellt dabei auch richtig den Satz auf, daß es doch die
reelle Wirklichkeit ist, eine reale Welt hinter den gedachten
Dingen und Gesetzen, nicht eine unwirklich rein erdachte, wie
der Sensualismus der Philosophen und Nominalismus des ausgehenden
Mittelalters und der Machsche Positivismus annimmt.
Hier würde Planck zustimmen, der immer an die Realität der
Welt glaubte: „Die Naturgesetze 6tammen nicht aus dem armen
Gehirn des Menschen, sie haben immer bestanden, ehe das Leben
auf Erden erschien, und sie werden noch bestehen, wenn der
letzte Physiker verschwunden ist" (Planck). So gibt es zuletzt
keine Diskrepanz zwischen Wissenschaft und Philosophie. Sie
arbeiten nur mit verschiedenen Methoden und sind koordinierte
Domainen. Es wird hier das Wort de Broglies zitiert: „Um von
der science zur philosophie überzugehen, braucht man nur die
Register zu wechseln."

Anders steht es aber mit der Frage, ob das aristotelisch-
thomi6tische System mit der neuen Physik so einfach konfrontiert
werden kann, wie der Verfasser meint. Es ist doch ein Erzeugnis
des Mittelalters, in welchem wichtige neue Gesetze der
Physik noch nicht bekannt waren. Es ist auch ein zu statisches
System, beruht also in einer Aufeinanderfolge bestimmter und
zu bestimmender einzelner Orts- und Raumzustände jedes einzelnen
Teilchens („Fixismus"). Der Verfasser wehrt sich zwar
S. 97 f. gegen diesen Einwand und führt dagegen an, daß das
System von einer Finalität redet, d. h. vom Streben nach einem
Endzustand und nach Endformen, also doch bewegt sei. Aber d3«
ist kein Gegenbeweis, denn Finalität kann ebenso in einer ununterbrochenen
, also klassisch kontinuierlichen Reihe wie in einer
quantenhaft springenden, also modern physikalischen Reihe erreicht
werden, bedeutet also eine andere Kategorie. Ich glaube
auch nicht, daß moderne Physiker, wie z. B. Einstein, dem Gedanken
der Finalität zugeneigt gewesen wären. Die neue Physik
ist nicht mehr statisch, sondern dynamisch. Sie zieht den Fakto/
Zeit in Rechnung, schon seit Alfred Lorentz und viel mehr noch
seit der Entdeckung der neuen Gesetze. Ich möchte hier betonen,
daß mit Planck, Heisenberg und Einstein neue Naturgesetze
eingetreten, bzw. durch sie entdeckt worden sind i
durch Planck das Quantengesetz, wonach die Natur "pL
sprunglos kontinuierlichem Fluß arbeitet, wie die_kla««is*c >"

Heisenberg das

sik annahm, sondern in abgesetzten (diskreten) Quanten,

ix i . i . -^orti die etzten

Unbcstimmtheitsgesetz. wonaen u'^
nektron usw.) nach Ort und BcwegungsgrolV
(Impuls) niemals zugleich genau festgestellt werden können und
daß diese Unbestimmtheit nicht nur eine Erkcnntnisunvollkom-
menheit ist, wie der Verfasser nach S. 120 auch
scheint, sondern eine wirkliche Unbestimmtheit des Verhaltens
ist; durch E i n s t e i n das Relativitätsgesetz, wonach alle Raum
und Zeitbestimmungen und -Vorstellungen abhangig sind von«
jeweiligen Bewegungszustand des Beobachters oder des beweg en
Objekts, seiner Geschwindigkeit, zuletzt von der bchtgeschw.n

; " y- 3_Min VAnnt-t* hierzu 111

Physik nach Wesen, Geltung und Grenzen aufgezeichnet. Ihr | digkeit als einer absoluten Endgröße. Man konnte hierzu