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Ausgabe:

1959 Nr. 1

Spalte:

48-50

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Toynbee, Arnold J.

Titel/Untertitel:

Christianity among the religions of the world 1959

Rezensent:

Lanczkowski, Günter

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 1

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werden kann, ohne daß der Forschende selbst in Indien geweilt
hat.

In einer weitgreifenden Einführung gibt Verf. einen „Historischen
Rückblick auf die frühe Begegnung von Hinduismus und
Christentum", von den Thomaschristen bis zur Zeit um 1800.
(Das Thema hat es aber mit dem modernen Hinduismus zu tun:
wie stehen diese beiden Dinge zueinander, jene alte Geschichte
und der ihr erst folgende moderne Hinduismus?) Darauf folgt
eine „Kurze Charakteristik" von Christentum und Hinduismus;
dort in der Dreiheit: Christus, nach den Evangelien — Paulus und
die Ausweitung des christlichen Glaubens zur Weltreligion — die
Theologisierung und Dogmatisierung der Lehre; hier in der vierfachen
Ordnung: Sanatana Dharma — Theonomismus — die the-
istischen Systeme — der Stufenweg zu Gott.

In der anschließenden Hauptuntersuchung (S. 28—167) begegnen
wir zunächst einem historischen Überblick über die wichtigsten
Reformbewegungen (Brahmo-Samaj, Arya-Samaj, Theos.
Gesellschaft, Ramakrishna-Bewegung) sowie einzelnen Persönlichkeiten
wie Gandhi, Tagore, Radhakrishnan. Diese treten vor
den Leser zunächst in ihrer eigenen Denkungsart, dann in ihrem
Verhalten zum Christentum. Dem historischen Überblick folgt
ein systematischer Teil (S. 140—167): Phasen der Auseinandersetzung
des Hinduismus mit dem Christentum; vergleichende
Gegenüberstellung grundlegender Begriffe aus Hinduismus und
Christentum (mit drei Seiten wahrlich viel zu kurz); die Stellungnahme
der Hindus zum Christentum unter dem Gesichtspunkt der
Religionsvergleichung (von der Ablehnung durch die Orthodoxie
bis hin zu Äußerungen der Synthese durch Ram Mohun Roy,
Keshub Chandra Sen usw. bis Vivekananda).

Diese Schrift richtet unsere Aufmerksamkeit auf einen Bereich
geistiger Wirklichkeit, der in der wissenschaftlichen Arbeit
(in der philos. wie in der theol. Fakultät) vernachlässigt worden
ist.

Wer sich von der Aufgabe wie ihrer Bearbeitung angesprochen
fühlt, wird mit der Verfasserin nun aber überlegen, ob sich
aus ihrem eigenen Ansatzpunkt nicht noch mehr gewinnen ließe.
Im Literaturverzeichnis fällt auf, daß wohl die nicht-theol., daß
auch kath. Zeitschriften herangezogen wurden, nicht aber die
entsprechenden evangelischen wie „Missions-Magazin" und „Ev.
Missions-Zeitschrift". Aus Indien wurde reichlich hinduistische
Zeitschriftenliteratur benutzt und sehr ausführlich angegeben,
nicht aber die manchen Beitrag zur Frage enthaltenden christlichen
(ev.) Zeitschriften, als deren hervorragendste nur die seit 1952 erscheinende
Vierteljahreszeitsdirift „The Indian Journal of Theo-
logy", Serampore, hier genannt sei.

Die Aufgabe erscheint als zu weit gespannt: „Christus und
Christentum" — das übersteigt einfach die Kräfte einer solchen
Arbeit (zumal sie noch aus einer bestimmten Sicht heraus eine
Entwicklung des Christentums bietet, bei der die theol. Forschung
der letzten Jahrzehnte überhaupt nicht in den Blick genommen
zu sein scheint, oder — ist diese religionswissenschaftlich unerheblich
?). Verf. hätte 6ich auf die Gestalt Christi beschränken sollen
. Damit hätte sie nach dem treffenden Wort des Sadhu Sundar
Singh „Christianity is Christ" (frei übersetzt: „im Christentum
geht es um Christus") dennoch auch das Christentum mit hereinziehen
können. Vor allem aber hätte sie eine wegbereitend?
Studie benutzen können, deren Intuitionen weitergeführt werden
sollten: der leider zu früh verstorbene Basler Missionsdirektor
und spätere Stuttgarter Prälat Dr. Karl Hartenstein hat in seiner
Tübinger Dissertation, die er als Missionsdirektor 1933 vorlegte
und im Furche-Verlag veröffentlichte (Furche-Studien, Band 7:
„Die Mission als theologisches Problem", 1933), als 5. Kapitel
S. 91—117 „Das Christusbild Indiens" gezeichnet: das ästhetische,
das ethische, das religiöse Christusbild. Der Verfasserin scheint
dieses Buch entgangen zu sein. In dieser Richtung ließe sidi
fruchtbar weiterarbeiten.

Doch verlassen wir nunmehr den Ansatz der Arbeit und bedenken
wir, wie sich dieser Fragenkreis durch jemanden bearbeiten
ließe, der 6elber jahrelang in Indien geweilt hat/ Wer nämlich
selbst nicht bloßer Zuschauer religionswissenschaftlidicr Objektivität
gewesen (gibt es die überhaupt?), wer vielmehr selbst am
Ringen um Menschenseelen und den Gehalt ihrer Religion teilgenommen
hat, der ist vielleicht tiefer eingedrungen in das Innere
als ein Zuschauer, wie aufmerksam dieser auch sich bemüht haben
mag. Der wird aber auch die Einzelschriften ernst nehmen,
die so aufschlußreich sind für einzelne Landschaften, Kasten oder
Persönlichkeiten wie etwa Swami Paramanan das Buch „Christ and
Oriental Ideals" (1923) oder — um nur eine der mancherlei Kleinschriften
zu nennen, die aber in der armen Bevölkerung Indiens
von größerem Gewicht sind als Broschüren bei uns — J. C. Kuma-
rappas Schrift „The Religion of Jesus" (The Hindusthan Publishing
Co., Rajamundry 1937). Vor allem wäre auch zu untersuchen
, was Stanley Jones' drei Indien-Bücher zur Aufgabe beitragen
können. Verfasserin nennt im Literaturverzeichnis nur das
eine Buch und das noch in deutscher Übersetzung (der ganze Reiz
der Jones'schen Werke entfaltet sich jedoch in ihrem englischen
Text); wir müssen die anderen beiden, vor allem das in Deutschland
unbekannt gebliebene letzte Indienbuch „Along the Indian
Road" (frei übersetzt: „Noch einmal auf der Indischen Landstraße
", 1939) heranziehen, nicht zuletzt um zu erforschen, was
der merkwürdige Ausdruck „Christ-like" (nur schlecht als Jesusmäßig
' zu übersetzen) im indischen Geistesleben meint: es ist ein
Grundwort ethischer Beurteilung geworden, jedenfalls bis zum
letzten Krieg gewesen.

Doch gehen wir noch einen Sdiritt weiter, um die religionswissenschaftliche
Forschung auch hier zur Hilfe aufzurufen: es
wäre zu untersuchen (und wäre auch religionspsychologisch von
Reiz und Wert), wie im Denken und Fühlen indischer Christen
das Hindu-Erbe nachwirkt. Hier wäre an einer langen
Reihe bedeutsamer indischer Christen, die sidi auch literarisch
ausgesprochen haben, neue Einsicht zu gewinnen (von Sadhu Sundar
Singh bis zu Bischof Appasamy, zu Chakkarai, Chenchiah und
anderen). Der indische Spiritualismus bringt viele dazu, bei deutlichem
Ja zu Christus doch westlidies „Christianity" und vofallem
„Churchianity" abzulehnen. Wandermönche, Ashrams und manches
andere hat sich im indischen Christentum durchgesetzt, was
ursprünglich hinduistisches Erbe war, nun aber in christlichen
Dienst genommen worden ist.

Damit ist Aufgabe und Grenze der vorliegenden Untersuchung
weit überschritten. Es ist aber auch deutlich geworden,
wie fruchtbar die eingeschlagene Richtung der Arbeit werden
kann, wenn sie weiterhin verfolgt wird.

Künzelsau FrisoMelzer

Tcimnbec, Arnold: Christianity among the Rcligions of the World.

ylordon: Oxford University Press 1958. XII, 116 S. 8°. 8 s. 6 d.

Seinem 1956 erschienenen Werk „An Historian's Approach
to Religion" (vgl. die Besprechung in ThLZ 1958, Sp. 427-429)
hat Toynbee eine zweite religionswissenschaftliche Arbeit folgen
lassen, die aus Vorlesungen an theologischen Instituten der amerikanischen
Hewett Foundation hervorgegangen ist. Toynbee
nimmt in ihr die in dem umfangreicheren Werk entwickelten Gedanken
erneut auf. Auch von der Zielsetzung seines „Approach
to Religion" unterscheidet sich das vorliegende Buch nicht. Es
geht dem Verfasser noch einmal darum, das Christentum ebenso
wie die übrigen von ihm als „higher religions" bezeichneten Erscheinungen
der Religionsgeschidite, also die aus jüdischem Erbe
und die auf dem Boden Indiens entstandenen Weltreligioncn,
einer für den religiösen Menschen höchst bedenklichen und angesichts
der technischen Perfektion unserer Zeit in globalem Sinne
lebensgefährlichen Erscheinung zu konfrontieren, dem „totali-
tarisme" nämlich, die er als Ausdruck einer von ihm ebenfalls
als „Religion" bezeichneten geistigen Erscheinung anspricht,
die unter historischem Gesichtspunkt alt und in inhaltlicher Hinsicht
schlecht sei: „our worship of ourselves in the plural in the
shape of collective human power" (S. VII). Der Gegensatz von
„man's self-centered worship of himself" zu dem Gedanken der
höheren Religionen, „that man is not the highest Spiritual pre-
sence in the universe", durchzieht das ganze Buch und gewinnt
hier in seiner gegenüber dem früheren Werk knapperen Fassung
den Charakter eines eindringlichen Appells, dessen sittlicher
Ernst durch den mit mehrmaligem Bezug auf Matth. 7, 3 vorgetragenen
Aufruf zu einer Humilitas unterstrichen wird, die