Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

692-693

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Ikonen 1959

Rezensent:

Onasch, Konrad

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

691

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

692

unter den vielfältigen Meinungen bildet die Ansicht Georg
Dehios, der 1911 in seinem Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler
(S. 106) die Vorhalle „rein architektonisch ein nüchternes
Machwerk" nennt und im zweiten Bande seiner „Geschichte
der deutschen Kunst" (1921), S. 87, einen einheitlichen
Sinn und eine Gedankentiefe der Freiburger Vorhallenfiguren bestreitet
. Unter Heranziehung und kritischer Betrachtung aller
einschlägigen Literatur befaßt sich Gustav Münze! erneut mit dem
Freiburger Zyklus, wobei er sich zum Ziele setzt, „das zu begreifen
, was zu begreifen ist" (S. 27). Der Verf. hat 6ich schon allein
damit ein Verdienst erworben, daß er die Vielfalt der Ansichten
über die Bedeutung der einzelnen Figuren herausstellt und systematisch
ordnet. In sorgfältiger Einzeluntereuchung zeigt er die
Schwierigkeiten auf, die sich bei der Deutung einiger Figuren
und Figurengruppen ergeben haben, und kommt schließlich zu dem
Ergebnis, daß die Argumente gegen die Einheitlichkeit der Gedanken
dieses Zyklus nicht stichhaltig sind. Nach einer eingehenden
kritischen Betrachtung der Daten der Vorhalle und nach Prüfung
der Grundlagen des Aufbaus wendet sich M. der Kritik der
Auffassungen über den Sinn und die künstlerische Durchführung
der Vorhalle zu. Nach grundsätzlichen Bemerkungen zur mittelalterlichen
Symbolik im allgemeinen geht er auf das Verhältnis
ein, in dem die Figuren der Ecclesia und der Maria in der mittelalterlichen
Kunst zueinander stehen. Er legt an diesem Beispiel
überzeugend dar, daß die Werke der bildenden Kunst stets auf
den Vorstellungen ihrer Entstehungszeit beruhen und daß sich
die Vorstellungen des Mittelalters von der Bedeutung ein und
derselben Figur häufig nicht mehr mit den unsrigen decken. So
tritt Maria einerseits als die Gottesmutter, also als historische
Person, in Erscheinung, andererseits aber auch als Verkörperung
der Ecclesia, die ihrerseits als Braut (Sponsa) Christi verstanden
wurde. M. weist ferner darauf hin, daß ein Hauptprinzip der
mittelalterlichen Kunst die Parallelisierung in der Darstellung ist
und daß dieser Parallelismus sehr oft antithetischen Charakter
hat. Das Prinzip des Gegensatzes tritt uns dort, wo es angewendet
wird, gelegentlich in antithetischem Ablauf entgegen, so daß
sich also in einem Gegenlauf das Entgegengesetzte gegenübersteht.
Wenn M. aber von einem „durchgehenden Gegensatz von Altem
und Neuem Testament" spricht, der der mittelalterlichen Kunst
zugrunde liege (S. 68 f.), dann ist dies nur mit Einschränkungen
entgegenzunehmen. Ein solcher Gegensatz tritt in der mittelalterlichen
Kunst zweifelsohne verschiedentlich in Erscheinung,
ist aber nicht in jedem Parallelismus zwischen Altem und Neuem
Testament gegeben. Oftmals wurde in der typologischen Kunst
des Mittelalters der alttestamentliche Typus auch als ein Vorbild
und als ein Hinweis auf die neutestamentliche Heilstatsache
(Antitypus) verstanden. Das ist auch M. bekannt; er hat von
dieser Deutungsmöglichkeit in seinen Ausführungen verschiedentlich
Gebrauch gemacht.

Nach diesen grundsätzlichen Erwägungen geht der Verf. auf die
vier sitzenden Baldachinfiguren am Turm ein, die er als „Uberleitungsfiguren
" bezeichnet. Er kommt dabei zu der bemerkenswerten Erkenntnis
, daß diese Figuren nicht allegorisch-symbolisch zu deuten sind, etwa
als die vier Kardinaltugenden oder als eine Versinnbildlichung der
vier vorchristlichen Weltreiche. Sie müßten, so schreibt er (S. 8 5 ff.),
vielmehr historisch-genealogisch erklärt werden, und zwar als Grafen,
die mit dem Turmbau in Verbindung stehen. Es mag den Ausführungen
des Verfassers hinzugefügt werden, daß der Turm des Kirchengebäudes
in der mittelalterlichen Symbolik unter anderm auch als Sinnbild der
weltlichen Obrigkeit im System der Zweigewaltenlehre in Erscheinung
tritt (vgl. A. Weckwerth: „Das altchristliche und das frühmittelalterliche
Kirchengebäude — ein Bild des „Gottesreiches", in: Zeitschrift für
Kirchengeschichte, 1958, S. 26—76). Es ist darum verständlich, daß die
Vertreter der weltlichen Obrigkeit, die zum Kirch- bzw. Turmbau wesentlich
beigetragen haben oder die als Schutzherren dieser Kirche fungierten
, durch Anbringung ihrer Figuren gerade am Turm geehrt
wurden.

Der übrige Skulpturenschmuck der Vorhalle des Freiburger Münsters
hat durchaus lehrhaften Charakter. Dem Sündenpaar werden als
Gegensatz die Figuren zweier weiblicher Heiligen gegenübergestellt als
Vertreterinnen eines vollkommenen christlichen Lebens. Über die Bedeutung
der Arkadenfiguren auf der Nordseite der Vorhalle besteht
in der Literatur keine Einigkeit. Nach Prüfung aller aufgestellten Theorien
kommt M. zu dem Ergebnis, daß es sich wahrscheinlich um Aaron
(bzw. Melchisedek), die Königin von Saba, Johannes den Täufer, Abraham
mit Isaak und Maria Magdalena handelt, hier unter dem Leitgedanken
des Opferns zusammengeordnet. Es folgen die fünf klugen
Jungfrauen, denen auf der Südseite der Vorhalle die fünf törichten
gegenübergestellt sind. Die Christusfigur, die künstlerisch zu den unbedeutendsten
Arbeiten des Zyklus gehört, schließt sich an die Reihe
der klugen Jungfrauen an — als deren „Sponsus". Schwierigkeiten bereitet
auch die Deutung einiger Figuren in der Zahl der Personifikationen
der sieben freien Künste. Der Verfasser gibt hier, gestützt auf umfassende
Kenntnisse auf dem Gebiete der mittelalterlichen Gcistcswelt
und Ikonographie, eine durchaus einleuchtende Erklärung. Das Portal
zeigt im Gewände drei Marienszenen (Verkündigung, Heimsuchung und
Anbetung der Könige) und dazu das Gegensatzpaar Ecclesia und Synagoge
. Am Türpfosten des Hauptportals ist eine Madonna mit Kind angebracht
. Von der Hand derselben Bildhauerwerkstatt stammt außerhalb
der Vorhalle die Marienkrönung am Turm über dem Eingangsportal.
Am Turm befinden sich weiterhin als Werke dieser Werkstatt an den
nördlichen und südlichen Strebepfeilern die Figuren der Heiligen Oswald,
Lucius, Georg und Sebastian. Der Heilige Sebastian ist als Ritter dargestellt
. Es sind Sinnbilder des Königtums und Rittertums, zugleidi des
Schutzes, den diese Institutionen der Kirche gewähren. Die Gewändefiguren
am Hauptportal stehen auf Säulen, über deren Kapitellen
Zwischenstücke mit Reliefdarstellungen als Figurenpostamente eingefügt
sind. Diese Reliefs, „nach Erfindung und Ausführung ausgezeichnete
architektonisch-dekorative Bildungen", zeigen das Martyrium de«
Apostels Petrus, das Martyrium des Evangelisten Johannes, die Darstellung
des Apostels Thomas, der dem Herrn seine Hand in die
Seitenwunde legt, und die Darstellungen anderer Apostel, das Martyrium
Johannes des Täufers, das Martyrium des Apostels Bartholomäus,
eine Darstellung der Andreaslegende, eine Darstellung des Erzengels
Gabriel, die Wurzel Jesse auf dem Sockel unter der Pfeilermadonna. Das
Bogenfeld über dem Portal bietet in mehreren Bildzonen eine Darstellung
des Jüngsten Gerichts, der einige Szenen aus der Jugendgeschichte
Jesu sowie aus der Passion eingefügt sind. Die Kreuzigung ist aus den
Passionsgeschichten des untersten Bildstreifens herausgenommen und
mitten in die Gerichtsdarstellung hineinkomponiert, so daß das Kreuz
die Seligen von den Verdammten scheidet, eine Darstellung, der ein
tiefer theologischer Sinn zugrunde liegt. In den Hohlkehlen der Archi-
volten sind Patriarchen, Könige und Propheten als fest geschlossene
Ordnungen eingefügt, die, wie M. nachweist, „zusammen mit den
Scheitelfiguren der Archivolten in dem umfassenden Gedankenbau des
ganzen Skulpturenzyklus eine wichtige, grundlegende Stellung einnehmen
. Sie sind nicht bloß eine ergänzende Zugabe, sondern in ihrer
Geschlossenheit ein integrierender Bestandteil des Ganzen" (S. 263 f.).
In der innersten Hohlkehle befinden sich zwölf Engelsfiguren, die in
diesem Zusammenhang der Verherrlichung Christi im Gerichte dienen.

So kommt der Verfasser zu dem abschließenden Ergebnis,
daß der Sinn des Vorhallenzyklus des Freiburger Münsters nichts
anderes ist als eine Darstellung der gesamten Heilsgeschichte und
und des Heilsplancs der Kirche: „Es ist also nicht angezeigt, vor»
der allgemeinen Erklärung des Gedankengehaltes der Vorhalle
abzugehen" (S. 291).

M. schließt seine Untersuchung mit einer eingehenden
Würdigung der künstlerischen Qualität des Vorhallenzyklus
und gibt eine Übersicht über deren verschiedene Beurteilung ■
der Literatur. Wenn der Verf. dann am Schluß seiner Ausführungen
erklärt, daß die Verbindung ästhetisch sinnfälliger und
gedanklicher Momente die Vorhalle zu einem der großartigsten
Denkmäler der deutschen mittelalterlichen Kunst machen, dann
können wir dem nach der Lektüre dieses vorzüglichen Buches
ohne Einschränkung zustimmen. Die Arbeit Gustav Münzcls
macht den LeseT nicht nur mit den verschiedenen Ansichten der
Kunstgeschichtsforschung über den Figurenschmuck der Vorhalle
des Freiburger Münsters vertraut, sie gewährt zugleich tie[fn
Einblick in das kirchliche Kunstschaffen und in theologische
Gedankengänge der Entstehungszeit dieses Zyklus.

Cuxhaven Alfred Weckwerth

t

Ikonen. Hrsg. von Martin W i n k 1 e r. Recklinghausen: Aurel Bongers
. Je 79 S. mit 16 färb. Taf. kl. 8°. Pp. je DM 4.80.

1. Gerhard, HP.: Muttergottes [19571.

2. Winkler, Martin: Festtage [ 19 57].

3. Fabricius, Lllrich: Jesus Christus [19571.

4. Tschizewskij, Dmitrij: Der Hl. Nikolaus i""J-

5. Biedermann, Hermenegild M.: Die Passion 958.

6. Loeschke, Walter: Apostel und Evangelisten [1958].

7. Eckardt, Thorvi: Engel und Propheten [19J9J.

Diese hübschen kleinen Bändchen wollen den Leser, ohne
gelehrte oder spezielle Kenntnisse vorauszusetzen, in die W«
der Ikonenmalerei einführen und ihn zum „be-schaulichcn