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1959 Nr. 9

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

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liehen Ereignisse haben. Aus Österreich kommende Forscher haben
bisweilen vor anderen den Vorteil voraus, daß sie nicht nur
nach dem Westen blicken, sondern auch den europäischen Osten
und Südosten beachten und wissen, in welchem Maße sich Ost
und West im geschichtlichen Leben durchdringen. Der Verf.
unserer Darstellung zeigt, daß er die geistigen und künstlerischen
Kräfte dieses Zeitalters abzuschätzen weiß und politisches und
kulturelles Geschehen zusammenzuschauen vermag. Er hält sich
freilich stärker an das Abendland; der Moskauer Staat wird nur
gelegentlich erwähnt. Von den politischen Ideen der Zeit, der
Weltmonarchie Karls V. und von Moskau — dem dritten Rom ist
nicht die Rede.

Es würde zu weit führen, wollten wir den Weg durch
die einzelnen europäischen Länder in den Epochen verfolgen.
Unserer Aufgabe entsprechend beschränken wir uns auf einen
Hauptteil de6 Werkes, nämlich die Reformation. Dabei müssen
wir gleich die Feststellung machen, daß man einem Historiker,
der auf seinem Gebiet Treffliches zu leisten vermag, nicht alles
abverlangen kann. Wo die Beziehungen zur Reformation fehlen,
da kann bei allem Bemühen, sachlich und gerecht zu sein, das
Entscheidende nicht getroffen werden. Trotz der Berufung auf
J. Lortz fehlt diesem Teil der Darstellung Wesentliches. Luther
und seine Welt sind dem Verf. fremd. Das zeigt die Behauptung,
daß ihm das Gesetz durchs Naturrecht ins Herz geschrieben war
(245). Wie Luthers Anschauungen, so wird auch 6ein Wirken einseitig
beurteilt. Dahin gehört die alte Auffassung, daß Luther
durch die „antirömische Flut hochgetragen" wäre und daher
Cajetans Forderungen hätte ablehnen können (214). An Einzelheiten
wäre manches zu berichtigen: der Gedanke, der Papst
könnte der Antichrist sein, kommt Luther nicht erst 1520, sondern
schon im Dezember 1518. Die Summa des Thomas hat Luther
tatsächlich nicht verbrannt (215. 250). Eine Fülle von Daten ist
zu verbessern: Luther kommt nach Erfurt nicht 1500, sondern
April 1501, von der Wartburg kehrt er nicht 1523, sondern im
März 1522 zurück. Unrichtig sind die Daten der Deutschen Messe
(25 3), des Syngramma Suevicum (260), unrichtig ist das Geburtsjahr
Melanchthons angegeben (262). Keineswegs ist es Luther,
der Melanchthon nach Wittenberg holt, vielmehr wird er gegen
Luthers Willen dorthin berufen. Und so geht es weiter! Immer
wieder muß man korrigieren: Die Confessio Augustana verliest
in Augsburg nicht der Kanzler Brück, sondern der Vizekanzler
Christian Beyer (267); nicht die Unterzeichner der CA verlassen
vorzeitig aus Furcht den Reichstag, sondern allein Philipp von
Hessen (269). Daß der Wiener Bischof Faber mit dem Jesuiten
Fabri verwechselt wird und er und sein Nachfolger Nausea in
Worms 1540 als Jesuiten erscheinen (285), ist ein weiterer
Schönheitsfehler.

Auch was vom Regensburger Religionsgespräch von 1541
berichtet wird, ist keineswegs immer stichhaltig. Auf S. 286 ist
zu lesen, Calvin habe dort die geflüchteten französischen Protestanten
vertreten — die Franzosen hatten auf einem deutschen
Reichstag nichts zu suchen — Calvin war in Regensburg amtlicher
Vertreter der Reichsstadt Straßburg. Auf derselben Seite ist zu
lesen, daß die vom Kardinal Contarini nach Rom geschickte Formel
über die Rechtfertigung ihm selbst annehmbar erschien. In
Wirklichkeit ist die nicht ohne viel Mühe zustande gebrachte
Einigung über die Rechtfertigungslehre von ihm inspiriert und
im offiziellen Religionsgcspräch beschlossen. Auch was über
Butzer und Gropper in diesem Zusammenhang gesagt wird, kann
nicht als richtig gelten.

Der Aufriß des Werkes ist gut und die Durchführung stellenweise
auch. Aber leider hat der Verfasser zu schnell gearbeitet
und sein Manuskript vor der Drucklegung nicht noch einmal auf
alle Einzelheiten hin überprüft. Seine große Arbeit ist durch die
zahlreichen Fehler entwertet. Unwillkürlich wird jeder Leser, der
auf eine Reihe primitiver Fehler stößt, mißtrauisch dem ganzen
Werk gegenüber. Der Verf. hat eine Möglichkeit gehabt, die
einem Historiker nicht oft geboten wird. Es ist sehr schade, daß
diese Möglichkeit nicht besser genutzt worden ist.

Münster/Westf. Robert Stu ppc rieh

B e n o i t, Jean-Daniel: L'annee 1 5 59 dans les annales calviniennes.

Revue d'Histoire et de Philosophie Religieuses 39, 1959 S. 103—116.
Mo eller, Bernd: Die deutschen Humanisten und die Anfänge der

Reformation.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXX, 1959 S. 46-61.
M o 1 n ä r, Amadeo: Thomas Müntzer und Böhmen.

Communio Viatorum — Theological Quarterly 1958 S. 242—245.
Neu mann, Gerhard J.: „Rechtfertigung" und „Person Christi" als

dogmatische Glaubensfragen bei den Täufern der Reformation6zeit.

Zeitschrift für Kirchengeschichte LXX, 1959 S. 62—74.
W a d e w i t z, Werner K.: Controversias Doutrinärias na Förmula

Concördia.

Igreja Luterana XX, 1959 S. 18—29.

KIRCHEN GESCHICHTE: NEUZEIT

Smith, Timothy L: Revivalism and Social Reform in Mid-Ninetcenth-
Century America. Chapters I-Xl and XIV Comprise The Frank S. and
Elizabeth D. Brcwer Prize Essay for 1955. New York / Nashville:
Abingdon Press [1957]. 253 S. gr. 8° = The American Society of
Church History. $ 4.—.

Erweckungsbewegungen, wie sie in einer Reihe von Wellen
die Vereinigten Staaten im Laufe der Jahrhunderte überfluten,
können in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. Um 60
schwerer ist es, präzis zu erfassen, was sie Bleibendes gewirkt
haben, inwiefern sie dazu beigetragen haben, den „Volksgeist"
der Vereinigten Staaten zu schaffen und als eine Einheit durch
den Wechsel der Zeiten zu erhalten. Smith versucht diese wichtige
Frage zu beantworten, wenn auch sein Buch in der Hauptsache
auf einen engen Zeitraum beschränkt ist, die Jahre 1840
bis 1 8 5 8, allerdings die entscheidenden Jahre vor dem Ausbruch
des Bürgerkrieges und die der ersten Plänkeleien der „Moderne".

Die Ausdeutung dessen, was damals geschah, ist viel umstritten
. S. hat den Versuch gemacht, aus bisher sehr vernachlässigten
Quellen zu schöpfen, besonders aus einer solchen, die
bei Beurteilung sozialer Frag-en vornehmlich vernommen werden
sollte: dem „Mann aus dem Volke". Will man wissen, was er
fühlt, so „muß man tiefer graben als in die pompösen Vierteljahreszeitschriften
, die nur für die Pfarrerschaft geschrieben waren
" und „muß sich in dem Lesestoff der Gemeindegliedcr umsehen
", erklärt S. und fügt hinzu: „Die Massen religiöser und
biographischer Traktat- und Missionslitcratur jener Zeit bietenein
fast noch gar nicht ausgenütztes Material. Diese Berichte zeigen
, wie sich die Individuen zu den großen Geschehnissen stellten
und dieselben im Lichte der kirchlichen Lehrweisungen auffaßten
".

Indem S. nun seine Ergebnisse mit den landläufigen Darstellungen
verglich, verwandelten sich ihm Einzelheiten des Materials
sozusagen unter den Händen. Er fand, daß die Erweckungs-
predigt sich keineswegs auf das beschränkte, was man nun einmal
mit diesem Begriff zu bezeichnen gewohnt war, sondern UM
großem Nachdruck viel weiter gehende Ziele im Auge hatte: D'e
„Bekehrung" durch Erlösung der Einzelseele und ihre Selbstheiligung
; man suchte die Krönung aller Erweckung in politischen-
sozialen Elementen, kurz, in Tendenzen, die das Weltlich-
Humanitäre pflegen. Wieder und wieder wurde die Frage dabei
lebendig, ob die Bewegung recht eigentlich eine religiöse war
oder ob nicht andere Momente bedeutsamer geworden waren-
Verfasser sah sich daher vor die Aufgabe gestellt, die verschie-
denen religiösen und ethischen Bestrebungen darzustellen, deneit
somit ein beträchtlicher Teil de6 Buches gewidmet ist. Hierbei
wurden die Charaktere der tragenden Persönlichkeiten etwas kurz
gehalten, wie denn auch die zwischen den Bewegungen stehenden
oder in Aktion tretenden Beziehungen sich mit knappe»
Skizzicrungen begnügen mußten. Das mag bedauerlich erscheinen,
zumal hinsichtlich der für die Folgezeit wesentlichen Erscheinungen
. Jedoch gelingt es dem Verfasser, manche alten Vorurteile
zu beseitigen und neue Betrachtungsweisen zu empfehlen, die W
der Tat neues Licht auf das Problem werfen.

Wurde z.B. noch während des 19. Jhdts. oft die Ansicht
verfochten, der Nährboden der Erweckungsbewegungen sei ga"z
überwiegend engherzige Frömmelei, so zeigt Verf. leicht, daß die
Tatsachen eine deutliche Sprache dagegen reden. Wann imme