Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

686-687

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Rössler, Hellmuth

Titel/Untertitel:

Europa im Zeitalter von Renaissance, Reformation und Gegenreformation 1450 - 1650 1959

Rezensent:

Stupperich, Robert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

685

Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

686

liegt auf der Hand. Wenn auch jede Auslese vom Autor individuell
abhängt, so vermißt man doch aber z. B. von den gToßen
Schriften des Jahres 1520 einen Auszug aus dem entscheidenden
„De captivitate Babylonica" oder auch „Von den guten Werken
". Ebensowenig ist aus dieser Bilderbiographie z.B. der große
Einschnitt ersichtlich, den das Jahr 1525 für die Reformation und
damit für den Reformator mit sich brachte.

In dem Bestreben, das originale Lutherdeutsch an die gegenwärtige
Schriftsprache anzugleichen, wird manchmal wohl etwas
zu weit gegangen. Die ganze ursprüngliche Ausdruckskraft Luthers
z.B. in „Von weltlicher Obrigkeit" (S. 71 f., Anm. 131)
oder in der „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel. . •"
(S. 78, Anm. 140) geht in der vorliegenden Form verloren. Das
Buch hätte gewonnen, wenn wenigstens ab und zu ein dargebotenes
Stück im alten Lutherdeutsch erschienen wäre, ist doch dieses
Deutsch auch heute noch ohne weiteres verständlich.

Da für die Darstellung des Lebens der kalendarische Ablauf
gewählt wurde, wird die Kontinuität der Ereignisse durch
kurze Hinweise auf die notwendigen historischen Daten sowie
durch 33 in den Text eingestreute kleinere Bilder hergestellt.
Doch wäre weniger hier mehr gewesen. So kann der Leser z. B.
die Geburtsdaten von Hans Sachs oder Hans Holbein d. J. entbehren
. Dies trifft jedoch nur für den ersten Teil des Buches zu.
Im späteren Verlauf hat Th. aus diesen sich nun häufenden historischen
Daten eine sehr geschickte Auswahl getroffen, so daß
der Laie und Kunstfreund — für diese ist das Buch in erster Linie
bestimmt — von der Fülle der Daten nicht erschlagen wird. Trotzdem
hat der Leser nach der aufmerksamen Lektüre des Buches
eine gute Übersicht über das Leben Martin Luthers. 200 Anmerkungen
im Anhang geben den Nachweis für die zitierten Quellen.

Diese so erworbene Kenntnis wird verstärkt durch den in
sich abgeschlossenen Bilderteil mit 70 ganzseitigen Tafeln. Er ist
ebenfalls chronologisch geordnet. Wenn schon eine Kombinierung
des Textteiles mit den Bildern nicht möglich gewesen sein
mag, so wäre doch bei den Bildern eine sachliche Anordnung vom
Vorteil gewesen. Um des chronologischen Prinzips muß der Betrachter
z. B. von Wittenberg dem Autor nach Rom und wieder
nach Wittenberg folgen. Freunde und Gegner Luthers wechseln
mit Darstellungen des Reformators oder bekannter Orte aus
seinem Leben ab. Andererseits muß natürlich darauf hingewiesen
werden, daß diese bunte Darstellung sicher lebhafter und vielleicht
auch interessanter als eine streng sachliche Ordnung ist.
Kurze, gut gewählte Bildunterschriften dienen nicht nur zur Erklärung
, sondern sie führen den Betrachter auch gleich in die Biographie
der dargestellten Persönlichkeit ein.

Wenn auch die weitaus größte Anzahl der Bilder bekannt
und fast zum Allgemeingut eines an M. Luther interessierten
Menschen geworden ist, so ist doch Th. Dank zu sagen für die
Veröffentlichung einer Anzahl Bilder, die nicht ohne weiteres
zugänglich sind und die damit unbekannter waren. In seineT sorgfältigen
Auswahl der Bilddokumente zeigt sich die Erfahrung des
WittenbergeT Kunsthistorikers und Lutherforschers Thulin. Das
in seiner Ausstattung und in seinem Druck hervorragende Buch
wird «einen Weg machen. Es sei all denen empfohlen, bei denen
sich das historische Interesse mit der Freude am Bild verbindet.

Bei Stichproben unter den Anmerkungen ergaben sich kleine
Errata. Außerdem wird selten die letzte Auflage benutzt. So z. B. bei
Kohler, Dokumente zum Ablaßstrcit (2. Aufl. 1934) oder Kalkoff, Depeschen
des Nuntius Alcandcr vom Wormser Reichstag (2. erweiterte
Aufl. 1897). Ganz eklatant ist dies bei der Ausgabe der Reformations-
gesduchtc von Friedrich Mykonius, die nach Cyprian (1715) zitiert
wird und nicht nach der mit reichen Anmerkungen versehenen Ausgabe
von O. Gemen (Voigtländers Quellenbüchcr 68, Leipzig 1914). —
Entgegen den Anmerkungen wurde niemals die zweite Walch'sche
usRabc, sondern immer die erste benutzt. Dies wurde nachgeprüft für
Anmerkungen 53, 56, 60 und 64. — Anm. 103 lies: Bd. 9.
1
C

Anm.

nV^nAnm' ~ 8 steht nidlt Ka,koff' Dreschen . ... sondern Reichstags-
a«™ a.a.O., Nr. 82.

ha o nm' !09 stcnt nicnt Wittenberger Luthcrauseabe von 1569.
Bd. 9, sondern Kalkoff a.a.O. (2. Aufl. 1887) S. 179 -

BcHin IWUlrUhDeliu,

Mein hold, Peter: Luthers Sprachphilosophie. Berlin: Lutherisches
Verlagshaus 1958. 63 S. 8°. Kart. DM 5.20.

Die vorliegende Untersuchung füllt eine Lücke aus. Verf.
zeigt zunächst, wie Luthers Sprachauffassung theologischen Grund
hat (doch kann man deshalb, wie heute das Wort „Philosophie"
verstanden wird, wirklich von einer Sprach-„PhiIosophie" Luthers
reden? ist es nicht vielmehr Sprach-Theologie?). Danach grenzt
er sie gegen die Spiritualisten (Sebastian Franck) sowie gegen
die Humanisten (Erasmus) ab, zeigt ihren Zusammenhang mit der
Sprachauffassung der Kirchenväter, bringt dazu bisher kaum beachtete
Quellen herbei (angefangen von Kirchenvätern wie
Jakob von Sarug über Augustin bis zu Thomas) und führt die
lutherische Sicht in großen Zügen über Böhme bis Hamann weiter
. In den Fußnoten erscheinen auch Germanisten (Hankamer,
sowie ein Mitarbeiter von Frings). Die Untersuchung tet aus den
Quellen gearbeitet, bringt Luther und Franck im originalen
Deutsch ihrer Texte, verhält sich im wesentlichen historisch.

Bei dem Gewicht dieser Frage sollte Verf. eine weitere Arbeit
unternehmen, in der er Luthers Einsichten nunmehr in die
Gegenwart fortsetzt und in das Gespräch der heutigen Sprachbesinnung
hineinstellt. Er hat mit Recht beklagt (und sich dabei
auf des Unterzeichneten Rezension eines Werkes von Hans Arens
in der Theol. Lit. Ztg. 1956, Sp. 603 berufen), daß bedeutsame
Werke der Sprachwissenschaft Luther übergehen. Ob das aber
nicht auch daher kommt, daß die theologischen Untersuchungen
mcht bis in die nächst benachbarte Disziplin der philos. Fakultät
vordringen? Um es gleich auf eine letzte Formel zu bringen:
einer Welt-blinden Kirche entspricht eine Gott-blinde Welt. In
dieser Linie weitergedacht: solch eine Studie muß nun bi6 in die
gegenwärtige Aussprache der Sprachwissenschaft vordringen und
ihre Erkenntnisse dort vorlegen, wo Forscher und Denker um die
Sprache ringen. In der Kirche (der „Kirche des Wortes") geschieht
das noch nicht zur Genüge, da ist die Sprache noch nicht so ins
Blickfeld getreten, wie es sein sollte. Dabei würde Verf. Anregung
und Gewinn aus den bereits vorliegenden Sprachdeutungen
christlicher Sicht gewinnen können (vgl. die einschlägigen Bücher
von Ebner, Melzer, Picard, Rosenstock-Huessy; auch Buber wäre
hier zu nennen mit seiner Schrift „Ich und Du"). Vor allem genügt
nicht, mit theol. Allgemeinbegriffen wie „Heiligung der
Sprache" zu operieren, ohne genau zu sagen, was damit gemeint
sei. Darüber wäre einiges nachzulesen in des Rezensenten Darstellung
„Unsere Sprache im Lichte der Christus-Offenbarung"
fl952).

Wenn Verf. die gewünschte weitere Studie unternähme, so
müßte er im Blick auf die Spiritualisten dem Sprachverständnis
der heutigen Tiefenpsychologie von C. G. Jung und seiner Schule
nachspüren. Soweit ich sehe, hat man sich dort zur Sprach-Frage
noch nicht unmittelbar geäußert. Auch der Eranos-Kreis hat bisher
die Sprache als Hauptgegenstand einer Tagung noch nicht in
den Blick genommen. Es wäre auch von der Theologie her manche
angelegte Linie auszuziehen (vgl. die Ansätze bei Barth, Brunner,
Heim usw.) und für Seelenheilkunde sowie Erziehung und den
Unterricht in Deutsch fruchtbar zu machen.

Kiinzelsau Friso Melzer

R ö « »I e r, Hellmuth: Europa im Zeitalter der Renaissance, Reformation
und Gegenreformation 1450-1650. München: Bruckmann [1956].
XV, 719 S.. 3 Ktn. 8° = Weltgeschichte in Einzeldarstellungen Bd. IV.
Lw. DM 28.—.

Eine Weltgeschichte schreibt in unseren Tagen kein Einzelner
mehr. Auch eine Geschichte Europas an der Wende zur Neuzeit
will uns schon als ein nicht geringes Wagnis erscheinen. Das drei
Jahrhunderte umfassende Zeitalter der Renaissance, Reformation
und Gegenreformation löst bereits so viele gestaltende Kräfte
aus, daß es nicht einfach ist, alles Wesentliche in einem großen
Bilde zusammenzufassen. Eine derartige Darstellung ist an sehr
beträchtliche Voraussetzungen gebunden. Der Verfasser hat nicht
nur genaue Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung der einzelnen
europäischen Länder mitzubringen, die gerade in diesem Zeitalter
ihr Eigenleben zu entfalten beginnen, er muß außer der
politischen auch die Geistes- und Kulturgeschichte übersehen, er
muß auch Einblick in die theologischen Bestrebungen und kirch-