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Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

669-671

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vliet, Hendrik van

Titel/Untertitel:

No single testimony 1959

Rezensent:

Gerhardsson, Birger

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

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Dem historischen Abschnitt folgt eine Skizze von Land und
Leuten, Verwaltung und sozialer Struktur, Frau und Ehe. Neues
bietet sie nicht, ist aber anschaulich und reichhaltig.

Wenn man bedenkt, daß diese beiden Abschnitte nur 126
sehr weit gesetzte Druckseiten ausmachen, so ist sehr anzuerkennen
, wieviel Stoff der Verf. auf diesen knappen Raum zusammengepreßt
hat. Es folgen dann noch 85 Seiten Religionsgeschichte
nach dem Schema: was war allen Juden religiös gemeinsam, und:
was unterschied die einzelnen Gruppen. Gab es an den großen
Synagogen wirklich keine berufsmäßigen Ämter? (S. 132). Im
übrigen erfreut auch hier der Reichtum des Gebotenen: als gemeinsame
Merkmale werden Schriftgebrauch, Reinheitsvorschriften
, Vorhandensein eines jüdischen Politeuma mit eigener Gerichtsbarkeit
, Bedürfnis nach Interpretation des Gesetzes, feste
und Gebet behandelt. Von den einzelnen Gruppen sind die
Sadduzäer zu kurz und allgemein geschildert und stehen zu sehr
im Schatten der Pharisäer und Essener; die Zurückhaltung gegenüber
der späteren rabbinischen Literatur (S. 15 5) ist berechtigt.
Im Pharisäismus sieht F. „den typischen Ausdruck des Judentums
nach seiner religiösen Seite" (S. 156) und charakterisiert dessen
Gesctzesauslcgung als einen Versuch, die Erfüllung des Gesetzes
zu ermöglichen. Hier ist die Zahl der angeführten Beispiele größer
als in allen anderen Teilen des Buches, und in einer Art
pharisäischem Katechismus sind die pharisäischen Hauptlehren
übersichtlich zusammengefaßt. Als Quellen dienen, dabei in erster
Linie die alttcstamentlichcn Schriften mit Einschluß der Apokryphen
. Die eschatologischen Auffassungen stehen im Mittelpunkt
, und die verschiedenen Messiastheologien sind klar gezeichnet
. Daneben sind die das Neue Testament berührenden
Fragen nach dem größten Gebot und nach dem wahren Ethos in
ihrer jüdischen Besonderheit auch dem einfachsten Leser verständlich
gemacht. Die Auswahl der Beispiele ist gerade bei diesem
Thema glücklich. In der Gotteslehre der Rabbinen wird
manches Gute zum Begriff der Gerechtigkeit Gottes gesagt.

Da das Buch weder eigene Forschungen bringen will noch
neue Thesen aufstellt, sondern sich ganz bescheiden in dem ihm
gesteckten Rahmen hält, sind kritische Bemerkungen nicht angebracht
. Man nehme es als einen Leitfaden, der vor allem dem
Lehrer im Volks- und Bcrufschulunterricht gute Dienste tun
kann.

Speyer a. Rh. Carl Sch n ei d e r

V 1 i e t, H. van, Dr.: No Single Testimony. A Study on the Adoption
of the Law of Deut. 19:15 Par. into the New Testament. Utrecht:
Kcmink & Zoon 1958. IX, 162 S. gr. 8° = Studia theologica Rheno-
Traiectina, cd. H. W. Obbink, A. A. van Rulcr et W. C. van Unnik,
Vol. IV. hfl. 15. .

In der Einleitung zu seiner Arbeit führt Dr. van Vliet eine
Anzahl Textstellen an, die zeigen, welches Gewicht die nt.-liehen
Autoren dem Gesetz in Deut. 19, 15 par. beimaßen: sowohl in
bezug auf den Bericht der Ereignisse mit Christus als auch in
bezug auf Kirchenzuchtsmaßnahmen soll die Wahrheit durch
Zeugen bekräftigt werden, und zwar nicht durch einen Zeugen
, sondern durch zwei oder drei. Die Untersuchung will nun
die Frage beleuchten, welche Rolle dieses Prinzip in dem
Milieu spielte in dem die junge Kirche Gestalt annahm. Von
welcher Seite übernahm das Urchristentum diese Regel der zwei
oder drei Zeugen, und weshalb wurde sie als bindende Norm angenommen
?

In Kapitel 1 und 2 weist der Verfasser darauf hin, daß das
Prinzip: „Eines jeden Angelegenheit soll auf Grund von zwei
oder drei Zeugenaussagen entschieden werden", in der Welt, in
°ie das Urchristentum eindrang, keineswegs selbstverständlich
war. Im Gegenteil: In nt.-licher Zeit scheint dieses Prinzip für
le römische und griechisch-hellenistische Rechtspraxis unbe-
annt gewesen zu sein, ja, in direktem Gegensatz zu dem grie-
emsenen Grundprinzip zu stehen, daß die Wahrheit durch die
überlegende Vernunft und nicht durch die Beobachtung der
Augen nicht einmal der Augen Vieler, erkannt wird. Der Ver-
Th ,Trkt dann im dritten Kapitel weiter, daß das hellenistische
Judentum kein besonderes Gewicht auf Deut. 19, 15 par.
gelegt hat. Dieses Gesetz gehörte nicht zu d e n göttlichen h-

zokai, die die Juden gegenüber ihrer heidnischen Umgebung vor
allen anderen Ivzolai zu verteidigen oder erklären gewillt waren,
und auch nicht zu den vernunftgemäßen öixaiwjuaTa, die sie für
alle Völker als gültig ansahen.

Deut 19,15 par. hatte seine energischsten Fürsprecher (Kap. 4)
innerhalb des palästinensischen Judentumes, näher bestimmt
innerhalb der Richtungen, die seit der Makkabäerzeit gegen den
hellenistischen Einfluß kämpften: Pharisäer und Essener. Diese
Richtungen eiferten dafür, daß ein Bruder, der gefehlt hatte, zuerst
gewannt und zurechtgewiesen werden soll, und daß nur dann
die Übertretung verurteilt werden soll, wenn sie von zwei oder
drei Zeugen bekräftigt werden kann. Besonders der Pharisäismus
eiferte für den letztgenannten Grundsatz.

In Kapitel 5 versucht der Verfasser die Motive herauszuarbeiten
, die hinter Deut. 19,15 par. liegen und den Grund dafür,
daß Jesus und die junge Kirche — juden- und heidenchristlicher
Teil — dieses Gesetz als Gesetz übernahmen. Deut. 19,15 par. ist
nicht nur ein Grundsatz für die Beweisführung, um die Wahrheit
sicherzustellen und falscher Anklage vorzubeugen, sondern wir
haben hier auch ein wesentliches Stück der Lebensordnungen des
alten Bundes. Das Bundesvolk ist eine familia Dei, die nach
Gottes Willen, der in der Thora geoffenbart ist, leben soll. Derjenige
, der einen „co-member of the Covenant" Gottes Gebot
übertreten sieht, soll sein Hauptaugenmerk nicht darauf richten,
daß jener bestraft und verurteilt wird, sondern vielmehr darauf,
ihn zu warnen und versuchen zurechtzuführen, ihm zu helfen, so
zu leben, wie der Bund es fordert. Nur wenn er auf seiner Übertretung
beharrt, müssen die Bundesglieder rechtliche Maßnahmen
fordern, und das nur, wenn zwei oder drei Zeugen den Vorwurf
der Übertretung bekräftigen können: Übertretungen von Gottes
Geboten werden ja durch das Zeugnis von Bundesgliedern festgestellt
.

Hierin spiegelt sich das Handeln Gottes mit seinem Volk
und seine Art, sich zu offenbaren, wider. Der Gott Israels will
nicht die Verurteilung des Sünders, sondern seine Buße und
und Besserung. Deshalb warnt und mahnt er, ehe er schießlich
sein Urteil fällt. Und wenn er sich offenbart, so geschieht das
nicht nur durch einen Zeugen: sein Wort, sondern er erweist
auch durch Zeichen und Taten, daß seine Offenbarung wahr und
zuverlässig ist. Das NT übernimmt Deut. 19, 15 par. als einen
wesentlichen Teil der Lebensordnung des alten Bundes, der auch
für das neue Bundesvolk seine Gültigkeit hat.

Im letzten Kapitel macht der Verfasser einige exegetische
Anmerkungen zu den wichtigsten Stellen im NT, in denen der
Grundsatz der zwei oder drei Zeugen hervortritt. An erster
Stelle stehen da Mt. 18, 15 ff.; Joh. 8, 13 ff.; 2. Kor. 13,1 und
1-Tim. 5, 19. Auch andere Zusammenhänge werden beleuchtet.
LI a. vertritt der Verfasser die Meinung, daß Jesu mächtige
Taten nicht als „Zeichen" in modernem Sinn verstanden werden
dürfen, sondern als indicia, daß Jesu Zeugnis im Wort wahr ist.

Zum Schluß zieht der Verfasser einige Folgerungen für die
K'rche unserer Tage. Dabei betont er u. a., daß das Gesetz, das
nach dem NT vom hl. Geist in die Herzen geschrieben ist, nicht
ein unqualifiziertes Liebesgebot ist, dem 6ich das einzelne oder
kollektive christliche Denken in den verschiedenen konkreten
Situationen des Lebens anzupassen hätte. Gottes Wille ist g e-
offenbart. Jesus und seine Apostel haben in konkreter
Weise gezeigt, was Gott will. Und danach hat sich die menschliche
Vernunft zu richten. Die Kirche muß auch heute den nt.-
liehen Geboten gehorsam sein — auch wenn 6ie nicht mit dem
Ideal und der Denkweise der Gegenwart übereinstimmen. Das
Urchristentum paßte sich nicht dem Denken und Handeln seiner
Zeit an, sondern holte sich die Normen für das Leben und die
Ordnungen der Kirche aus der Christustradition, die für die Umwelt
ein Stein des Anstoßes und eine Torheit war.

In zwei Exkursen wird die Frage, welchen Wert ein Zeugnis
hat, beleuchtet, und Deut. 19, 15 par. mit alten orientalischen
Gesetzen verglichen.

Der Verfasser zeigt eine große Belesenheit (70 Seiten von
162 sind Anmerkungen vorbehalten!) und zieht viel Material
und Gesichtspunkte bei; die Darstellung ist überreich an Zitaten.