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Ausgabe:

1959 Nr. 1

Spalte:

43-46

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Mélanges en l'honneur de Monseigneur Michel Andrieu 1959

Rezensent:

Dürig, Walter

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 1

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schrift. Daß hierbei Köln die Brücke gebildet hat, ist um so wahrscheinlicher
, als auch ein zweiter Zitierungsfehler — am Sonnabend
nach Aschermittwoch 6tatt Markus: Matthäus — sowohl
in Chi als auch in Col begegnet. Wie sich solche Zitierungsfehler
auf weite Wanderschaft begeben können, wird an einem dritten
Beispiel sichtbar: in der Messe „Septem fratrum" am 10. Juli wird
das Evangelium Mt. 12, 46—50 nicht nur in sämtlichen Cib-Hand-
6chriften bis auf eine einzige fälschlich als aus Lukas entnommen
bezeichnet, sondern auch in Col, aber überraschenderweise auch
in Strig aus 1377.

Noch überzeugender für die Abhängigkeit der Vorlage unserer
Handschriften von Handschriften des niedersächsischen Herkunftsgebietes
dürfte folgender Abschreibefehler sein: in der
Messe Nerei et Achillei am 12. Mai, deren Orationen aus dem
Gelasianum stammen, ist die zweite Hälfte der Secret im Brunsvigense
gegen die zweite Hälfte der Complenda vertauscht worden
und umgekehrt. Trotz dieses gewaltsamen Eingriffes bleibt
infolge des schematischen Aufbaus dieser Gebete die Konstruktion
der Sätze noch sinnvoll. Die gleiche gewaltsame Umstellung
des Textes dieser Orationen findet sich nun auch in der Cibini-
ense-Handschrift C7, darin lediglich Pancratius hinzugefügt wird,
dessen Verehrung an dem gleichen Tag vorgesehen war. Um das
Verhältnis der Texte recht anschaulich hervortreten zu lassen,
stellen wir sie alle drei nebeneinander:

Gelasianum: Brunsvigense: C7:

secr: Sanctorum tuo- 6ecr: Sanctorum tuo- secr: Sanctorum tuo-

rum domine nerei rum domine nerei rum domine nerei
et achillei tibi grata achillei deprecacioni- achillei atque pancra-
confessio et munera bus sacramenta que cii deprecacionibus
commendet et tuam sumpsimus ad tue no- 6acramenta sancta que

nobis indulgenciam bis proficiant placa- 6umpsimus ad tue no-
semper imploret. cionis augmentum. bis proficiant placaci-

onis augmentum.

compl: Quesumus do- compl: Quesumus do- compl: Quesumus domine
ut beatorum mine deus noster et mine ut beatorum
martyrum tuorum (!) beatorum marty- martyrum tuorum
nerei et achillei de- rum tuorum nerei nerei achillei atque
precacionibus Sacra- achillei grata tibi con- pancracii tibi grata
menta sancta que fessio et munera confessio et munera
sumpsimus ad tue no- no6tra commendet et nostra commendet et
bis proficiant placa- tuam (!) nobis sem- tuam nobis indulgen-
cionis augmentum82. per implorat. ciam Semper imploret.

Diese Gegenüberstellung der Texte läßt die Abhängigkeit
der beiden Handschriften Brunsvigense und C7 von einer
gemeinsamen Vorlage deutlich und unwiderleglich zu-

") PL 74, 1163.

tage treten. Lehrreich ist, daß die ältere Handschrift der Gruppe
Cib 2:C4 die Sekret ihrer Vorlage unberührt wie C7 stehen läßt,
die Complenda dagegen nach dem ursprünglichen Text verbessert,
so daß Sekret und Complenda wesentlich das gleiche Gebet enthalten
.

Damit haben wir die wesentlichen Übereinstimmungen
herausgehoben, denen eine überzeugende Beweiskraft für die
Abhängigkeit der 6iebenbürgisch-sächsischen gottesdienstlichen
Ordnung von einem in der deutschen Kirche üblichen Ritus innewohnt
. Sie können gewiß noch vermehrt werden, wie denn die
Forschung auf diesem Gebiet keineswegs abgeschlossen ist. So
wird z. B. der wissenschaftliche Forschungsdrang sich keineswegs
damit begnügen, daß gerade der überzeugende Nachweis, der die
Abhängigkeit unseres Heltauer Missales vom Magdeburger Ritus
sichtbar macht, sich bloß auf eine Inkunabel und nicht auf eine
ältere Handschrift berufen kann. Auch dürfte insbesondere das
Cibiniense noch manches Rätsel zur Lösung aufgeben, bis es
in allen seinen Teilen auf seinen Ursprung zurückgeführt
wird. Beim Cibiniense gewinnt man überhaupt den Eindruck
, als ob mehrere Überlieferungen zusammengeströmt wären,
die erst in der neuen Heimat z. T. in verschiedener Weise miteinander
verarbeitet worden sind, wie an dem Beispiel der Allerheiligenlitanei
gezeigt wurde, von der uns dadurch eben zwei
verschiedene Überlieferungen erhalten geblieben sind. Dennoch
ist der Nachweis, daß Kölner und niederdeutsche
Überlieferungen im gottesdienstlichen Ritus
der mittelalterlichen 6iebenbürgisch-
sächsischen Kirche zutagetreten, bereits so fest
verankert, daß er durch neue Forschungen wohl auf breiterer
Grundlage bestätigt, aber nicht mehr erschüttert werden wird.

So dürfte der oft genannte Vers des siebenbürgischen Reformators
Johannes H o n t e r auf seiner Sachsenlandkarte von
1532 in seinem wörtlichen Sinn verstanden werden können:
„Vom Rhein und Sachsen ich gemein
Bin aufgewachsen in großem Schein

Aber auch die von der neueren Mundarten-Forschung nahegelegte
These von der „rheinischen Grundlegung" und der
„sächsischen Eindachung" ist als eine den geschichtlichen Tatbestand
klärende Auffassung durchaus anzuerkennen. Es muß
jedoch mit Nachdruck betont werden, daß „Sachsen" keineswegs
in ein mitteldeutsches „Obersachsen" umzudeuten ist, das erst
viel später, als der Markgraf von Meißen und Landgraf von
Thüringen Friedrich der Streitbare im Jahre 1423 mit der sächsischen
Kurwürde belehnt wurde, ebenfalls den Sachsennamen erhielt
, sondern als ursprünglicher Niedersachsenname
zu verstehen ist.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

lAVd r i e u, M.:] Melanges en l'honneur de Monseigneur Michel An-
' driefr. Pubiii avec le concours du centre national de la recherche

scientifique. Strasbourg: Palais Universitaire 1956. X, 503 S. m. Abb.

u. Taf. gr. 8° = Revue des Sciences Religieuses, Vol. hors Serie.

Der ehrwürdige Brauch, betagten Gelehrten als Krönung und
Anerkennung ihres Lebenswerkes eine Festschrift zu widmen, ist
selten so angebracht gewesen wie bei M. Andrieu, dem hochverdienten
Herausgeber der Standardwerke „Le Pontifical Romain
au Moyen-Age" und „Les Ordines Romani du Haut Moyen-
Age", die ihm einen bleibenden Platz in der Geschichte der Liturgiewissenschaft
sichern. Die Vielfalt der in den 37 Beiträgen der
vorliegenden Festschrift behandelten archäologischen, geschichtlichen
und liturgiewissenschaftlichen Themata machen eine Rezension
im eigentlichen Sinne unmöglich und zwingen zu der im
heutigen Rezensionswesen allzu oft und allzu bequem angewandten
, für die Autoren nicht 6elten deprimierenden Form der bloßen
Anzeige.

B. B o 11 e beschäftigt sich mit der Frage nach der Entstehungszeit
der uns erhaltenen arabischen Version der Canones

Hippolyts und verlegt diese auf Grund einer Reihe theologischer
und zeitgeschichtlicher Indizien in die Zeit von 341 bis 360.
Abt B. Capelle untersucht die Geschichte, den Sinn und die
Tragweite des die Commixtio in der römischen Liturgie begleitenden
Textes, der seiner Ansicht nach zwischen der ersten und der
zweiten Rezension des Ordo Romanus primus unter Benutzung
orientalischer Formeln (gr. Jacobusliturgie) in Rom eingeführt
wurde. F. C h a t i 11 o n bemüht sich um eine sachgerechte Interpretation
der umstrittenen, für die Geschichte der Tauftheologie
bemerkenswerten Stelle aus Firmicus, De errore profanarum reli-
gionum II 5. Auf Grund des Beitrages von A. Chavasse über
die drei liturgischen Zonen der Kirche Roms, der ein Auszug
aus einem in Kürze erscheinenden Buch über das Altgelasianum
ist, sieht man diesem Werk des Autors mit Interesse entgegen.
J. D o i g n o n kommt in seiner Abhandlung über die Hilarius-
Messe im Sakramentar von Angouleme zu Ergebnissen, die auch
für die Lokalisierung des nach Morin u. a. in Poitiers entstandenen
Missale Francorum bedeutsam sein dürften. Der in der Geschichte
des Pontifikale bisher kaum beachtete Thesaurus Ponti-
ficum des Nikolaus von Mathafaris (f 1367) ist Gegenstand einer
Studie von R. E 1 z e. Nach den Ausführungen von H. F r a n k
ist von den vier Beerdigungsantiphonen der karolingischen