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Ausgabe:

1959 Nr. 9

Spalte:

651-654

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gottesdienst - Menschendienst 1959

Rezensent:

Hupfeld, Renatus

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 9

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Die Abgrenzung kann theologisch gar nicht ernst genug durchgeführt
werden. Sie kann gewiß nicht bedeuten, daß der Theologe
6ich aller Psychologie zu enthalten habe. Wir sollten aber
aus genauer Kenntnis der Psychologie und der psychotherapeutischen
Methoden immer deutlicher sehen, daß unser Auftrag an
die Welt damit nicht zu vermischen ist. Grundsätzlich ist dazu
meines Erachtens das be6te von Eduard Thurneysen gesagt0,
besser noch als bei Wolfgang Trillhaas, Der Dienst der Kirche am
Menschen (Berlin. 2. Aufl. 1958). Praktisch ist unsere besondere
Frage nach der Beichte neuerdings erörtert von Otto Haendler'.

Unser Auftrag ist die Verkündigung des Wortes Gottes. Die
liturgische Einzelbeichte ist ebenso wie die Gemeindebeichte und
das Gespräch in der Seelsorge ein Akt der Verkündigung. Das
kann gewiß nicht heißen, daß wir nicht sehr menschlich mit den
Menschen zu reden hätten, bis dahin, daß wir ihnen, wenn wir
das können, helfen, ihre psychischen Verklemmungen zu lösen.
Nur Beichte ist das dann eben nicht. Dem Worte Gottes gegenüber
, das mir ja meine Totalverderbnis aufdeckt, kann das Bewußtwerden
von einzelnen Verfehlungen nur gerade als Symptomerkennen
verstanden werden, nicht als Sündenerkenntnis.
Weder der selbstquälerische Skrupulant noch der immer Rückfällige
, noch der mehr und mehr Geheiligte kommen eigentlich
zur wahren evangelischen Beichte als solche, sondern allein in
der Erkenntnis ihrer Totalverschuldung vor Gott, einschließlich
aller längst bekannten und vergebenen Sünden.

In dieser Totalverschuldung sind sie mit dem Beichtiger
solidarisch. Gerade dies aber wird im Beichtverfahren verdeckt.
Luther hat bei Bugenhagen gebeichtet. Daß Bugenhagen bei
Luther gebeichtet hätte, hören wir nicht. Es vertrüge sich auch
nicht mit dem Beichtverfahren, wie es aus der Mönchstradition
überkommen ist, mag es auch evangelisch abgewandelt sein. Gern
wird die Parallele zum Arzt und zum Priester gezogen. Das heißt
aber, dem Beichtiger eine Mittlerstellung einräumen, die Christus
alle Ehre nimmt. Das Wesen der Beichte verträgt es nicht anders,
aber es ist unevangelisch. 'AXh)loi<; Jac. 5, 16 kann entweder
bedeuten, daß der Kranke vor den Presbytern als Repräsentanten
der Gemeinde seine Sünden bekennt, oder daß der Kranke und
der Exorzist einander ihre Sünden bekennen. Damit entfällt auch
die letzte biblische Grundlage für die Einzelbeichte als liturgischen
Akt. Luther hat bereits in einer Predigt vom 31. Oktober 1516

*) Die Lehre von der Seelsorge, München 1948.

7) Beichte und Psychotherapie. In: Solange es „heute" heißt. Festgabe
für Rudolf Hermann (Berlin 1957), S. 93-111, hier auch kritische
Bemerkungen zu Trillhaas.

ausgesprochen, daß er keine Schriftstelle von der Einzelbeichte
kenne".

Die Gemeinde, nicht der Priester, bekommt im Neuen
Testament die Vollmacht des Heiligen Geistes. Darum kennt die
alte Christenheit zunächst nur die öffentliche Beichte, wozu nicht
unsere heutige Gemeindebeichte, wohl aber das sharing der
Gruppenbewegung eine moderne Parallele bietet. Ein Amtsbewußtsein
des evangelischen Beichtigers ist ebenso ausgeschlossen
wie eine Heiligung, die nicht identisch mit der Rechtfertigung
wäre, sondern den Erfolg menschlichen, um nicht zu sagen: mönchischen
Vollkommenheitsstrebens darstellen wollte. Für Bußzucht
ist unter dem Evangelium ebenso wenig Raum wie für die
Seelenführung. Evangelische Seelsorge und damit evangelische
„Beichte" kann nie etwas anderes sein als Verkündigung des
Wortes Gottes an den Einzelnen. Aber selbst dann ist es schwer,
konkret zu erweisen, daß den Verkündiger da6 Gericht ebenso
trifft wie den Hörer, und daß die Gnade allein e6 ist, die ihn
wie den Hörer rettet. Darauf aber käme es in einer wahrhaft
evangelischen Privatbeichte an.

Literaturhinweise:

Georg Prater: Der evangelische Weg zur Erneuerung der Privatbeichte
. Berlin (1957).

Albrecht Schönherr und Hermann Dietzfelbinger: Evangelische
beichten. In: Lasset euch versöhnen mit Gott, hrsg. von Ernst Otto
Petras. Berlin (1957), S. 95—117.

Albrecht Schönherr: Beichte. In: Die Zeichen der Zeit 12, 1958,
S. 361-366.

Ernst Kinder: Beichte und Absolution nach den lutherischen Bekenntnisschriften
. In: Theologische Literaturzeitung 77, 19 52 Sp. 543
bis 5 50.

Erich Roth: Die Privatbeichte und die Schlüsselgewalt in der
Theologie der Reformatoren. Gütersloh 1952.

Wolfgang Böhme: Das Verständnis der Beichte und ihre gegenwärtige
Praxis in der evangelischen Kirche. In: Una Sancta 13, 1958,
S. 19—30.

Klaus Harms: Die Einzelbeichte. In: Monatschrift für Pastoraltheologie
42. 1953, S. 374—382.

Friedrich Gleiß: „Zur bibilischen Begründung der Einzelbeichte".
A. a.O. 44, 1955, 430—434.

Dietrich Ritsehl: Psychotherapeut oder Pfarrer? A.a.O. S. 306—313.

Adelheid Rensch: Zum Gespräch zwischen Psychotherapie und
Seelsorge. A a. O. 45, 1956, S. 295—305. 367—373. 427—432.

8) „De privata nescio ubi Scriptura loquitur" WA I, 98,31.

ALLGEMEINES: FESTSCHRIFTEN

[Thurneysen, E.:] Gottesdienst — Menschendienst. Eduard Thurneysen
zum 70. Geburtstag am 10. Juli 1958. Zollikon: Evangelischer
Verlag [1958]. 248 S., lTaf. gr. 8° Lw. DM 29.50.

Dieser Widmungsband zu Eduard Thurney6ens 70. Geburtstag
unterscheidet sich dadurch von den üblichen derartigen
Sammelbänden, daß nicht lauter Einzelaufsätze dargeboten
werden, sondern daß ca. die Hälfte des Buches von der höchst
interessanten Korrespondenz zwischen dem Jubilar und Karl Barth
in den Jahren 1921—25 in Anspruch genommen wird. In diesen
Jahren entwickelte sich ja — vor allem dadurch, daß aus dem
Schweizer „Pfarrer" Karl Barth, der vorher seine Römerbriefauslegung
als eine Art Alarmruf, immerhin mehr als „theologische
Randbemerkung" gedacht, veröffentlicht hatte, der Göttinger
„Professor" K. B. wurde, der sich durch sein neues Amt veranlaßt
sah, eine regelrechte Dogmatik auszuarbeiten - die dialektische
Theologie zu einer neuen theologischen Schule, die dadurch, daß
eine ganze Reihe junger wacher Theologen sich in gemeinsamer
Arbeit^ an der damals entstehenden Zeitschrift „Zwischen den
Zeiten" zusammenfand, schnell zu großer Auswirkung kam. Es
ist äußerst reizvoll, sich diese Epoche der Theologiegeschichte,
die ja, wenn auch manche ihrer ursprünglichen Mitträger, wie z. B.
Emil Brunner oder Friedrich Gogarten, nachher andere Wege gegangen
sind, wahrlich nicht an Bedeutung verloren hat, an der

Hand dieses Briefwechsels noch einmal zu vergegenwärtigen. Zwar
wäre e6 wohl besser gewesen, wenn manche Seitenhiebe auf noch
heute lebende Theologen, die unnötig kränkend wirken müssen,
unterdrückt worden wären, (wie vorsichtig ist man früher bei
solchen Anlässen gewesenl), wobei dann freilich auch manche
theologiegeschichtlich interessante Bemerkungen, etwa über die
Stellung Barths zu Emanuel Hirsch, hätten fallen müssen. Im
ganzen aber wird man sagen dürfen, daß man dankbar dafür 6cin
muß, einen so lebendigen Kommentar zu einem wesentlichen
Stück theologischer und kirchlicher Zeitgeschichte auf diesem
Wege zu erhalten. Man erlebt mit, wie auch noch die Vergangenheit
dieser „lebendigen Vergangenheit" (unter diesem Titel ediert
Barth diesen Briefwechsel) nachwirkt: die Impulse Kutters einerseits
, Wilhelm Herrmanns und der Neukantianer andererseits:
man wird Zeuge dessen, in wie schwerer Arbeit Barth sich die
Grundlagen seines dogmatischen Systems errungen hat, wie ihm'
dem reformierten Professor an einer „lutherischen" Fakultät.
Calvin zum entscheidenden Meister geworden ist, wie sich aus
der ursprünglichen Frage nach der Möglichkeit des „Unterfangens
" der Predigt des Worts immer weitergreifende Erkenntnisse
entwickelten, jene Erkenntnisse, die sich ja dann in einer damals
kaum zu ahnenden Zukunft als so hilfreich für den Kampf der
Bekennenden Kirche erwiesen haben. Schon allein um dieses Beitrags
willen ist dieser Widmungsband äußerst lesenswert.

Nicht minder aber auch wegen deT anderen Beiträge, die IH
noch anderer Weise ein Echo auf die Arbeit des Jubilars geben.