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Ausgabe:

1959 Nr. 8

Spalte:

620-622

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Salet, Gaston

Titel/Untertitel:

Le Christ, notre vie 1959

Rezensent:

Süss, Théobald

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 8

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miteinander zu bringen, und zwar in dem Sinne, daß man „die
Luthersche Unterscheidung des außerhalb von Christus verborgenen
und des in Christus offenbaren Gottes ganz und gar von
seinen Gedanken der Verhüllung der göttlichen Gnadenzuwendung
her zu verstehen" habe (99), als dessen Konsequenz („Es
handelt 6ich dabei. .. lediglich um Ergänzungen bzw. um kritische
Konsequenzen zu seiner eigentlichen Lehre von der Verborgenheitsgestalt
der göttlichen Offenbarung" 84), als „kritische Funktion
" daran (94) usw. Die „Verborgenheit" Gottes in seinem
Handeln außer Christus (es ist hier speziell auf den Verstockungs-
gedanken reflektiert) „ist ja wirklich nur die uneigentliche Auswirkung
der göttlichen Offenbarung. Sie kann darum im Rahmen
seiner (Luthers) Lehre niemals einen selbständigen Platz einnehmen
. Sie kann vielmehr dort nur am Rande zur Sprache kommen
als eine Warnung an seine Hörer" (97), als „Grenzfunktion"
(155) u.a. Die Erkenntnis von dieser „Verborgenheit"
Gottes ist nach Luther „lediglich ... ein Nebengedanke aus seinem
Verständnis der Verborgenheitsgestalt der göttlichen Gnadenzuwendung
" (97). „Sie dient... im Grunde ganz dem gleichen
Zweck wie die Verborgenheitsgestalt seiner Offenbarung",
ist ein „der besonderen Gnadenzuwendung vor laufendes"
verborgenes Handeln Gottes, das „in das Offenbarungsgeschehen
je und wieder einbezogen wird. Sie stellt also gewissermaßen die
Verborgenheit Gottes dar, insofern sie noch nicht zur Verborgenheitsgestalt
seiner Offenbarung geworden ist", „nur den
dunklen Hintergrund" .. ., auf dem Gottes Offenbarung für den
Glauben jeweils Ereignis wird" (127). Im Blick auf das gleiche
Endziel „ergibt sich für Luther auch die Möglichkeit, die vermummte
Art und Weise, in der Gott im allgemeinen Weltgeschehen
am Werke ist, mit der verborgenen Gestalt, in der er
sich in Jesus Christus dem Menschen zum Zwecke seiner Erlösung
und Heiligung zuwendet, zusammenzuschauen" (126). „Im weiteren
Sinne gehört darum für Luther auch die Vermummung
Gottes im allgemeinen Weltgeschehen zur Verborgenheitsgestalt
seiner Offenbarung" (128). „Es gibt für Luther letzten Endes
keine andere Verborgenheit Gottes als die Verborgenheitsgestait
seiner Offenbarung" (94).

Wir haben hier nur die besonders markanten Resultate zitieren
können. Man muß den Gedankengängen des Verfs., auf
denen er zu ihnen kommt, sorgfältig nachgehen. Er erschließt
dabei zweifellos manche wichtigen Gesichtspunkte, die in der
Lutherinterpretation bisher nicht genügend beachtet worden sind.
Aber im ganzen hat man doch den Eindruck einer gewissen Forcierung
, dieses beiderseitige Reden von der „Verborgenheit"
Gottes auf jeden Fall irgendwie in Zusammenhang miteinander
zu bringen (Könnten nicht aber mit der gleichen Verborgenheitsterminologie
grundsätzlich verschieden gelagerte Sachverhalte zum
Ausdruck gebracht worden sein, deren jeweilige Pointe man verbiegt
, wenn man sie unbedingt auch in sachlicher Verwandtheit
aufzeigen will?), und einer Übersystematisierung der betr. Gedanken
Luthers. Es wäre vielleicht richtiger, diese erst einmal in
ihrer je charakteristischen Besonderheit stehen und gelten zu
lassen, statt so rasch eine sie verbindende Formel zu suchen! —
Die zweite kritische Frage ist die, ob der Verf., nun ganz abgesehen
von den Fragen der Terminologie „Verborgenheit", im
Blick auf die beiden betr. Sachverhalte, nicht z u sehr um die
Konstruierung einer Einheitlichkeit des Handelns Gottes nach
Luther bemüht ist — grob gesagt: bemüht ist, einen Ausgleich
zwischen dem Gottesbild Luthers und dem Karl Barths zu
finden! Er geht doch über das Dunkle und „Dämonische" in
Luthers Gottesbild zu leicht hinweg (vgl. etwa 72 f.; 78 f.;
192 ff.), und er bezieht Gottes Handeln außer Christus doch zu
direkt auf sein Handeln in Christus (z. B. 80 f.: Luthers Betonung
des ersten Gebotes) und im Evangelium (z.B. 80: daß es bei
dem a,'en -um das im Evangelium begründete Gebot geht";
95: daß jenes alles „nichts anderes als die Gerichtsgestalt des
Evangeliums" sei, usw.). Warum versucht der Verf. jene Zwei-
heit nicht entschlossener von Luthers Sicht des Verhältnisses
von Gesetz und Evangelium her zu interpretieren, die er vielmehr
nur sehr beiläufig anklingen läßt (z.B. 65. 196 f.)?

Diese kritischen Fragen, die in bezug auf die letzten Resultate
dieses Buches gestellt werden müssen, sollen aber keineswegs
den großen Wert aller seiner einzelnen Untersuchungen
mindern, vielmehr nachdrücklich auf sie und auf die Wichtigkeit
ihres Studiums hinweisen.

Münster/W. Ernst Kinder

S a 1 e t, Ga6ton, S. J.: Lc Christ notre vie. Quelques essais de theologic
spirituelle. 3ieme ed. revue et augmentee. Tournai, Paris: Castermao "H
1958. 204 S. S5. bfr. 60.-="

Unter „essai de theologie spirituelle" versteht der Verfasser
eine Darstellung theologischer Lehren, die auf die Bedürfnisse
des geistlichen Lebens Rücksicht nimmt und sich darum bemüht,
dem Leser den Aufstieg zu Gott zu erleichtern. Einst waren die
großen Kirchenlehrer auch Heilige, heute klagt man über die
Trennung zwischen theologischer Wissenschaft und geistlichem
Leben. G. Salet bemüht sich um eine Überwindung dieser Trennung
; er bietet also eine Art christlichen Laienunterrichts.

Das Werk enthält vier Abhandlungen, deren letzte erst in
der Neuauflage hinzugekommen ist. Die erste behandelt „Christus
unser Leben". Zwar ist die Ansicht, Christus habe in der
Fleischwerdung das ganze Menschengeschlecht mit sich vereint,
als unangebrachte Einmischung platonischer Spekulation in die
Offenbarung zu verwerfen. Aber die Kirchenväter haben doch
nicht mit Unrecht die innige Verbindung und Einheit betont, die
zwischen Christus und den Gläubigen besteht. Man muß dem Gekreuzigten
ein klares Bewußtsein der Geschichte der Gnade durch
die ganze Menschheitsgeschichte hindurch zusprechen. Es gilt den
ganzen Christus, „Ie Christ total" (S. 17 ff.; 29) ins Auge zu
fassen, d. h. Christus in Einheit mit den Christen.

Der zweite Abschnitt wandelt dasselbe Motiv in anderer
Weise ab: „Das Kreuz Christi als die Einheit der Welt". Die
Geschichte kennt eigentlich nur zwei Menschen, den Sünder und
den Heiland, oder noch besser gesagt, Christus allein macht die
ganze Menschheit und ihre Geschichte aus. Er ist das Haupt, das
in sich die ganze Menschheit rekapituliert. Sein Erlösertod ist das
eine Thema der Weltgeschichte: die gefallene Menschheit, die sich
im vollkommenen Opfer, das sie durch und in Jesus Gott darbringt
, wieder aufrichtet. Christus selbst ist der vollkommene
Priester, sein ganzes Leben und Werk ist in der einen Tat zusammengefaßt
, die er vollbringt, der priesterlichen Darbringung
der Menschheit am Kreuz. Darin i6t vollendet dargestellt, was in
den Opfern Israels und der heidnischen Menschheit eigentlich
gemeint war. Dieses Opfer aber 6etzt sich fort im Opfer der
Kirche, denn die Messe ist die rituelle Darbringung der Hostie
von Golgatha (.,1'oblation rituelle faite par l'Eglisc de l'hostie du
Calvaire", S. 72). Nach dem vollkommenen Priester muß es also
auch den kirchlichen Priester geben, nach dem Kreuz die Messe,
denn das Kreuzesopfer war ohne die geringste Anteilnahme derer
vollbracht worden, die es anging. An der Stelle also, wo bei
Luther neben das Werk Gottes das Wort tritt, durch welches das
Werk ausgelegt und zugesagt wird, erscheint hier als notwendig«5
Mittel der Austeilung das Sakrament. Der Verfasser betont-
unter dem Titel „esprit sacerdotal des fideles", daß der Laie
beim Opfer der Kirche nicht rein passiv ist; er verhält sich zur
Gnade des Sakraments nicht ausschließlich empfangend; er ist
dazu fähig, durch die Vermittlung des Priesters, und das heißt
durch Christus und in Christus, sich selbst Gott darzubringen-
Christus bietet sich im Sakrament dem Gläubigen nicht in erster
Linie zum Genuß inniger Gemeinschaft an; er kommt als der
Gekreuzigte, der den Jünger in sein Opfer mit hineinnimmt und
damit sich selbst als der dargebrachten Hostie eine neue Au«'
Weitung gibt. So verwirklicht sich nach und nach durch die Janr'
hunderte hindurch das erlösende Opfer in seinem vollen UxtP&i
und so ist die Menschheitsgeschichte nichts anderes als dies, &°
die Menschheit sich als genugtuendes Opfer („sacrifice de repar''
tion", S. 98) für ihre Sünde darbringt.

Der dritte Abschnitt ist dem „Mysterium der göttliche"
Liebe" gewidmet. Es handelt sich hier darum, das Trinitätsdogm3
dem Verständnis der Gläubigen zugänglich zu machen. Die Dog'
men haben nicht ausschließlich den Zweck, die menschliche Vernunft
zu demütigen. Gewiß darf man sie nicht beweisen wollen,
aber doch sollen sie ein Echo im Geist der Frommen wecken, ja
vielleicht sogar bei manchen Unfrommen wie eine „Versuchung