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Ausgabe:

1959 Nr. 8

Spalte:

593-595

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Scharbert, Josef

Titel/Untertitel:

Solidarität in Segen und Fluch im Alten Testament und in seiner Umwelt 1959

Rezensent:

Wallis, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 8

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tums geschrieben sein. Der Verf. verweist dabei auf 1. Sam. 10,25,
aber wegen seiner unkritischen Haltung gegenüber den Traditionen
von Samuel und Saul leuchtet seine Ausführung hier nicht
recht ein. Eine kanaanäische Beeinflussung der israelitischen, nichtstaatlichen
Rechtstradition wird verneint; einige von den Wurzeln
des israelitischen Rechts will der Verf eher in hethitischer
und amoritischer Kultur finden. M. E. wissen wir doch heute noch
zu wenig über die kr.naanäische Kultur, um solches behaupten zu
können. Und das Wenige, das wir wissen, konnte vielleicht doch
andere Folgerungen als die vom Verf. gezogenen erlauben. Der
Verf. rechnet eigentlich nur mit kanaanäischem Einfluß auf d i e
Gesetzgebung, die er negativ beurteilt, nämlich die königliche,
und von dieser ist nichts oder nur ganz weniges im AT erhalten.
Die deuteronomistischen Gesetze werden in aller Kürze als ein;
Art Weiterleben der genuin-israelitischen Rechtspraxis aus den
kleinen Dörfern, von woher ja auch mehrere von den atlichen
Propheten stammten, geschildert. Hätte der Verf. mehr Raum zur
Verfügung gehabt, könnte er sicher ein mehr nuanziertes Bild
vom Deuteronomismus gezeichnet haben.

Der zweite Teil des Buches ist dem Verhältnis zwischen
„Law and Covenant in Israel and in the Ancient Near East" gewidmet
(S. 24—50). Der Verf. wendet sich gegen die ältere Auffassung
, daß der Bundesgedanke mehr prophetisch als mosaisch
wäre, und er sucht die mosaische „Authentie" des Bundesgedankens
wahrscheinlich zu machen. Er verweist dabei an hethitische
Staatsverträge, die immer eine bestimmte geschichtliche Begebenheit
voraussetzen und deren Charakter mit dem der biblischen
Bundesverträge gut vergleichbar ist. Seine Ausführungen über
„The Nature of the Covenant" (S. 26—31) und „The Structure of
the Covenant" (S. 31—34) gehören zum besten, was über Bund
und Bundc6gedanke geschrieben ist, obwohl andere vorher, ohne
die hethitischen Parallelen, zu einer gleichartigen Auffassung der
Struktur des biblischen Bundes gekommen sind. Die Struktur des
Bundes wird in 9 Punkten dargestellt: 1. Präambel, 2. Historischer
Prolog,- 3. Vertragsbedingungen, 4. Sakraler Aufbewahrungsort
und öffentliche Verlesung des Bundesdokuments, 5. Liste über
Götter der beiden Partner als Bundcszeugen, 6. Fluch und Segen,
7. Eidschwur, 8. Bundeszeremonien und 9. Rituelle Vorbereitung
eventueller Strafexpedition gegen Bundesbrüchige. Die meisten
von diesen Punkten finden sich wieder in den Bundesberichten
in Ex. 19—24 und Jos. 24. Vielleicht darf man sagen, daß der
Verf. durch seine Untersuchungen und Vergleichungen die mosaische
Bundesschlicßung, in Ex. 19-24 enthalten, als echte Geschichte
möglich gemacht hat. Es fällt aber auf, daß der Verf.
bewußt auf die arabischen Analogien, die u. a. Pedersen hervorgezogen
hat, verzichtet und die hethitischen Analogien vorzieht
und zugleich dadurch die „Authentie" des Bundes aus der Wüste
erhärten will.

Mit zwei kleineren Abschnitten (über den Zerfall der Bundesform
und über die Wiederentdeckung des Moses) endet dieses
Büchlein, inhaltsreicher und bedeutungsvoller als manche voluminöse
Abhandlungen.

Kopenhagen Eduard Nielsen

Scharbert, Josef, Priv.-Doz. Lic. bibl. Dr.theol.: Solidarität in Segen
und Fluch im Alten Testament und in »einer Umwelt. Bd. Ii Väterfluch
und Vatersegen. Bonn: Hanstein 1958. XIII, 293 S. gr. 8° =
Bonner b.bhschc Beiträge, hrsg. von F. NöUcher u. K. Th. Schäfer,
Bd. 14. UM 32.—.

Bei der Erörterung über die Gemeinschaft in Segen und
Fluch scheinen den Autor Daubc's Studies in Biblical Law1 vor
allen anderen Untersuchungen auf diesem Gebiet geleitet zu
haben. Dieser betrachtet nämlich die „communal responsibility"
al« Auswirkungen der „ruler punishment" und der „ruler retard
". Danach sind die Angehörigen des Familienhauptes als
dessen Eigentum und „Personal" anzusehen, so daß der ruler an
diesem seinem Besitz gestraft und belohnt werden kann.
I ■ j 7 diesem in der Einleitung (S. 1-23) herausgestellten
Leitgedanken behandelt der Autor im ersten Kapitel die Solidari-

_, !? D- Daube, Studies in Biblical Law, Cambridge 1947, bes. Charter
IV, Communal Responsibility, S. 154-189.

tät zwischen Vätern und Söhnen im Alten Orient (S. 24
—71). Das hier herangezogene umfangreiche Textmaterial vermag
jedoch nur die Außenseite des Solidaritätsgedankens in der
Schuldverhaftung, im Blutrecht und Familientalion, zu erkennen
zu geben. Der religiöse Hintergrund dieser Erscheinungen kann
nicht aufgedeckt werden. Die Frage nach einer Ur- oder Erbsünde
wie nach einer grundlegenden Verheißung an den Ahnvater ist
den Texten unbekannt. Ebenfalls fehlt ein Versuch - aber das
mag alles im Wesen der vorliegenden Textgattungen beruhen —,
die Geschichte unter dem Vorzeichen von Segen und Fluch über
die Ahnväter zu verstehen.

Im zweiten Kapitel (S. 71—112) geht der Autor aus der Umwelt
und den Zeitverhältnissen des Alten Testaments in die
Gegenwart über und behandelt die Solidarität des Clans bei den
Nomaden der syrischen und arabischen
Wüste. Hier zeigt sich dann, wie wenig die weitgehend verwandten
Begriffe Individualismus und Kollektivismus die vorliegende
Sache treffen. Die Nomadenkultur ist eine merkwürdige
Mischung von Freiheit und Unabhängigkeit auf der einen und
straffer Gebundenheit an den Clan auf der anderen Seite. Die
Bindungen an den Clan treten am stärksten in der aktiven und
Passiven Blutrache zu Tage. Die Sippenzusammenhänge werden
stets genealogisch gedacht, selbst dort, wo sie es ursächlich nicht
sind. Dennoch tritt bei diesem ausgesprochenen Stammvaterdenken
der Gedanke an eine Vererbung des Fluches an die nachfolgenden
Geschlechter stark zurück. Der Fluch ist gewissermaßen
eine an Gott gerichtete Bitte, die rasch in Erfüllung gehen wird.
Noch weniger ausgeprägt als der Gedanke an eine Vererbung des
Fluches ist der an die Vererbung des Segens. Indessen bemüht
sich das einzelne Glied des Clans, die vom Stammvater überkommene
Ordnung zu wahren, um damit des Heils und Schutzes
der Sippe teilhaftig zu sein.

Im dritten Kapitel (S. 113-248), das den weitaus breitesten
Raum einnimmt, kommt Sch. auf die Solidarität in Segen und
Fluch im Alten Testament zu sprechen. Die hier gestellte
Aufgabe ist nicht leicht zu lösen, da bestimmte Formen
der Sippenhaftung und der ruler punishment an konkrete soziologische
Gegebenheiten - Nomadenleben oder Stadtkultur - sowie
an Umfang und Gestalt der unter der Solidarität zusammengefaßten
Gruppe gebunden sind. Die Sippenhaftung ist den
Israeliten von der Frühzeit her gewiß bekannt gewesen, wie einzelne
Beispiele (z. B. Jos. 7) erkennen lassen. Die Solidarität der
Sippe zeigt hier deutlich, daß Segen und Fluch im wesentlichen
an die Person des Familien- oder Ahnvaters gebunden sind. Auch
hier handelt es sich also im gewissen Sinne um eine ruler reward
und ruler punishment. Einmal sind die Angehörigen des Familienhauptes
dessen Eigentum und damit an seinem Ergehen unmittelbar
be teiligt, zum anderen wird durch den Vater die Familie in
ihrem Wesen weitgehend geprägt. Auf diese Weise wird der Vater
zum Segensträger und Segensspender.

Eine etwas andere Dimension gewinnen Segen und Fluch
über Dynastien. Ein Fluch wirkt sich hier in erster Linie an der
Familie des Dynasten aus, insofern als ihm ein Nachfolger auf
dem Thron früher oder später versagt bleibt. Damit tritt hier
auch die Vaterstrafe in Erscheinung. Später führt man jedoch den
Verfall einer Dynastie auf die verheerende Wirkung der Sünde
überhaupt zurück (deuteronomisches und chronistisches Geschichtswerk
), insofern als die Söhne dem gleichen Frevel verfallen
wie einst ihre Väter. Damit trifft die Söhne ihre eigene
Schuld.

Etwas anders steht es mit dem Segen. Gott kann um der
Frömmigkeit des Begründers der Dynastie willen seinem Hause
den Segen verheißen. Er währt solange, bis durch die Schuld der
Nachfahren Jahwe den Segen von der Dynastie zu nehmen sich
gezwungen sieht; aber nicht auf immer, nur so lange, bis er sich
durch die Frömmigkeit eines Vertreters der Dynastie bewogen
sieht, seinen Segen wieder in Kraft treten zu lassen. Er kann aber
auch den einmal gespendeten Segen für immer zurücknehmen.

Damit werden dann aber Segen wie Fluch über Sippe und
Dynastie umgewertet. Besonders die Propheten sehen in nationalem
Mißgeschick nicht allein eine Schuldverhaftung, sondern auch
die Schuld der gegenwärtigen Generation. Daraus leitet sich nun