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Ausgabe:

1959 Nr. 8

Spalte:

587-589

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Koep, Leo

Titel/Untertitel:

Das himmlische Buch in Antike und Christentum 1959

Rezensent:

Fascher, Erich

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 8

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Revision der gesamten Lebenshaltung einschließlich der Urentschei-
dungen mit dem Ziel, dem Patienten zur echten Selbständigkeit zu
helfen. Und die Analyse wird in der Regel dann als abgeschlossen betrachtet
, wenn diese« Ziel erreicht ist. Die Strecken der „Übertragung"
im großen und ganzen, in denen der Patient sich zum Teil vom Therapeuten
abhängig macht, dienen gerade der endgültigen Ablösung von
den eigentlichen falschen Autoritäten, die er auf den Therapeuten übertragen
hat.

g) Eine gewisse Scheu vor dem Einstieg in das Unbewußte läßt
sich bei vielen Theologen nicht verkennen. Sie stammt aber nicht aus
der Theologie, sondern aus der Bewußtseinskultur, und im konkreten
Falle meist aus der Bewußtseinslage des Betreffenden. Das gegenwärtige
Verhältnis ferner zwischen Bewußtsein und Unbewußtem bei uns kann
nicht prinzipiell als der schöpfungsmäßig legitime Zustand angesehen
werden, weil dieses Verhältnis sich ja schon innerhalb der Geschichte
der Kirche gewandelt hat und sowohl bei den Christen des fernen
Ostens wie bei denen unter den Primitiven anders ist. So kann von
der Theologie her kein Einwand gegen den Einstieg in das Unbewußte
erhoben werden in dem Sinne, daß nach Gottes Schöpferwillen unbewußt
sei und bleiben solle, was unbewußt ist.

4) Für das Gesamtprofil der analytischen
Psychologie (= die Ps. Jung's) ergibt sich aus den erörterten
Momenten (a—g) je eine spezifische Note.

a) Die feingegliederte Struktur der Psychologie Jungs bedarf
(anscheinend, wenn auch u. E. erstaunlicherweise) besonderer Aufmerksamkeit
gegenüber der Gefahr, sie als „konstruiert" mißzuverstehen;
die „Typen" z. B. wollen erlebt und gesehen, nicht intellektuell befriedigt
rezipiert werden.

b) Die Forschungsergebnisse sind, auch wo sie intuitive Züge
tragen, zu verstehen als Möglichkeiten, die in den Fällen, die ihre Voraussetzungen
erfüllen, als zutreffend und zuverlässig sich erwiesen
haben, immer in Einordnung in das Ganze des Lebendigen.

c) Eben dieser Variabilität wegen ist vor psychologisierendem
Dilettantismus in Jung'scher Richtung mit besonderem Nachdruck zu
warnen. Da nämlich der Theologe für alles Mythische in seinem, dem
theologischen Sinne, zuständig ist, darf er hier ganz besonders
nicht vergessen, daß es sich um zwei verschiedene Aspekte handelt und
daß somit die theologische Kenntnis in diesem Bereich die
psychologischen Zusammenhänge noch nicht erschließt,
daß legitimes theologisches Urteil nicht zugleich legitimes psychologisches
Urteil in sich schließt oder ermöglicht.

d) Die Offenheit der Gegenwart für mythische und metaphysische
Hintergründe darf nicht zu dem Mißverständnis führen, als ob Jungs
Arbeit in diesen Bereichen irgendetwas von „Mitgehen" mit einer
„Modeströmung" zu tun hätte. Sie ist einzig in dem unausweichlichen
Zwang existenzieller Not begründet, und nur von da aus kann sie
wesenhaft verstanden werden. Von da aus öffnen sich dann aber auch
ernste Verbindungslinien der oft leichthin abgewerteten metaphysischen
Ausweitung zur theologischen und seelsorgerlichen Aufgabe.

e) Der auf Offenbarung gegründete Glaube ist geneigt, den erwähnten
Verdacht gegen die Psychologie, daß sie zersetzend wirke,
besonders auf die vermeintliche Verwischung der Grenze zwischen
Mythos und Offenbarung zu beziehen. Es ist freilich klar, daß ein
Psychologe, der nicht „aus der Offenbarung" lebt, hier seinerseits
keine deutliche Abgrenzung vollziehen kann. Das offene Tor für Offenbarung
ist jedoch dadurch gewahrt, daß auch auf Jungs psychologischem
Wege der Mensch zur letzten Entscheidung gerufen wird und gerade bei

ihm in betonter Ausdrücklichkeit. All die evangelischen und katholischen
Theologen 6einer Schule stellen diese Möglichkeit unter Beweis.

f) Die Irrtümlichkeit des Verdachtes, daß der Patient von Therapeuten
abhängig werde, ergibt sich gerade an der analytischen Psychologie
besonders deutlich an dem Ernst und der Verantwortungsschwere,
mit der Jung für gegebene Fälle als das letzte und höchste Ziel der
Arbeit die „Personifikation" herausstellt.

g) Wie eindeutig der Einstieg ins Unbewußte nicht dem Schöpfungswillen
widersprechen kann, wird besonders eindrücklich an dem
von Jung herausgestellten Tatbestand des „kollektiven Unbewußten"
sichtbar. Denn hier zeigt sich, daß nicht nur jeder Mensch an Kollek-
tivvorstcllungen bis in die Gründe des völlig Unbewußten hinein teil
hat, sondern daß auch die bewußten Vorstellungen und Überzeugungen
religiösen und christlichen (sowohl persönlichen, wie kirchlichen und
auch theologischen) Charakters tief und mannigfach mit ihren Wurzelfasern
in das Unbewußte hineinreichen. Nichts von bewußtem gläubigem
Denken und Tun wird dadurch abgewertet. Wohl aber wird von
hier aus eine höchst bedeutsame Vertiefung, Verfestigung, Gesundung
und Stärkung des Glaubenslebens und des Glaubensdenkens möglich:
eine Aufgabe, an der noch viel zu arbeiten ist und die in der gegenwärtigen
Situation besondere Bedeutung und Verheißung hat.

Implizite kreist die gesamte Erörterung über das Verhältnis
zwischen Theologie und Tiefenpsychologie letztlich um die Kernfrage
aller Theologie, um die Wahrheitsfrage. Die Tiefenpsychologie
liefert zu ihr keinen direkten Beitrag, aber sie tangiert sie
durch ihre Erkenntnisse und Methoden. Darum ist die instinktive
Einstellung theologisch-kirchlicher Haltung (verständlichcrwcise!1
meist eine Art mißtrauischer Reserve, auch über die eben erörterten
Anliegen hinaus, eine Haltung, die etwa in die Frage gefaßt
werden könnte: dürfen wir uns mit der Tiefenpsychologie
einlassen trotz der vorhandenen Gefahren?

Es wäre in dieser Richtung das Anliegen des vorstehenden
Referates, diese Fragestellung zu überwinden: eben um der
Wahrheitsfrage willen müssen wir die Begegnung mit der
Tiefenpsychologie pflegen, und zwar die i n t e n si v e und
saubere Begegnung. Die Gefahren der Tiefenpsychologie
sind dabei Annex ihrer Fragen an uns. Ihre Fragen an uns aber
bieten uns Tatsachen, die wir nicht übersehen dürfen, sondern
kritisch-offen in die Theologie einzuarbeiten haben. Diese Arbeit
und mit ihr unsere Antwort an die Tiefenpsychologie ist
nicht dogmatisch festzulegen möglich, unsere Antwort ist ein
fortschreitendes Geschehen und den Wandlungen der Geistesgeschichte
sowie dem Fortgang deT Erkenntnisse unterworfen
(und mit ihnen beschenkt!). Sie ist deshalb nicht 6tarr und nicht
weich, sondern offen und verantwortlich. In rechter Begegnung
dieser Art 6agt die Theologie der Tiefenpsychologie und, darüber
hinaus, der geistigen Situation der Gegenwart und der Zukunft
mehr und ist wirksamer an ihrer Gestaltung beteiligt al6 be-
mißtrauischer Reserve. Bs geht auch hier, wie überall, und hier
ebenso dringlich und unausweichlich, wie überall, um den uns
aufgegebenen Beitrag der Theologie zur Gestaltung des
Seins in echter Arbeitsgemeinschaft.

RELIGIONSWISSENSCHAFT

Koep, Leo, Dr. theol.: Das himmlische Buch in Antike und Christentum
. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur altchristlichen
Bildersprache. Bonn: Hanstein 1952. X, 136 S., 4 Abb. auf 2 Taf.
gr. 8° = Theophaneia. Beiträge zur Religions- u. Kirchengcschichte
des Altertums. Begr.: F. J. Dölger f / Th. Klauser. H. 8. DM 12.50.

Die vorliegende Untersuchung ist als Nr. 8 der Theophaneia
, der Beiträge zur Religions- und Kirchengeschichte des
Altertums erschienen, welche von Franz Joseph Dölger und
Theodor Klauser begründet wurden. Theodor Klauser ist auch
der Herausgeber des bekannten Reallexikons für Antike und , -

Christentum, welches neben dem Kitteischen Wörterbuch und I kann, aber den Menschen zu kultischem Oebraucn ubergeo
der neuen Auflage von „Religion in Geschichte und Gegenwart" i wurde, scheidet damit aus dem Bereich der Untersuchung M»

angeregt, erst 1947 als Dissertation vorgelegt und erschien 1952
in wesentlich erweiterter Form in Druck. 16 Jahre lang hat der
Autor ako an diesem Thema gearbeitet, und man merkt der ungemein
stoffreichen, konzentrierten Untersuchung an, daß ihr langsames
Wachstum der Qualität zugute gekommen ist. Man könnte
sagen: die vorliegende Untersuchung ist ein zu groß geratener
RAC-Artikcl, der nun in Buchform erscheinen mußte. - Der Verjj
möchte mit der Geschichte der Mcthapher vom himmlischen Bu.
einen Beitrag zur altchristlichen Bildersprache liefern. Dabei >s
der Begriff so zu verstehen, daß es sich um Bücher handelt, die
ihren Ursprung und ihre Verwendung im Himmel haben, ^°et
nicht für menschlichen Gebrauch verfaßt worden sind. Das H<*j
Iige Buch, welches zwar von göttlicher Hand geschrieben sein

eine selbständige Stellung behaupten kann, weil ihm die Wechsel
beziehung zwischen Antike und Christentum ein besonderes Anliegen
ist. Koeps Arbeit wurde schon 1936 von Theodor Klauser

Methodisch geht Verf. so vor, daß er aus den Schicksalstafeln W
alten Orient und dem Schicksalsbuch der Griechen und Romer
einen Ansatzpunkt gewinnt, um nun das Himmlische Buch <