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Ausgabe:

1959 Nr. 7

Spalte:

545-547

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Kraemer, Hendrik

Titel/Untertitel:

Die Kommunikation des christlichen Glaubens 1959

Rezensent:

Röhricht, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 7

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Wahrheit her geboten ist. Dieses Gespräch wird aber Schaden
leiden, wenn wir die richtigen Erkenntnisse aus der Schrift überfremden
mit Formeln und Erscheinungen römisch-katholischer
Geschichte.

Hier hat bereits Kritik und Gegenkritik der „Katholischen
Reformation" eingesetzt in der 6ehr lesenswerten Auseinandersetzung
zwischen P. Brunner und H. Asmussen'. Die Bitte
Asmussens sei hier abschließend warm unterstützt: Man möge
sich mit den Brüdern der „Sammlung" an einen Tisch setzen, um
miteinander zu reden, zu forschen und zu beten. Die Evangelische
Michaelsbruderschaft hat das ihrerseits getan. Möchten andere
Kreise, die sich verantwortlich wissen, folgen. Die persönliche
Begegnung ist unerläßlich, wenn es um die Wahrheit, um die
Einheit der Kirche und um da6 Heil unseres Lebens geht.

Minden i.W. Reinhard M u m m

*) s. Ev.-luth. Kirchenzeitung 1958, Nr. 17 und Nr. 22.

Kraemer, Hendrik: Die Kommunikation des christlichen Glaubens.

Aus d. Englischen übers, von Verena Appenzeller-'Gass-
mann. Zürich: Zwingli Verlag [19581. 104 S. 8°. DM 7.80.

„Man kann entweder einige wenige grundsätzliche Bemerkungen
(über das Titel-Thema) madien oder ein dickes Buch
darüber schreiben" (S. 98). Der Verfasser sieht beide Möglichkeiten
und hat sich dabei für die wenigen Bemerkungen entschieden
. Dabei wäre das Thema eines dicken Bande6 wohl wert:
Es ist das Zentral-Thema der heutigen Praktischen Theologie,
nämlich „die Begegnung der Kirche mit der Welt und die Übermittlung
der christlichen Botschaft an die Welt und in der Welt
von heute" (S. 46). Es geht um die Chancen des Christentums
in der völlig veränderten Welt, um neue Wege der Evangelisation
. Und diese neuen Wege werden mit den alten Methoden
nicht viel gemein haben. Der Titel des Werkes ist im englischen
Original tiefsinniger als es die deutsche Übersetzung zeigen
kann. Das englische „Communication" hat eine Doppelbedeutung
, die wir aus dem Fremdwort „Kommunikation" nicht gleich
heraushören: es meint die Mitteilung (etwa einer Botschaft) und
zugleich die Gemeinschaft (etwa zwischen Menschen). Der Verf.
macht diese Doppeldeutigkeit zur Grundlage seiner Untersuchungen
. Die christliche Botschaft ist ohne eine aktive Gemeinschaft
der Christen kraftlos. Es nützt nichts, daß die
Evangelisationsmcthoden neu werden, wenn die Kirche als Gemeinschaft
nicht neu wird. So ist der Gegenstand der Schrift
nicht nur eine methodische Besinnung über die Verkündigung,
sondern zugleich eine Besinnung über die heutige Gestalt der
Kirche. Sie geht von der negativen Tatsache aus, daß mit der
Kommunikation in diesem doppelten Sinne heute etwas nicht
in Ordnung ist. Der Kontakt zwischen Kirche und Welt ist weit*
"in verloren gegangen. Viel schlimmer als manche offene Feindschaft
gegen die Kirche ist die unbegründete, aber um so tiefer
sitzende Überzeugung des modernen Menschen, „daß das Evangelium
und die Kirche völlig belanglos seien". Der Verf. war
a<ht Jahre lang Direktor des ökumenischen Instituts in Bossey
«n der Schweiz. Er sieht nicht nur die beschränkte Problematik
eines einzelnen Landes, wenn ihm auch naturgemäß die Fragen
der westlichen Welt näherstehen als die der östlichen.

Der erste Teil des Buches besteht in einer biblisch-kirchen-
geschichtlichcn Grundlegung. Nach der Bibel beruht alle mensch-
ll(he Kommunikation darauf, daß Gott sich dem Menschen
m'tgctcilt hat. Erst in der liebenden Sclbstmitteilung Gottes bereifen
wir, was Gemeinschaft ist. Mit einer Formulierung Karl
arths wird gesagt, daß sich in „Jesu Zusammensein mit dem
Menschen" zeigt, wie das „Zusammensein der Menschen" das
natürliche Fundament des menschlichen Lebens ist.

Man kennt den theologischen Streit über den „Anknüpfungs-
Punkt ', der (jjc Offenbarung und das Verständnis des Menschen
^""binden soll. Der Verf. betont nun auf der einen Seite, daß
er Mensch von sich aus nicht die Fähigkeit hat. Gort zu erkennen
. Und bcstcht in der kirchlichen Verkündigung ein
Unvermeidlicher Zwang zur Anpassung und Angleichung an die
Aufnahmefähigkeit der Welt. In ihrer ganzen Geschichte schwebt
die Kirche zwischen der Scylla, in dieser Anpassung unterzugehen

und damit selber Welt zu werden, und der Charybdis, aller Anpassung
stolz oder feige auszuweichen. Einige Schwerpunkte der
Kirchengeschichte werden als Beispiele herangeholt, so etwa die
frühchristlichen Apologeten, die konstantinische Wende, die
Christianisierung Englands, die jesuitische Missionierung Asiens.
Mit Kaiser Konstantin, der Vollendung der Orthodoxie und der
Entwicklung zur Staatskirche beginnt die Zeit der großen Versuchung
für die Kirche. Sie ist im Begriff, die Spannung zwischen
Glaube und Welt aufzugeben; sie geht den Weg von der Minderheit
, die, nur auf ihren Glauben gestellt, der Welt gegenübersteht
, zur „etablierten", instruierten Körperschaft. Die Kirche
wird „offiziell". „Tatsächlich verhüllt die Kirche als Institution
ihre wahre Natur" (S. 94).

Vereinfachend kann man sagen, daß in dem eben zitierten
Satz der Schwerpunkt des Buches bezeichnet ist. Die biblischen
, historischen und soziologischen Skizzen dienen dann mehr
oder weniger nur der Illustration dieses Satzes. Die Kirche hat
immer schon mit diesem Problem zu tun gehabt, aber erst heute
wird sie sich dessen in seiner ganzen Tragweite bewußt. Seit dem
konstantinischen „Sündenfall" hat sie ihre innere und äußere
Freiheit immer stärker aufs Spie! gesetzt. Sie funktionierte von
da an „als das ideologische Credo einer religiös-sozialen Struktur
". Damit wurde ihre Verkündigung zur Ideologie, die in
scharfen Konkurrenzkampf zu anderen Ideologien trat. Das
kirchliche Bekenntnis verlor seinen kerygmatischen Charakter
und wurde dogmatisch. Die Kommunikation mit Andersdenkenden
wurde immer schwieriger; ein ausgebildeter Häresie-Begriff
schob sich zwischen die Partner. Das „im Zentrum stehende
dogmatische christliche Bewußtsein hat katastrophale Folgen für
die Kommunikation gehabt" (S. 33). Die Orthodoxie beherrschte
nun die Welt und merzte zugleich alles Fremde gewaltsam aus.
In den genannten Schwierigkeiten, denen die christlichen Kirchen
heute gegenüberstehen, wird ihnen die Rechnung für diese Entwicklung
präsentiert.

Das illustrative Material zu diesen Thesen ist reichhaltig,
wenn auch immer nur aphoristisch. Ein besonderes Interesse des
Verf.s gilt der Sprachphilosophie oder -theologie und der damit
zusammenhängenden Symbollehre. Von hier aus wird Kritik an
der einseitigen protestantischen Auffassung der Kommunikation
als „Predigt" geübt: Die Sprache ist nicht die einzige Kommunikationsform
. (Tillichs und Cassirers Arbeiten zum Thema werden
herangezogen.)

Den gewichtigen Abschluß des Buches bilden zwei Kapitel,
die der gegenwärtigen Lage gewidmet sind und deren Inhalt man
mit den Begriffen „Diagnose" und „Therapie" wiedergeben
könnte. In seiner Diagnose geht der Verfasser davon aus, daß
die Kommunikation zwischen Kirche und Welt heute weithin
zusammengebrochen ist. Die Gründe für diesen Zusammenbruch
lassen sich mit dem einen Wort „Säkularisation" bezeichnen
(S. 66). Die wirklich christliche Antwort der Kirche auf die
Säkularisation steht immer noch aus. Das Geschrei über diesen
Zustand ist wenig nütze. Zuerst einmal sollte die Kirche ihre
eigene Schuld an dieser Lage erkennen. Die Welt hat sich auch
deshalb verweltlicht, weil die Kirche sich verweltlicht hat, weil
sie ihre „Expropriation durch den Staat" zuließ. Sie hat (im Sinne
der Terminologie Bonhoeffers) Glauben und Religion verwechselt
. Sie ist zu einer „selbstzufriedenen Mittelstandskirche" geworden
. Sie ist nicht mehr das Salz der Erde, sondern eine Institution
neben oder gegen andere Institutionen. Sie ist damit an
den Rand der modernen Welt gedrängt.

Nun könnte gerade dieser Tatbestand — und damit sind wir
schon bei den „therapeutischen" Überlegungen — „als einer der
ironischen Wege Gottes" der Kirche zum Heil ausschlagen. Durch
Jahrhunderte hindurch hat sie von der stützenden Kraft ihres
Prestiges gelebt. Nun ist dieses Prestige von einem radikalen
Schwund befallen. Könnte sie dadurch nicht auf ihre eigentliche
Möglichkeit, auf den Glauben, geworfen werden? Können die
Säkularisation und die Tatsache, daß die Kirche immer mehr
Minderheits-Kirche wird, nicht ein neuer Segen werden? Können
nicht unerträumte Kräfte schöpferischer, christlicher Phantasie
dadurch freigesetzt werden? (S. 92) Der erete Schritt zur Heilung
bestünde dann darin, daß die Kirche selbstkritisch begreift.