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1959 Nr. 7

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Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 7

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Problem ganze Abgründe von neuen Problemen auftun (eine
Antizipation heutiger Naturwissenschaftsproblematik) und daß
eine Verarmung und Aushöhlung des religiösen Lebens ein zu
hoher Preis sein würde für das Gesamtleben der Kultur und der
menschlichen Seele zugunsten einer immer stürmischer voranschreitenden
Naturwissenschaft? Hier müßte weitergeforscht werden
auf Grund des vorzüglichen Quellenmaterials. Die Biographie
stellt einen guten Grundstock dar zum Weiterforschen unter
Spezialgesichtspunkten. Es gibt noch viele ungeklärte Seiten in
Stensens Lebensbuch. Auch in seiner Stellung zur katholischen
Kirche dürften künstlerisch - ästhetische Gesichtspunkte mitgesprochen
haben (cf. S. 128 f.), ebenso wie seine theologische
Methode interessante Einflüsse der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise
sichtbar werden läßt und dadurch das Besondere
seines theologischen Stiles mit ausprägen hilft.

So zeigt diese Biographie Stensen als vorbildlich hinsichtlich
seiner Frömmigkeit und seines Gebetslebens, seiner asketischen
Selbstverleugnung und Liebe zu den Armen, durch die er unter
den Kirchenfürsten der damaligen Zeit ganz einsam dasteht,
seines Glaubens- und Missionseifers, seiner Bescheidenheit und
liebenswerten Persönlichkeit und seines heroischen Sterbens.
Ebenso wie seine hohe und mannigfaltige Bedeutung für die
theologische Stilgeschichte des Frührationalismus offenbart sich
in Bierbaums dankenswerter Betrachtung der einzelnen geistlichen
Literaturgattungen von Stensens opera theologica und seines
Briefwechsels erstmalig die sichtbar gewordene Kontinuität seines
Lebensweges im einzelnen.

Berlin Liselotte R i ch t e r

Lorenz, Heinz: Das Bewußtsein der Krise und der Versuch ihrer
Überwindung bei Wilhelm Dilthey und Graf Yorck von Wartenburg.
Zeitschrift für Religion«- und Geistesgeschichte XI, 1959 S. 59—68.

Nohl, Hermann: Theologie und Philosophie in der Entwicklung Wilhelm
Diltheys.

Die Sammlung 14, 1959 S. 19—23.

P e 11 e r, D. M. de: Het philosopheren van de gelovige.
Tijdschrift voor Philosophie 21, 1959 S. 3-19.

Philipp, Wolfgang: Der Philosemitismus im geistesgeschichtlichen
Feld. Bericht über eine neue Quelle und Orientierungsversuch.
Zeitschrift für Religions- und Gei6tesgeschichte X, 1958 S. 220—230.

Wundt, Max: Wandlungen des Kant-Bildes in der deutschen Geistesgeschichte
.

Universita6 14, 1959 S. 51—58.
Zocher, Rudolf: Zu Heimsoeths Kantforschungen.

Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte X, 1958 S. 244—247.

SYSTEMATISCHE THEOLOGIE

Rahner, Karl: Das Dynamische in der Kirche. Freiburg: Herder
[1958]. 148 S. 8° = Quaestiones Disputatae, hrsg. v. K. Rahner u.
H. Schlier, 5. Kart. DM 8.40.

Der Band vereinigt drei 6chon füher erschienene Arbeiten
des Verf.s in überarbeiteter Form: I. Prinzipien und Imperative,
Wort und Wahrheit 12 (1957), 325 ff.; II. Das Charismatische in
der Kirche, Stimmen der Zeit 160 (1957), 161 ff.; III. Die Logik
der existentiellen Erkenntnis bei Ignatius von Loyola, in: Fr. Wulf,
Ignatius von Loyola. Seine geistliche Gestalt und sein Vermächtnis
(Würzburg 1956), 345 ff. Das Gemeinsame, das, in verschiedener
Blickrichtung und Anwendung, als „roter Faden" durch
alle drei Arbeiten hindurchgeht und ilrre zusammengefaßte Neuveröffentlichung
unter einem gemeinsamen Titel motiviert, ist
das betonte Geltendmachen des Momentes des „Einzelnen", des
individuell Konkreten und unableitbar Kontingenten in der
Kirche in 6einem Verhältnis zu dem grundsätzlich Allgemeingültigen
. (Der Ausdruck „das Dynamische" im Titel gibt das
Gemeinte nur ungenau wieder.) Dieses Moment ist nach der
Überzeugung des Verf.s bisher zu wenig in der katholischen
Theologie zur Geltung gekommen. Die berechtigte Ablehnung
einer falschen „Situationsethik" darf nicht zur Eliminierung der
Kategorie des Individuellen überhaupt führen. Die, meist unausgesprochene
, Kritik des Verf.s an dem herrschenden Neuthomis-
mus ist unverkennbar. Im Vorwort weist er ausdrücklich auf
seine Schrift „Gefahren im heutigen Katholizismus" hin. Seine in

strengem Grunddenken vorgehenden Untersuchungen werden in
lebendiger, verständlicher Sprache dargeboten.

Der erste Aufsatz verfolgt das genannte Anliegen im Blick
auf die theologische Ethik. Es wird hier die Unterscheidung
von „Prinzipien" (= allgemeingültigen ethischen Sollgesetzen)
und „Imperativen" (= unableitbaren je ganz individuellen Appellen
von nicht minderer ethischer Stringenz) herausgearbeitet.
. . . „daß es im Leben der sittlichen Entscheidungen offenbar einen
Rest geben muß, dem man nicht nur durch eine relative, sondern
durch eine grundsätzliche Unfähigkeit der Vernunft des Allgemeinen
nicht mehr beikommt, wo daher ein Neues zu dieser
Vernunft hinzukommen muß: die Inspiration von oben, die Erleuchtung
, die Führung des Heiligen Geistes, der nicht bloß
durch eine assistentia per se negativa dafür sorgt, daß das Rationale
funktioniert, die geschichtliche Entscheidung, die nicht
nur Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber den Prinzipien ist,
kurz — der Imperativ, der das je geschichtlich Einmalige als solches
meint" (27). Diese „Imperative", die grundsätzlich nicht
von allgemeinen Prinzipien abzuleiten sind und nicht in deren
„fallhaften" Anwendungen aufgehen, haben, in ihrer Relevanz
sowohl für den einzelnen Menschen als auch für geschichtliche
Lebendigkeiten (Volk usw.), ihren unentbehrlichen Platz und
ihre unvertretbar eigene Würde in der christlichen Ethik. So
können sie auch von der Kirche, der Verkünderin und Hüterin
der allgemeingültigen ethischen Sollprinzipien, nicht unmittelbar
„bevormundet" werden, vielmehr stehen sie — innerhalb des
Rahmens der allgemein geltenden Prinzipjen — in je eigenverantwortlicher
Unmittelbarkeit zu Gott (wir würden sagen:
„in echter Weltlichkeit"). Zum Schluß wird (28 ff.) das Ernstnehmen
dieser „Imperative" in seiner Bedeutung für die heutige
Situation der Christenheit in ihrer beklagenswerten weitgehenden
Unmündigkeit, Initiativelosigkeit und falschen „christlichen"
Schematik und kirchlichen Introvertiertheit kraftvoll großgemacht
.

Der zweite Aufsatz zeigt das gen. Moment in seiner e k -
klesiologischen Bedeutung auf. Er ist ein wichtiger
Beitrag moderner katholischer Theologie zu der bei uns viel
verhandelten Frage des Verhältnisses von Institutionellem und
„Charismatischem" in der Wirklichkeit der Kirche. Es wird dargelegt
, wie durch beides hindurch das eine kirchenschöpferische
Wirken Gottes, des HI. Geistes, geht. So hat auch beides seine
unvertretbare Stelle in der Kirche. Dabei zeigt der Verf. zunächst
— in einer aufschlußreichen Tiefeninterpretation des katholischen
Amtsbegriffs - das grundlegende charismatische Moment
eben in dem Institutionellen, dem Amte selbst auf, um
danach all die notwendigen „charismatischen" Lebensäußcrungerr
der Kirche aufzuzeigen, die neben dem Institutionellen und unabhängig
von ihm hervorbrechen und ebenso wesentlich zur
Kirche gehören. (Zum Begriff des „Charismatischen" unterscheidet
der Verf. die „großen", außerordentlichen und die
„kleinen", in der alltäglichen Frömmigkeit bestehenden Charismen
, 55 ff.) Im Anschluß an die Enzyklika „Mystici Corporis"
trifft R. die wichtige Feststellung: „Es gibt Charismatiker auch
außerhalb des Amtes der Kirche. Sie 6ind nicht bloße Bcfehls-
empfänger des Amtes, sondern können die sein, durch die Christus
seine Kirche .unmittelbar' leitet. Natürlich ist dadurch das
Amt nicht aufgehoben. Der Herr leitet und regiert seine Kirche
ja ... auch durch das Amt mittelbar. . . . Wenn aber Christus
auch unmittelbar außerhalb des Amtes in seine Kirche einwirkt,
wenn er also die Kirche auch durch außer-amtliche . .. Charismen
regiert und leitet, und wenn es dennoch ein gültiges, un-
aufhebbares Amt in der Kirche gibt, dann ist die Harmonie zwischen
beiden .Strukturen' der Kirche, der institutionellen und
der charismatischen, auf die Dauer nur garantiert durch den einen
Herrn beider Strukturen und durch ihn allein, also selbst wieder
bloß charismatisch" (46). „Wenn und weil so ein gottgewollter
Dualismus zwischen Charisma und Amt unaufhebbarer Art W
der Kirche besteht, ist eigentlich die .monarchische', ,von oben
her autoritative' Kirche doch auch so etwas wie eine Demokratie
, das Gegenteil einc6 totalitären Systems", in der es „keine
einzelne Instanz gibt, in der alle Gewalt zusammengeballt i6t ■
in der es vielmehr „einen Pluralismus wirklich voneinander ver-