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Ausgabe:

1959 Nr. 7

Spalte:

537-539

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Bierbaum, Max

Titel/Untertitel:

Niels Stensen 1959

Rezensent:

Richter, Liselotte

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 7

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Lee ler, Joseph: Formules liturgiques et Pouvoir pontifical: A propos
de deux textes du Missel Romain.

Recherches de Science Religieuse XLVI, 1958 S. 211—226.
Mahrenholz, Christhard: Das Wesen des christlichen Gottesdienstes
.

Der Kirchenchor 19, 1959 S. 17—24 (= Beigabe zu Musik und Kirche
29, 1959).

Michel, Joseph: Die Abendmusik als Möglichkeit evangelischer
Verkündigung.

Musik und Kirche 29, 1959 S. 65—77.
R ü t h y, Albert Emil: Bemerkungen und Erwägungen zu den altkatho'
lischcn Liturgien. (Fortsetzung)

Internationale Kirchliche Zeitschrift 48, 1958 S. 84—95.
Vasterling, Christian: Grundsätze und Richtlinien für den gottesdienstlichen
Liedgebrauch.
Musik und Kirche 29, 1959 S. 82—86.

PHILOSOPHIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE

Bierbaum, Max, Univ.-Prof. Dr.: Niels Stensen. Von der Anatomie
zur Theologie 1638—1686. Münster: Aschendorff |1959|. 159 S. m.
9 Bildtaf. 8°. Kart. DM 10.80; Lw. DM 11.80.

Das vorliegende Werk ist die erste deutsche wissenschaftlichbiographische
Studie über Leben und Wirken des großen Barock-
gelehrten Niels Stensen, die die neuesten Quellen verarbeitet,
namentlich die bahnbrechenden Publikationen des bedeutendsten
modernen Stensen-Forschers, D. Dr. Gustav Scherz. Seit dem
250. Todestage 1936 und dem 300. Geburtstage 1938 kam besonders
durch sein Wirken die Stensen - Forschung in Fluß.
1943—52 erfolgte die Publikation der opera theologica und des
Briefwechsels von Niels Stensen, der 1956 und 1958 durch die
deutsche und englische Darstellung der wissenschaftlichen Entdeckungen
Stensens unter Zugrundelegung eines neuen Index mit
fachwissenschaftlichen Beiträgen ergänzt wurde. 1957 wurde das
Beatifikationsvcrfahren für Stensen auf Grund der neuedierten
Qucllenschiriftcn eröffnet. Damit hat der letzte Akt des bewegten
Pilgcrleb ens begonnen, das Niels Stensen vom größten Anatomen
und Paläogcologen seiner Zeit über eine bewegende Konversion
zum bedeutsamen katholischen Theologen, Bischof, Seelsorger
und beispielhaften christlichen Asketen führte. Es ist Bierbaum
gelungen, in knappster Form Wesentliches über Stensens Weg sowohl
als Naturwissenschaftler wie ak Theologen unter genauer
Benutzung der Quellen auszusagen. Wichtig ist hierbei, daß ein
klares Bild seiner naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden
entsteht. Es ist geistesgeschichtlich höchst reizvoll zu 6ehcn, wie
Stensen als Naturforscher seinen eigenen Weg gegangen Ist angesichts
des herrschenden Cartesianismus der Zeit. Wohl, übernahm
er von Descartes die Methode, alles zu verwerfen, was
nicht durch eigene Beobachtung festgestellt werden kann. Aber
er kam sehr bald dahin, zu erkennen, daß auch der Rationalismus
eines Descartes in die Sackgassen ungesicherter Vernunftspekulation
geriet. Stensen aber bildete seine spezielle Methode her-
^Us> ,,zu unterscheiden zwischen dem, was nicht mit Sicherheit
bestimmt werden kann, und dem, was mit Sicherheit bestimmt
Verden kann". Dieser Grundsatz führt ihn 1661 in Holland als
yteiundzwanzigjährigen nicht nur zur anatomischen Entdeckung
des duetus stenonianus und anderen bahnbrechenden Erkennt-
n'ssen über das Gefäß- und Drüsensystem, sondern 1667 in Florenz
bei der Sektion eines Haifischkopfcs zur Einsicht in den
Zusammenhang der Haifischzähne mit den fossilen Zungenbeinen
und damit im Verlaufe weiterer geologischer Forschungen
ZUr Grundlegung der Paläontologie und Kristallographie. In seiner
Forschungsmethode fühlte er 6ich am nächsten Galilei geistesverwandt
in der Verbindung von Experiment und vorsichtiger
^esamtschau. Selbstkritische Zurückhaltung und Streben nach

•eherheit der Erkenntnis sind in Stensens Methode eine eigen-
Synthese eingegangen. So sagt er 1665 bei einem Vortrag
u°er die Anatomie des Gehirns: ..Es gibt noch keine Scktions-
tecnnik, mit Hilfe deren man den Verlauf der Fasern des Gehirns
*Wli bis zu den peripheren Nerven verfolgen könnte. Weil also
?lc Anatomie noch nicht jene Stufe der Vollkommenheit erreicht

ar' um eine wahre Dissektion des Gehirns vornehmen zu können
, wollen wir fernerhin uns nicht mehr schmeicheln, vielmehr

in aller Offenheit unsere Unwissenheit eingestehen. Sonst würden
wir ja doch nur zunächst uns selbst und dann auch andere
täuschen, falls wir versprächen, ihnen die wirkliche Bildung des
Gehirns zu zeigen." Dies führt ihn dahin, auf Grund seiner anatomischen
Einsichten über die Lage der Zirbeldrüse die Haltlosigkeit
der spekulativen Behauptungen Descartes' über das
Verhältnis von Leib und Seele zu erkennen.

Neu und wichtig in der Bierbaumschen Darstellung ist der
Hinweis auf die künstlerische Seite im wissenschaftlichen Denken
Stensens: das ästhetische Element der Freude über die Schönheit
, Harmonie und Zweckmäßigkeit aller Teile und Elemente
des Kosmos. In der Vielseitigkeit seiner Interessen und Eleganz
seines Darstellungsstiles zeigt er 6ich als echter Barockmensch.
So war er seiner Zeit weit voraus in einer eigenartigen funktionellen
Schau, die erst im 19. und 20. Jahrhundert bewußt zur
Herrschaft kam. Aber auch in den naturwissenschaftlichen Forschungen
Stensens ist bereits ein religiöser Ernst eigentümlich
vorherrschend: ,,Nichts scheint (bei den Lebewesen) so winzig zu
sein, was nicht zu ihrem Gebrauch bestimmt wäre, nichts ist so
gering, was nicht die Weisheit des Schöpfers überzeugend vor
Augen führt. . .. Wer glaubt denn, daß derjenige, den die vollkommensten
Künstler, wenn auch mit ungleichem Erfolg, nachzuahmen
suchen, irgendwo eine unnütze Arbeit getan und vergeblich
etwas hervorgebracht habe? Wer wird nicht vielmehr zu
dem Urteil kommen, daß auch im Kleinsten ein größtes, ja bewundernswertes
Kunstwerk verborgen ist?"

Mitten in diesen geistigen Höhenweg wissenschaftlicher Entdeckungen
fällt die Konversion Stensens, die auch in der Bierbaumschen
Darstellung durch neue Züge sehr gut verständlich
gemacht wird. Vor allem sind es die ausführlichen Darlegungen
der Argumente Stensens, mit denen er 6einer Umwelt diesen
Schritt begründet, die ihn zu einem bedeutenden theologischen
Kontroversschriftsteller gemacht haben. Auch hier ist es Bierbaum
hervorragend gelungen, eine Reihe bisher nicht genügend
gewürdigter Gesichtspunkte für die geistliche Entwicklung Stensens
herauszustellen, so daß auch der evangelische Theologe
wesentliche Bereicherung findet. Die opera theologica werden In
ihren Hauptgedanken skizziert. Besonders aufschlußreich auch für
den Philosophiehistoriker ist die Auseinandersetzung mit den
Cartesianern und Spinoza, so wenn er in seinem zweiten Verteidigungsbrief
über seine Konversion 1680 schreibt: .Tadelnswert
halte ich diese Philosophie dort allein, wo ihr Urheber seine
eigene Methode vergißt und als sicher voraussetzt, was er noch
nicht aus der Vernunft bewiesen hatte. So lassen viele, zu noch
Schlimmerem getrieben, alles Christentum, wenn sie es auch nicht
ganz ablegen, so absterben, daß außer dem Namen und einem
wesenlosen Schatten kaum etwas übrigbleibt. Das sieht man
deutlich bei Spinoza und seinen Anhängern, die der Ausbau, wie
sie sagen, tatsächlich aber die Zerstörung der Cartesianischcn
Philosophie zu völligen Materialisten gemacht hat. Sie vergaßen
ebenfalls die erwähnte Methode und gaben ihre Vermutungen
als Beweise aus. Und weil sie nicht mit Descartes ihre Unkenntnis
über die Verbindung von Geist und Körper, Denkendem und
Ausgedehntem eingestehen wollten, gerieten sie in die schwersten
Irrtümer und behaupteten, beides seien Attribute ein und derselben
Substanz... So verwandelten sie durch ihre unbewiesenen
Behauptungen die ganze Theologie in ein Gemisch von tausend
Absurditäten . . . Das ist die Gefahr der Cartesianischcn Philosophie
, vor der Gott mich errettet hat, als ich mit den Reformatoren
, oder besser gesagt, Deformatorcn Descartes' verkehrte.
Auf seltsame Weise, gegen alle Absicht und Erwartung, ließ Gott
mich den richtigen Aufbau des Herzens und der Muskeln erkennen
. Dadurch wurden ihre scharfsinnigen Konstruktionen ohne
Worte, nur durch Autopsie umgestürzt."

Stensens Weg als Priester und Bischof in Hannover, Münster
, Hamburg und Schwerin bedeutete zwar die freiwillige Beendigung
seiner naturwissenschaftlichen Forscherlaufbahn. Um
diese Beendigung der naturwissenschaftlichen Arbeiten verständlich
zu machen, bringt Bierbaum wiederum einige neue Gesichtspunkte
hinzu, aber die volle Motivierung scheint mir hier noch
nicht ganz erreicht. Sollte es nicht vor allem die Einsicht Stensens
gewesen sein, daß in der Naturwissenschaft sich hinter jedem