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Ausgabe:

1959 Nr. 7

Spalte:

523-526

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

Sextus Pythagoreus, The Sentences of Sextus 1959

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1959 Nr. 7

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chen(S. 191-198). Die Stadt, die 1801 40450 und 1900 499932
Einwohner zählte, lief auch der Seelsorge davon. A. stellt, ohne
Vorwürfe erheben zu wollen, fest, daß die Maßnahmen der kirchlichen
Behörden angesichts dieses gewaltigen Anwachsens der
Bevölkerung objektiv unzureichend waren. Im ganzen Jahrhundert
wurden nur acht neue Pfarreien und Pfarrkirchen errichtet,
deren Seelenzahl eine Spitze von 54000 (St. Peter) erreichte.
Vgl. die Fortsetzung dieser kritischen Betrachtung vom selben
Verf. „Zur Seelsorgslage in München in der ersten Hälfte des
20. Jahrhunderts", in: Klerusblatt 38 (1958) 354 ff.

Einen Beitrag zum Thema „München und der Osten" bedeutet
die Studie von W. Lettenbauer, Der russische Dichter
Fjodor Tjutsdiev und München (S. 199—211). Der große Lyriker
und geistvolle Vertreter des russischen Panslawismus lebte 15
Jahre als Diplomat und fünf Jahre als Privatmann in München,
wo in der letzten Zeit der eigenwillige J. Ph. Fallmerayer einen
entscheidenden Einfluß auf ihn ausübte.

Einen bedeutenden Aufsatz hat J. Feilerer „Martin
Deutingers Kunstphilosophie" gewidmet (S. 212—25 3). War auch
die Kunstphilosophie nicht das Grundanliegen Deutingers, sondern
die philosophische und theologische Anthropologie, so stellt
er in jener doch eine der ihm als wesentlich geltenden Potenzen
der menschlichen Person dar, nämlich das „Können" in seinem
eigenen Sinn. Mit Recht verehrt F. Deutinger als ein Genie, das
„nicht nur die Kunst leidenschaftlich liebte, sondern als Kunstphilosoph
auch viel Tiefes über sie zu 6agen wußte und auch uns
Heutigen noch zu sagen hat" (S. 253), auch wenn manches an
seinen Meinungen zeitbedingt blieb. Gerne hätte man noch Ausführlicheres
über das Verhältnis des Könnens zum Denken
einerseits und zum Tun andererseits im System Deutingers gelesen
. Über die Kunsttheologie Deutingers kündigt F. eine eigene
Arbeit an.

Wie ein zusammenfassender und abschließender Überblick
auf die vielen Großen, vor allem aus den Reihen der Wissenschaft
, des öffentlichen Lebens und der Künste, die in München
gewirkt haben, erscheint endlich der Aufsatz von J. M. Hufnagel
, Berühmte Grabstätten des alten München (S. 254—277).
Er ist Textprobe aus einem noch nicht abgeschlossenen größeren
Werk des Verfassers und handelt hauptsächlich von den Berühm-
ten-Gräbern des Südlichen Friedhofs. —

Ein ausführliches Register beschließt den vom Verlag würdig
ausgestatteten Sammelband, der die Forschung um wertvolle Erkenntnisse
und beachtenswerte Hypothesen bereichert. Man
möchte dem „Monachium" Fortsetzungen in seiner Art wünschen.
Dabei ließen sich Lücken, etwa im Hoch- und Spätmittelalter, die
zwangsläufig offen bleiben mußten, schließen. U. a. wäre die Rolle
des Freisinger Bischofs Albert I. (1158—1184) gegenüber München
zu klären; war er 1180, nachdem Friedrich Barbarossa den
Augsburger Schied von 1158 aufgehoben hatte, der Retter der
Stadt und ihrer wirtschaftlichen Grundlagen und damit ihr bis
heute unbedankter großer Wohltäter?

Freising Joseph A. Fischer

KIRCHENGESCHICHTE: ALTE KIRCHE

Chadwick, Henry, Prof.: The Sentences of Sextus. A Contribution
to the History of Early Christian Ethics. Cambridge: University Press
1959. XII, 194 S. 8° = Texts and Studics, Contributions to Biblical
and Patristic Literature, N. S. ed. by C. H. Dodd, V. L.w. 30 s.

Die „Sprüche des Sextus", eine Sammlung von ethischen
und religiösen Aphorismen, haben sich zunächst in der griechischen
Form, dann in der um 400 erfolgten Übersetzung durch
Rufin von Aquileja, vor allem in der alten Kirche, aber auch im
Mittelalter (14 Hss. der Übersetzung Rufins vom 7./8. bis zum

15. Jhdt. sind erhalten) und noch im Anfang der Neuzeit großer
Beliebtheit erfreut (von 1502-1522 wurde das Enchiridion Xyst'i
in lateinischer Fassung 9 mal gedruckt, in der 2. Hälfte des

16. Jhdt.s 4 mal, im 17. Jhdt. 10 mal1).

]) Vgl. Joh. Gildemeister, Sexti Sententiarum recensiones (Bonn
1873) S. LI f.

Rufin bemerkt in 6einer Vorrede, nach einer Überlieferung
sei Sextus identisch mit dem römischen Papst und Märtyrer
Xystus (nach Ch. und anderen: IL, 257/58 n.Chr.). Hieronymus
führt nach seinem Bruch mit Rufin die Sammlung auf einen
Pythagoreer Xystus zurück, dessen Buch „ein gewisser" ins Lateinische
übersetzte und mit dem Namen des Märtyrers Xystus
auszeichnen wollte, ohne zu bemerken, daß darin Christus und
die Apostel überhaupt nicht erwähnt seien (eine Polemik, die
Hieronymus später noch verschärft [S. 119 f.]). Diese beiden Aussagen
haben die Auffassung über die Person des Sextus im
Wechsel bestimmt. Die Mönchskreise, die besonders die (im weiteren
Sinn) asketischen Weisungen der Sammlung schätzten
(eine davon ist sogar in die Regel Benedikts eingedrungen
[S. 124]), führten sie natürlich auf den Märtyrer zurück, während
die Neuzeit zunächst wieder den Pythagoreer als Verfasser bezeichnete
. Ist ein Pythagoreer Sextus außerchristlich bei Simpli-
cius (6. Jhdt.) bezeugt (S. 128) und ist in der Einordnung duTch
Hieronymus die geistige Welt des Enchiridions weithin richtig
erkannt (S. 130), ist andererseits auch durch von Rufin unabhängige
Aussagen glaubhaft, daß man es in der alten Kirche auf
den Märtyrer-Pap6t zurückgeführt hat — Sextus II. war bis in
die syrische Kirche hinein hoch geschätzt —, 60 ist doch eine
Identifizierung des Verfassers der Sprüche weder mit ihm noch
mit einem anderen Namensträger möglich (S. 130—136).

In der Tat zeigt der Inhalt der Sentenzen, daß beide Auffassungen
über ihren Verfasser insofern einen Wahrheitskern
enthalten, als hier ein christlicher Kompilator — um 180—210
n. Chr., mit apologetischer Absicht, in mancher Hinsicht in einer
gewissen Nähe zu Clemens und Origenes (S. 160) — eine (oder
mehrere) ursprünglich heidnische Sammlung(en) sorgfältig revidiert
und modifiziert hat (S. 138). Heidnische Maximen sind inhaltlich
christianisiert; aber ebenso ist das Bemühen erkennbar,
christliche Maximen in der Art und Weise heidnischer zu stilisieren
(S. 138), wobei die Gefahr des Eindringens nichtchristlicher
Gedanken nicht vermieden ist (S. 161 f.). Manche Sätze
erscheinen als christliche Fassungen solcher heidnischer Aphorismen
, die bei Sextus ebenfalls aufgenommen sind (vgl. S. 154—156).
Eine Reihe von Sätzen ist offensichtlich durchaus christlichen
Ursprungs (zusammengestellt S. 139 f.), andere heidnischen.

Das letzte ist eindeutig feststellbar aus Ch.s gründlichen
Vergleichen mit anderen — nichtchristlichen — Sammlungen
pythagoreischer Sprüche, die bei Porphyrius (kurz nach 300),
Stobaeus und in Hss. vorliegen. Für Porphyrius gibt Ch. eine
vergleichende Liste (S. 144—146), für eine in Hss. (u.a. einer
syrischen) bezeugte (alphabetische) Sammlung pythagoreischer
Sentenzen eine eigene Edition (S. 84—94). Den genauen Vergleich
für den Leser zu ermöglichen, dient auch die Wiedergabe
einer Sammlung von nach einem Kleitarch benannten Sprüchen,
die Ch. gegen die übliche Meinung nicht für einen Auszug aus
Sextus5, sondern für ein selbständiges Exzerpt aus der Haupt-
quellc des Sextus hält, sei es auch, daß diese die ursprüngliche
Sammlung Kleitarchs selbst wäre (S. 158).

Daß Spruchsammlungen in besonderem Maße ständigen
Veränderungen unterworfen sein können, nicht nur durch Zusätze
, sondern auch durch Streichungen, liegt auf der Hand-
Immerhin können nach Ch. keine grundlegenden Veränderungen
an der Sammlung des Sextus zwischen Origenes, der sie zuerst
bezeugt (und zwar als christlich; Ch. kann die bekannten Belege
um zwei bisher übersehene erweitern, die nach Ch. zeigen, daß
Origenes die Sprüche des Sextus auf einen christlichen Verfasser
zurückgeführt hat [S. 107-116]), und Rufin erfolgt sein (S. 159)-
Wie mannigfach verschieden das Verhältnis von Entsprechung
und Differenz in Anordnung oder Wortlaut der Sentenzen der
verschiedenen Sammlungen ist, wird durch Ch. an zahlreiche"
Beispielen aufgezeigt (S. 146 ff.). Im übrigen ist auf die Parallelen
jeweils im Kommentar zu Sextus 1-451 (S. 163—181) bzw.
in den Fußnoten zu den nur edierten Stücken verwiesen. Zu de"
letzten gehören Anhänge zu Sextus, die in den griechischen, «V

J) So besonders Ant. Elter, Gnomica I (Leipzig 1892) =
Pythagorici sententiac cum appendieibus I (Sexti sent. 1—451 cum ve'
sione Rufint) II (Sexti app. s. 452—610 et Clitarchi epitome), Univers -
tätsschriften Bonn (1891 bzw. 1892) S. XXXVII.